„Die Jungfrau von Antiochia“ ist eine alte, schon aus den „legenda aurea“ bekannte Legende, die Ludwig Gotthard Kosegarten in seiner mehrbändigen Sammlung „Legenden“ (erstmals 1804) in Hexametern nacherzählt hat. Die Legende umfasst nur 57 Verse, und Kosegarten, der auch anders konnte, bemüht sich in ihnen um einen vergleichsweise schlichten, treuherzigen Tonfall, wie er einer Legende ja vielleicht auch angemessen ist.
Die Jungfrau von Antiochia
Einer Jungfrau gedenkt die fromme Sage der Väter,
Welche die schönste gewesen von Antiochiens Töchtern;
Dennoch wohnt‘ im schönen Leib noch schöner die Seele.
Und um die Jungfrau warben die edelsten Söhne des Landes,
5 Brünstig buhlten die Jüngling‘ um sie; mit Ketten und Spangen
Suchten sie zu erkaufen die Gunst der züchtigen Jungfrau.
Aber es dauchten die Perlen und Steine dem heiligen Mägdlein
Schlechte Kiesel: Ihr Herz war Jesu Christo verlobet.
Auch des Proconsuls Neffe begehrte des Mägdleins; ertrug nicht,
10 Sich verschmäht zu sehn, und führt sie vor dem Proconsul.
Diese, sprach er, verhöhnet die Götter, und glaubet an Christus.
Tu‘ ihr denn, wie der Kaiser gebeut, und die Pflicht von dir fordert.
Und der Proconsul sprach: Entweder du opferst den Göttern
Oder du wanderst sofort zu den feilen Dirnen im Buhlhaus.
15 Groß war der Jungfrau Angst, die Wahl beklemmend; doch plötzlich
Rief sie begeistert aus mit himmelerhobenen Augen:
Herr, ich rette die Seele, den Leib zu retten geziemt dir!
Also rief sie und ward alsbald geführt in das Buhlhaus.
Als sie wenig Minuten allhier beharrt im Gebete,
20 Trat vollrüstig ein Krieger herein mit blitzenden Waffen.
Fürchte, Christin, dich nicht, sprach sanft der Jüngling, ich komme,
Deine Zucht zu retten; die fließenden Trauergewande
Tausche sofort mit des Kriegsmanns Rüstung. Schnalle den Harnisch
An; nimm Tartsch‘ und Schwert, und geh‘ und rette die Ehre.
25 Staunend stand die Jungfrau, bedenkend den misslichen Antrag.
Aber es mahnte der Jüngling die Zage mit herzlichen Worten:
Säume nicht, Christin, es drängt die Gefahr, und die Lüsternen harren.
Eil‘ und vertraue dem, der auch auf Christus getauft ward.
Und sie säumte nicht länger. Die fließenden Trauergewande
30 Legte sie schamerrötend beiseit, in die schimmernde Rüstung
Barg sie den weniggewohnten Leib. Entgegen dem Panzer
Klopfte ängstlich das schlagende Herz; der gewaltige Helmbusch
Wogte von oben herab auf die blendenen Schultern des Mägdleins.
Zitternd schied sie von dannen, erkannt von keinem der Wächter.
35 Kaum war dies‘ im Sichern, so strömten der üppigen Hauptstadt
Frechste Buben herein, lustwiehernd, fanden, o Wunder!
Umgewandelt das zarte Weib zum rüstigen Kriegsmann.
Spottend schleppten die Buben den fräulich gekleideten Jüngling
Vor des Proconsuls Stuhl. Verwundert sprach der Proconsul:
40 Du bist’s, Julius, du? Ziemt solche Vermummung dem Kriegsmann!
Julius sprach: Dem Krieger geziemt, die Zucht zu beschützen.
Selbst ein Christ, hab‘ ich Christus‘ Braut geschützt vor der Schande.
Tue dann mir, wie der Kaiser gebeut, und die Pflicht es dich heißet.
Und der Proconsul befahl, zum Tode zu führen den Jüngling.
45 Als nun der Block schon gelegt und geschwungen des richtende Beil war,
Stürzte weinend und rufend herbei die gerettete Jungfrau:
Halt, halt ein! Nicht diesem, mir! mir! gebühret der Axtstreich.
Also sprach sie und eilet‘ und neben dem knienden Jüngling
Kniete sie hin und sprach mit liebeweinenden Augen:
50 Also war es gemeint, Habsücht’ger? Die irdische Krone
Sollt‘ ich erkaufen von dir um die Krone des ewigen Lebens?
Halt! Halt ein! Nicht diesem, mir! mir! gebühret der Axtstreich!
Also rief sie. Es sprach aufschauend der liebende Jüngling:
Lass zusammen uns sterben den Tod der Lieb‘ und des Glaubens.
55 Siehe, da sank in die Arme des Jünglings das liebende Mägdlein:
Sterben lass uns zusammen den Tod der Lieb‘ und des Glaubens.
Und sie starben zusammen den Tod der Lieb‘ und des Glaubens.