Heinrich Viehoff veröffentlichte 1860 seine „Vorschule der Dichtkunst. Theoretisch-praktische Anleitung zum deutschen Vers- und Stophenbau, mit vielen Aufgaben und beigegebenen Lösungen“. Wobei der „praktische Anteil“, also die Aufgaben und Lösungen, einen sehr ernstgemeinten und umfangreichen Teil des Buches bildet – alleine für das epigrammtisch verwendete Distichon sind 67 Übungen aufgeführt! Ein Beispiel, erst die Aufgabe, dann die Lösung:
23. Die schlimmsten Diebe
Ihr verschließt euer Haus vor jeder Art von Dieben, nur nicht vor den schlimmsten, die euch um die Zeit bestehlen.
23. Die schlimmsten Diebe
Sorglich verschließt ihr das Haus jedweder Gattung von Dieben,
Nur nicht der schlimmsten Art, die um die Zeit euch bestiehlt.
Wobei diese „Lösung“ keineswegs als eine bestmögliche zu verstehen ist! Viehoff, ganz Pädagoge, schreibt dazu im Vorwort in Bezug auf die Frage, warum denn nicht Beispiele „unserer ersten Dichter“ gewählt wurden:
Wenn es auf praktische Übungen ankommt, so ist es nicht pädagogisch, nicht methodisch, den Anfänger in einer Kunst auf Schritt und Tritt durch die Höhe des vorgehaltenen Ideals zu demütigen und zu entmutigen. Nur das Ziel, das uns erreichbar dünkt, lockt uns vorwärts, und um so stärker, je näher es winkt, wär’s auch mitunter nur optische Täuschung. Die angehängten Lösungen sollen dem Lehrling zeigen, was vorläufig, auf der Stufe, wo er eben steht, von ihm erwartet und verlangt wird. Größtenteils aus meinen Übungen, unter Bei- und Nachhilfe des Lehrers hervorgegangen, tragen sie mehr als Gedichte, die man unseren Klassikern entnommen hätte, die Bürgschaft in sich, dass die Aufgaben nicht zu hoch gegriffen sind, nichts auf dem jedesmaligen Standpunkt des Lehrlings Unlösliches verlangen.
Und das ist, auch jenseits der Schule und des 19. Jahrhunderts, eine sehr vernünftige Ansicht, der man sich, schreibt man sich heute in die Distichen ein, nicht verschließen sollte: der Weg ist lang, man gehe einen Schritt nach dem anderen.