Diese „fragmentarischen Winke“, wie sie im Untertitel heißen, sind ein Teil der „Betrachtungen über Metrik“, die August Wilhelm Schlegel an seinen Bruder Friedrich gerichtet hat, und den er darin mit „du“ anredet.
Zu Beginn und gegen Ende lässt sich Schlegel über metrische Fragen im Vergleich zu anderen Sprachen aus, vor allem der griechischen; diese Teile fehlen hier.
Folgende Zeichen werden verwendet:
— meint eine lange Silbe
v kennzeichnet eine kurze Silbe
# steht für eine Hebungsstelle, die von einer kurzen Silbe besetzt wird, oder eine Senkungsstelle, die von einer langen Silbe besetzt wird.
August Wilhelm Schlegel: Über die Regeln des deutschen Jamben
Unsere Sprache neigt sich fast durchgängig zu jambischen oder, welches einerlei ist, zu trochäischen Versarten. Ich könnte dies mit der ausführlichsten Genauigkeit dartun, allein ich will nur auf zwei Punkte aufmerksam machen.
1. Die Quantität der einzelnen Worte. Die einsilbigen sind ebenso häufig lang als kurz. Jenes die Substantiva und Adverbia; dieses immer die Artikel, die wir unaufhörlich gebrauchen, meistens auch die Präpositionen, Konjunktionen, zum Teil die Pronomina. Die zweisilbigen, unter allen die größte Anzahl, sind meistens v — oder — v, seltener — —, und nie v v. Die dreisilbigen Worte folgen ihrer Häufigkeit oder Seltenheit nach so aufeinander: v — v, — v v (deren viele dem Amphimaker ähneln), — v —, dann v — — oder — — v, selten — — —, vielleicht nie (in demselben Worte) v v —. Weiter will ich dies nicht verfolgen; denn die Anzahl der vier- oder mehrsilbigen Worte ist verhältnismäßig nur gering; auch unter ihnen gibt es viele v — v — und — v — v; und die v v — — und — — v v sind für unseren Jamben (oder wie er heißen mag) nicht ganz unbrauchbar.
2. Die ganze Art unserer prosodischen Bestimmung. Die wenigsten Längen und Kürzen sind bei uns absolut; die meisten relativ, nach ihrer Stellung. Sie werden gegen die vorhergehende und nachfolgende Silbe abgewogen und gelten für kurz, wenn sie nur leichter sind als diese, für lang, wenn schwerer. Daher kommt es, dass unsere meisten Molossen (— — —) sich zum — v —, unsere v v v zum v — v neigen. Das erste ist immer der Fall, wenn auf einen trochaisierenden Spondeen eine absolut lange Silbe folgt; z.B. die Schwermut siegt, v — — —. Das zweite leidet auch nur wenige Ausnahmen; etwa: beseligende Ruh, v — v v v —. Huldigung ist — v v, wenn eine vollkommene Länge folgt; aber Huldigungen ist notwendig — v — v.
Also wird gewöhnlich durch diese Folge der Silben: — v v v —, oder v — — — v, der jambische Gang des Verses gar nicht gestört; und man darf ohne Schwierigkeit den jambisierenden Spondeen (v — | — — | v —) und den jambisierenden Pyrrhichius (v — | v v | v —) darin aufnehmen.
Der trochaisierende Spondee ist viel häufiger bei uns als der eigentliche oder gleich abgewogene: alle Zusammensetzungen von zwei Wurzelsilben bilden jenen. Bei unserer begriffmäßigen Quantität kann dies nicht anders sein – denn der allgemeinere Geschlechtsbegriff wird gewöhnlich ans Ende, der spezifische Unterschied, ein Umstand, oder eine Individuelle Bestimmung vorangesetzt; z.B. krank, seekrank, — #, Fall, Rheinfall, — #. Der Geschlechtsbegriff ist leerer, enthält weniger von der Sache – die differentia specifica hat mehr Bestandheit, nähert sich den wirklichen Dingen schon mehr; und dies wird dann auch in der Prosodie bezeichnet. Kommt nun am Ende noch eine Biegungssilbe hinzu, die einen grammatischen Nebenbegriff ausdrückte und also kurz ist, so bleibt zwar der Spondee trochaisierend, aber die letzte Hauptsilbe bleibt doch entschiedener lang als vorher; zum Beispiel Mut, —, Schwermut, — v, schwermütig — — v. Dieser Fuß — — v ist daher in einem Worte nicht angenehm – die erste und letzte Silbe arbeiten sich in Ansehung der mittleren gleichsam entgegen; jene verkürzt, diese verlängt sie. Sie ist also in einer unbequemen Lage, wie ein Mensch, der an einem Arm ein schwereres Gewicht trägt als am anderen. Hieraus ließe sich wieder manches über die Vorzüge des Jamben in unserer Sprache folgern.
