Neunter Gesang

Als aufwachte der Mensch, lag still an der Seite der Hund ihm.
Höchlich erfreut, liebkoste der Herr den getreuen Gefährten,
Und, dankbaren Gefühls, liebkoste der Diener den Herrn auch.
Doch schnell wandt‘ er sich ab, weit horchend hinaus in die Ferne,
Deutend mit Knurren und hartem Gebell auf verdächtige Töne.
Jetzt auch lauschte der Mensch; es war, als hörte er Stimmen,
Nimmer vernommener Art, von nimmer gesehenen Tieren.
Eilends daher hin lenkt er den Schritt nach entlegener Gegend,
Mit ihm laufend der Hund, oft vor, oft schweifend zur Seite.
10 Weiter und weiter gelangt, auch höher und höher gestiegen,
Hörte der Mensch in gewalt’ges Geheul sich verwandeln die Stimmen!
Nicht mehr wollte der Hund in die Ferne vorausgaloppieren!
Bald, noch höher gelangt, zum Gebrüll gar wurde das Heulen;
Und dicht hinter dem Herrn schlich, angstvoll winselnd, der Hund hin!
Jetzt von der Spitze des Bergs schaun konnte der Mensch mit Entsetzen
In ein düsteres Tal, mit gewaltigen Felsen ummauert.
Da – kaum traut er dem Blick – wild raste verfolgende Mordlust,
Denn in die Tierwelt auch der Verderber sich hatte geschlichen,
Hatte Gewürmen den Stachel und Schlangen die Zähne vergiftet,
20 Hatt‘ unschuldige Lämmer im Schlafe gepackt und zerrissen,
Und der Hyäne, dem Tiger, dem Löwen zur Speise geboten.
Als nun diese des rauchenden Bluts und des Fleisches genossen,
Wurd‘ ihr Wesen durchglüht von ergrimmt-blutdürstiger Wildheit,
Schien aus den Augen heraus wird-tödliches Feuer zu sprühen,
Wuchsen alsbald aus den Tatzen hervor die verwegenen Klauen,
Füllte zermalmendes, scharfes Gebiss die gewaltigen Rachen,
Und furchtbares Gebrüll schrie aus die zerstörende Kampfwut!
Schaudernd erblickte der Mensch ein nimmer geahnetes Schauspiel!
Hinter dem Lamm her stürzte der Wolf mit gefräßiger Mordgier,
30 Und die Hyäne zerriss, wutlachend, das röchelnde Zicklein!
Löw‘ und Tiger zugleich an fielen den Stier auf der Weide,
Der mit dem kräftigen Horn laut brüllend zur Wehr sich setzte,
Aber im Kampf mit zerreißender Wut bald niedergestreckt ward.
Doch um die Beute begann jetzt zwischen den grimmigen Siegern
Noch viel wilderer Kampf! Sie zerfleischten mit Krallen und Zähnen
Blutig der Eine den Andern, in immer gesteigertem Hasse,
Bis, schmerzheulend, entfloh der besiegte, verwundete Tiger,
Und, als Sieger, der Löw‘, in dem Stolze des Königs der Tiere.
Schüttelt‘ die Mähn‘ und schauet‘ umher, ob einer es wage,
40 Noch ihm streitig zu machen die siegend eroberte Beute.
Kein Tier nahte sich ihm; doch fernab lauerte listig
Unter verschwieg’nem Gesträuch die gepanzerte, riesige Schlange,
Bis, nichts fürchtend, ein Ross sich genaht der verborgenen Feindin.
Jetzt, aufhebend das Haupt, schnell schoss sie hervor aus dem Dunkel,
Wand um den Hals des erschrockenen Tiers den erwürgenden Ringel,
Riss es zu Boden, umschlang ihm den Leib und die kämpfenden Glieder,
Drückt‘ es und presst‘ es in enger zusammen geschrobnen Gewinden,
Bis die Gebein‘ einbrachen, und stockte der stöhnende Atem.
Klagend hinweg da wandte der Mensch die erschrockenen Blicke,
50 Eilte zurück von der Höhe des Bergs in die liebliche Tiefe,
Wo kein reißendes Tier noch störte den glücklichen Frieden.
Zeus auch donnerte jetzt aufs neue zu Boden den Dämon,
Dass sein tückischer Sinn abließ vom Verderben der Tierwelt.
