Erzählverse: Der Blankvers (86)

Die Eulen schrein

Die Eulen schrein. Es schmerzt wie Geierbiss
Ratloser Reue dieser hohle Ton
Der nächt’gen Vögel dumpf und heiß im Hirn.
Die leere Nacht stöhnt: stumm, doch atemschwer.
Mir ist, als atmete ihr Schlund den Rest
Von Glück ein, den ein leerer Tag mir ließ.

 

Ein schwerer, harter Text von Otto Julius Bierbaum, auch durch seine ausschließlich männlich endenden, ungereimten iambischen Fünfheber. Erstaunlich, wie stark er trotzdem an einige leichte Hexameter aus Christoph Martin Wielands „Frühling“ erinnert:

… Schon rauschen von Ferne die Flügel
Der entfärbenden Nacht; die Sonne sinkt hinter dem Gipfel
Purpurner Berge hinab, noch scherzen in ihrem Strahle
Sorglose Eulchen dem Tod entgegen und atmen des Lichtes
Süßen Überrest ein. …

Was an den verwendeten Wörtern liegen muss: Nacht, einatmen, Rest,  Eulen / Eulchen, Glück / Licht, ratlos / sorglos, schmerzt / scherzen; wobei die letzten beiden Paare, inhaltlich gegensätzlich, auf die ganz verschiedenen Stimmungslagen der Texte hinweisen?! Auch spannend zu sehen, was wie ein Beiwort wie „leer“, wie eines wie „entfärbend“ die „Nacht“ näher bestimmt …

Die Kynast-Sage

Beim Goethezeitportal gibt es eine schöne Dokumentation zur Kynast-Sage, die auch einige darüber geschriebene Balladen versammelt. Ich bin dort gelandet, weil ich angefangen habe, über Theodor Körners Vers-Fassung der Geschichte nachzudenken, genauer: über ihre Maßlosigkeit.

Auf Burg Kynast  macht Kunigunde einen „Mauerritt“ zur Bedingung ihrer Heirat in der Hoffnung, dass ihn niemand wagt. Aber vergebens: Ein ihr teurer Jüngling reitet gegen ihren Rat und ihre Bitte – und stirbt. Kunigunde wird krank vor Kummer, erholt sich aber. Drei Brüder wagen den Ritt, wieder taub ihrem Flehen gegenüber; auch sie sterben. Wieder erkrankt Kunigunde, wieder erholt sie sich. Bei den zahlreichen weiteren Bewerbern sieht sie kalt und teilnahmslos zu; alle sterben. Dann kommt ein Ritter, in den sie sich sofort verliebt, und für den sie die Bedingung aussetzen will; er aber besteht darauf, zu reiten, und es glückt. Nun will sie ihn heiraten, er aber sagt nein: er habe den Ritt nur gewagt, um den Jüngling und die drei Brüder zu rächen. Kunigunde, verzweifelt, wirf sich in den Abgrund und stirbt.

Für alle das braucht Körner 40 Strophen, jede zu zehn Versen! Die letzte:

 

Und sie stürzt sich hinab
Ins Felsengrab;
Da klingt es wie Geistergeflüster:
„Die Braut ist gekommen, den Kranz herab!
Was, Liebchen, bist du so düster?
Nun ist das Hoffen und Sehnen verkürzt,
Nun mag sich die Jungfrau vermählen;
Du hast dich uns selbst in die Arme gestürzt:
Kannst wählen,
Der Braut soll’s am Liebsten nicht fehlen.“

 

Nicht schlecht, aber beim Lesen wird man das Gefühl nicht los, das geht kürzer und dadurch überzeugender … Wenn das Medium die Kürze erzwingt, reichen für die ganze Sage auch zwölf Verse – eine in besagter Dokumentation zu sehende Postkarte trägt diesen Text, von „K.B.“:

 

Auf Burg Kynast erzählt die Sage
von einer schönen Kunigund‘:
Als Freiersmann käm‘ nur in Frage,
wer um die Zinnen reiten kunnt.
Den kühnen Ritt manch tapferer Ritter
im Höllengrund büßt mit dem Leib,
nur Adelbert vollbringt das Wunder,
verlässt darauf das schnöde Weib.
Verzweifelt stürzt sich Kunigunde
in Liebesweh den Grund hinab;
noch heut‘ in mitternächt’ger Stunde
ihr Geist entsteigt dem kühlen Grab.

 

Das ist nun allerdings arg knapp; die Wahrheit dürfte, wie immer, irgendwo in der Mitte liegen. Aber da lohnt ein Vergleich mit den anderen Ausgestaltungen der Sage!

Bücher zum Vers (93)

Helmut Prang: Formgeschichte der Dichtkunst.

Schon etwas älter (erschienen 1968 bei Kohlhammer), aber immer noch lesenswert; wenn auch manche Urteile nicht so ausfallen, wie es sich jemand wünscht, der an die Möglichkeit des Erzählens in Versen glaubt. Seite 88, zum Versepos:

Das Fazit dieser historischen Erinnerung ist jedenfalls, dass es seit dem Mittelalter, in Deutschland wenigstens, kein echtes Großepos von bleibendem Wert und lebendiger Dauer gibt. Die neueren Versuche von Klopstock bis Hauptmann, ein wirklich dichterisches Versepos von künstlerischer Bedeutung zu schaffen, sind stets an einer Inadäquatheit von Inhalt und Form gescheitert, weil weder ein zeitenüberragender epischer Stoff von welthaltiger Tiefe und Weite gewählt wurde, noch ein glaubenskräftiges Publikum da war, dass für die subjektiven Erlebnisse und Aussagen eines Dichters empfänglich genug war, um versepischen Werken einen tragfähigen Grund zu bieten. Die Realation von Literatur und Publikum erweist sich wie bei allen Kunstformen von geradezu ausschlaggebender Bedeutung für die Lebensfähigkeit einer dichterischen Gattung oder ihrer besonderen Art.

