Wenn eine Verfasserin eigentlich nur gereimte Gedichte in ihren „gesammelten Werken“ hat; aus welchen Gründen sind dann die wenigen Texte in „antiken“ Maßen entstanden? Ein weitverbreiteter Grund – die Wahl der Form als Folge des gewählten Inhalts – lässt sich bei Isolde Kurz‘ „Tote Götter“ vermuten:
Dein Tempel ist verwaist und dein Gott ein Traum,
Kein Glaube wärmt, o Seele, dein ödes Haus,
Doch bleibt der Ort geweiht, und fernab
Rauscht des geschäftigen Tags Gemeinheit.
So liegt im Hain zertrümmert ein Götterbild,
Sein Dienst vergessen, ach, seine Priester tot!
Das edle Haupt zerschellt, doch Hoheit
Strahlt von dem herrlichen Rumpf noch immer.
Der Vorzeit Geister hüten die Stätte treu,
Den Leib umgießt verklärendes Abendrot,
Die Lüfte reden leis‘, und lieblich
Duften die Blumen, wo Götter schlafen.
Ja, tote Götter, euer ist noch der Ort,
Und dein des Herzens Stille, Erinnerung;
Doch euer Tag ist um, und ewig
Trauert die Seele, dass Götter sterben.
„Doch euer Tag ist um“ – das ist, irgendwie, eine sehr schnörkellose Feststellung … Die alkäischen Strophen sind sicher gebaut, man merkt, dass Kurz ungeachtet der Reim-Vorliebe ein sicheres Verständnis dieser Form hatte! Die Art, wie in den ersten beiden Versen jeder Strophe die Zäsur nach der fünften Silbe mal beachtet, mal abgewandelt wird, gefällt zum Beispiel; Das „Springen“ von einer Strophe in die nächste, was die antiken Strophenformen ja viel eher ermöglichen als spätere Reimstrophen, fehlt allerdings. Nicht schlimm, aber ein wenig eine verpasste Möglichkeit …