Weit fort wurden gescheucht die verwüstenden, grimmigen Tiere,
Stürzten mit lautem Gebrüll bis fern in die traurige Wüste,
Und nie wieder erblickte der Mensch ihr wildes Beginnen.
Nicht mehr witternd Gefahr, war froh nun wieder der Hund auch;
Munter umsprang er den Herrn, und leckt‘ ihm kosend die Hände.
Dessen erfreut, liebkoste der Herr ihn wieder, und sagte:
60 „Du bist, freundlicher Hund, mir das liebste von allen Geschöpfen,
Denn gleich traulich herbei kamst du aus der Ferne gelaufen,
Recht, als hätte für mich dein Wesen der Schöpfer ersonnen.
Größer, als du, sind viele der Tier‘ auch schlanker gestaltet;
Doch sie starren mich an, nichts sagenden, schüchternen Blickes,
Laufen und springen davon, weit über die Felsen und Berge;
Haben sie Flügel, so schwingen sie gar zu den Wolken empor sich;
Oder sie glühn von verderblicher Wut, und verfolgen und morden
Andr‘ unschuldige Tiere, mit schrecklichen Krallen und Zähnen!
Du, mein freundlicher Hund, bleibst ferne von solchem Beginnen,
70 Folgst, unermüdlichen Laufs, mir nach in der Näh‘, in der Ferne,
Liegst in dem Dunkel der Nacht mir treu und vertraulich zur Seite,
Und liebkosest am Morgen sogleich mich, wenn ich erwache.
Drum dich wähl ich auf immer zu meinem vertrauten Gefährten,
Und kein anderes Tier wird je mir lieber als du sein.“
Sprach’s, und streichelte freundlich den froh aufspringenden Liebling,
Blickte vergnügt zu dem Himmel empor, laut dankend den Göttern,
Dass sie, gnädig und mächtig, die Erde so herrlich verschönet.
Gern viel hätt‘ er von Zeus und dem Himmel erzählt dem Gefährten;
Doch dumm-tierischer Art an gaffte der Hund den Erzähler,
80 Ohne den Sinn des vernommenen Lauts zu verstehen, zu ahnen.
Andere Tier‘ auch schienen dem Menschen gesellig zu nahen,
Schienen ihm näher zu stehn an Gestalt und gelehrigem Wesen,
Aber zu bald nur sah er getäuscht sein freudiges Hoffen!
Viel wohl äffet‘ ihm nach der gelehrige Orang-Utang,
Aufrecht gehend, mit Händen begabt, wie keines der Tiere;
Und Papageien, geschmückt mit dem buntesten, schönsten Gefieder,
Plauderten, nickenden Kopfs, ihm nach oft einzelne Worte;
Aber, genauer geprüft, war jener, wie diese, zu tief doch
Unter den Menschen gestellt, ihm dauernd genügen zu können.
90 Drum, so herrlich bevölkert die Erd‘ auch war mit Geschöpfen,
Die, harmlosen Gefühls, sich erfreuten des blühenden Lebens,
Stand doch Er, der Erschaffenen Haupt, in der Fröhlichen Mitte
Einzeln und einsam da, oft traurig verlassen sich fühlend.
So einst saß er, erwartend den Mond, am Gestade des Meeres,
Als von dem nahen Gesträuch her tönte der Nachtigall Stimme.
Nie noch hatt‘ er gehört solch seelenbezauberndes Flöten,
Solches Getön, schwermütig, und doch voll sanften Entzückens,
Wonne verkündend und Schmerz in den nämlichen, süßen Akkorden.
Da namloses Gefühl wogt auf in dem Busen des Menschen,
100 Und sein innerstes Herz pries dreimal selig den Sänger,
Den so gnädig die Götter begabt, mit den lieblichsten Tönen,
Was ihm den Busen bewegt, im Gesang‘ aussprechen zu können.
Sehnend zurück an die Leier Apolls auch dacht‘ er und seufzte,
Streckte die Hand zu dem Himmel empor, und bewegte die Finger,
Gleich, als griff er begeistert hinein in die tönenden Saiten.
Doch auch dacht‘ er alsbald, wie sehr er im Saale der Götter
Hatte die Freude gestört durch schneidend ergreifenden Misston:
Und die erhobene Hand sank zagend zurück in den Schoß ihm!