Das ist ein klarer Standpunkt und, wenn ich auch in manchem Punkt anderer Meinung bin, ein guter Startpunkt, um, zum Beispiel, über das Verhältnis zwischen dem Epiker, seinem Werk und denen, die es auf- und annehmen, nachzudenken.

Erzählformen: Das Distichon (41)

Gedichte über Wasserfälle sind, solange sie sich auf die reine Beschreibung beschränken, recht ähnlich. Drei älterere Einträge, Der Hexameter (53)Das Sonett (13) und Ganz frei, beschäftigte sich mit Gedichten zum Rheinfall, unter anderem auch mit Eduard Mörikes in Distichen gehaltenem „Am Rheinfall“; hier ein weiterer „Fall“, Theodor Körners „Der Zackenfall“:

 

Brausend stürzt sich die Flut in die dunkle, schwindelnde Tiefe,
Und im silbernen Schaum bricht sich die Farbe des Lichts.
Ewig verjüngt sich der Fall; es drängt sich Woge auf Woge,
Und seit Jahrtausenden kämpft hier mit den Fluten der Fels.
Aber umsonst strebt er dem Elemente entgegen,
Und der ewige Kampf bleibt das Gesetz der Natur.
Stolz wie die brausende Flut, so das kühne Streben des Jünglings,
Das durch des Schicksals Nacht mutig den Mutigen reißt.
Hell fließt, wie nach dem Sturze der Bach, nach den Kämpfen der Jugend
Ihm auch des Lebens Strom rein und kristallhell dahin.

 

Das ist, in der Bildlichkeit, schwächer als bei Mörike, und auch in der Versgestaltung ein wenig nachlässiger, bezogen auf das Sibengewicht, und dadurch unruhiger?! Aber trotzdem: Ein gelungener Text!

Zum Vergleich noch eine Prosabeschreibung des Falls aus Körners Zeit, zu finden in den „Bildungsblättern“ von 1807:

„Der Fluss, welcher den Zackenfall bildet, heißt Zackerle. Er war ziemlich stark angeschwollen. Jäh und heldenkühn stürzt er zwischen hohen Granitwänden 145 Fuß (nach Angabe unseres Führers, Zeidler) tief hinab in einen engen, düstern Schlund, wohin ihm das Auge mit Schaudern folgt. Er hat sein Bette wohl zwanzig bis dreißig Fuß breit in den Granitfelsen ausgehöhlt. Das Tosen des Sturzes war so stark, dass wir einander im Sprechen kaum verstehen konnten. Gegen sechzig Fuß stürzt das Wasser beinahe senkrecht und in einem schmalen Strahle herab; dann rauscht es ungleich breiter über einen schroffen Felsen, beinahe noch einmal so tief, herunter. Wie das eilt und bricht und schäumt! Mit jedem Augenblicke erscheint das Wogengetümmel erhabner, bewegt es stärker das Innerste.“ (M. Hergang)

Mutamur

Grünlich-grau, gedrungen, bewegungslos liegst als ein Stein du
Mir zu Füßen und hüpfst quakend davon als ein Frosch.

Erzählformen: Das Sonett (16)

Häufig benutzte Formen wecken Erwartungen, da sie meist auf eine bestimmte Art benutzt werden, die dem Leser vertraut wird und die er mit dieser Form verbindet. So auch beim Sonett! Nutzt es dann Friedrich Bodenstedt, um in „Der Ararat“ nicht in einem einzelnen Sonett, sondern in einem Sonett-Paar kein Liebesgedicht, keine gedankliche Zergliederung, kein „Ich“ zu verwirklichen, sondern eine Natur-Beschreibung (im ersten Sonett) samt der Schilderung einer kleinen Begebenheit (im zweiten Sonett), ist man zuerst einmal erstaunt!

Leider ist die Sprache der beiden Sonette recht formelhaft, was ihnen etwas von ihrer Wirkung nimmt?!

 

I.

Um Hocharmeniens alte Königsstadt
Im ersten Frühlingsblühn prangt die Natur;
Still ist’s umher – Cicaden schwirren nur
Durch’s junge Grün – am Baum regt sich kein Blatt.

Hier sieht das Aug’ an Schönheit sich nicht satt:
Fernher blitzt des Araxes Silberspur,
Zum blauen Himmel ragt aus blumiger Flur
Die Majestät des hohen Ararat.

Zu seinen Füßen dehnen sich vier Länder;
Buntsamtne Au’n umschlingen als Gewänder
Die Knie – demanten schimmert seine Krone;

Der ewige Schnee umgürtet seine Hüfte,
Kaum wagen sich die Könige der Lüfte,
Die Adler, bis zu seinem Wolkenthrone.

 

II.

Zum ersten Male von der Hochburg Zinnen
Sah ich den Gipfel, der die Arche trug,
Da noch die Sündflut ihre Wogen schlug,
Daraus der Herr nur Noah ließ entrinnen.

Und wie ich stand in weihevollem Sinnen,
Schwang sich zum Licht ein Aar in stolzem Flug,
Und vor mir zog ein Karawanenzug,
Wo klar der Sanga heilige Fluten rinnen.

Da plötzlich hielten Pferd’ und Dromedare,
Die Reiter in blauschimmerndem Talare
Hinsanken betend auf der Erde Schoß.

Und heilige Stille herrschte in der Runde,
Nur von der Stadt aus des Muezzin’s Munde
Erscholl’s vom Minarette: „Gott ist groß!“