Aber es hatten ihm längst schon gnädig die Götter verziehen,
110 Und beifällig durchschauet‘ Apoll sein Sinnen und Sehnen.
„Ihm soll werden das Glück des Gesangs!“, sprach dieser, und sandt‘ ihm
Einen der Diener hinab mit geheiligt-besaiteter Leier.
Schon aus der Ferne vernahm Ton-Säuseln der Mensch mit Entzücken,
Äolsharfen-Geflüster in träumerisch süßen Akkorden,
sanft aus den Saiten gelockt durch belebt anströmenden Lufthauch.
So in die Hand ihm sank die ersehnte, geheiligte Gabe!
Dankend ans Herz sie drückt‘ er im ersten, entzückten Verstummen,
Griff dann, schüchtern zuerst, bald aber mit steigendem Mute –
Denn ihm leitet Apollo die Hand – in die klingenden Saiten,
120 Und sang, rührenden Tons, was tief ihm den Busen bewegte.
Laut zum Lobe der Götter erscholl der begeisterte Hymnus,
Laut auch pries er, wie schön sie geschmückt die begnadigte Erde,
Sang zum Preise der Sonne, zum Preise des Mondes, der Sterne,
Sang von dem Glück des Gesangs. wie jegliche, irdische Trübsal
Selig vergisst, wen gütig Apoll zum Geweihten erkoren,
Wie er, den Fuß auf der Erde, das Haupt trägt hoch in den Wolken,
Näher den Göttern sich hebt, ihr gnädig erkorener Liebling!
Spät erst schlummert er ein, in dem Arme die heilige Leier;
Und sein Morgengebet ward wieder zum lauten Gesange.
130 Hin zu dem rieselnden Quell oft ging er, und sang der Najade
Freudigen Dank für den kühlen Kristall in der Schwüle des Tages;
Weihte zu Tempeln die Grotten, zu Tempeln die duftenden Haine,
Blättergesäusel erwidernd mit sinnigem Saitengesäusel;
Stieg auf den Berg, weit schauend umher in die lachenden Täler,
Preisend den zaubrischen Reiz, mit welchem die Erde geschmückt war!
Rollte der Donner: er sang Zeus Macht in begeisterten Tönen;
Brauste das Meer, vom Sturme gepeitscht, hoch brandend am Ufer:
Griff er mit kühnerer Hand in die kräftig ertönenden Saiten,
Gleich, als gält‘ es mit Wellen und Sturm laut brausenden Wettkampf.
140 Doch in der Stille des Abends, vom Mondlicht magisch umflossen,
Saß er und sang, war ruhig das Meer, doch am längsten und liebsten.
Ihren geweihtesten Ton dann lockt‘ er hervor aus den Saiten,
Und aus dem Herzen herauf dann sang er die tiefsten Gefühle.
Sehnenden Blicks hin über das Meer oft schaute der Sänger,
Träumend, es zeige die Bahn in Gefilde vergnüglichen Zaubers,
Oder es werden die Wellen sich wandeln in Wundergestalten.
Schüchtern hinauf den wandt‘ er den Blick in die Bläue des Himmels,
Gleich, als hoff‘ er, und fürcht‘ er, es schauen die Götter ins Herz ihm.
Oft wohl fragt er sich dann: „Was suchest du, Tor, in der Ferne?
150 Wurde dir nicht überschwängliches Glück von den Göttern beschert schon?“
Tief dann war er beschämt, anklagend sich selber des Undanks;
Tränen erstickten die Worte des wehmutvollen Gesanges;
Doch in der Brust heiß glühete fort unbezwingliches Sehnen.
Sich nicht mocht‘ er gestehn, noch weniger klagen den Göttern,
Welches Gefühl ihm fülle das Herz mit verzehrenden Gluten,
Welch‘ holdseliges Bild aus der Fern‘ ihm nahen sich solle.
Immer in Furcht, aufs neue den Zorn des Gewalt’gen zu reizen,
Der ihn strafend verbannt aus dem seligen Raume des Himmels,
Der ihm gnädig verziehn, und die Erde so herrlich verwandelt,
160 Wagt‘ er es kaum, sich zu denken das Glück, nach dem er sich sehnte,
Und das beängstete Herz fand nirgend erfreuliche Tröstung!