Die gleich gewogenen Spondeen entstehen bei uns meisten nur aus Zusammenstellungen zweier einsilbiger Hauptworte; zum Beispiel der Strom braust, v — —. Die Längen müssen so lang als möglich sein, wegen der gegenseitigen Wirkung der Silben aufeinander. Jede Länge misst sich gleichsam an der, die bei ihr steht; und wenn sie der anderen nur die geringste Schwäche anmerkt, wird sie gewiss ihren Vorrang geltend machen. Die Längen müssen einander also durchaus nichts anhaben können. Darum ist dieser Spondeus ein so sehr starker Fuß: zwischen seinen Bestandteilen ist immer eine Art von Kampf.
Klopstock wünscht unserer Sprache mehr Reichtum daran. Er hat der Sponda (er musste den Spondeus erst weiblich nachen, damit man ihn nicht etwa zu einer Leidenschaft nach griechischen Sitten beschuldigen möchte) seine Liebe auf das zärtlichste erklärt, aber zugleich über die wenige Erwiderung geklagt. Diese Ode, deren du dich gewiss erinnerst, zeigt poetische Kunst und zugleich Pedanterie auf ihrem höchsten Gipfel: sie würde vortrefflich in einem poetischen Raritätenkabinett prangen. Der Enthusiasmus sinkt, wenn man näher erwägt, für wen der liebende Dichter schmachtet. Die deutsche Sponda ist nicht die griechische; jene ist eine nervige, knochige, herkulische Schöne, gewaffnet mit Keule und Löwenhaut, aber nicht, wie Omphale, über runden Schultern und zartgeschweiften Hüften: nur ein nordischer Barde kann ihre Umarmungen begehren. Die Wahrheit ist, dass unsere meisten Spondeen durch breite Dehnungen und Diphthonge und gehäufte Konsonanten bis zur gänzlichen Unbrauchbarkeit übellautend sind. Der Dichter mag also eher die Muse bitten, ihm derer, die wir haben, ohne Nachteil entraten zu helfen, als ihm noch mehrere zu bescheren.
Aber wie, wenn sich Klopstock nun gar in der Person seiner Geliebten geirrt, und wie ein Professor sein Ehegesuch an die falsche gebracht hätte? Die Sponda, eine Folge von zwei Längen, ist reichlich in unserer Sprache vorhanden – nur bildet sie leider, von kurzen Silben eingefasst, den Antispastus, der unter allen Füßen am wenigsten musikalisch, und ein wahrer Dämon der Disharmonie ist: zum Beispiel die See tobte, hinaufsteigen, verantworten, Gesichtspunkte, v — — v, und viele Hunderte. Den psychologischen Grund seiner üblen Wirkung hat Moritz recht gut entwickelt, und auch der griechische Name zeigt ihn an: er zieht Ohr und Seele nach verschiedenen Seiten hin. Aus dem Hexameter, Jamben und überhaupt den meisten alten Silbenmaßen ist er deswegen auch verbannt.
Die Sponda steckt also, wie die Alten eine Grazie in der Statue eines rauen Satyrs zu verbergen pflegten, in dem garstigen Gegenzerrer wie eingeschachtelt. Wie wäre sie da herauszuholen? Mit einem Wort, ausgenommen zu Anfang oder Ende eines Verses, ist mit zwei Längen nichts anzufangen; drei müssen beisammenstehen, um den Antispast zu vermeiden. Der Dichter begehrt also eigentlich die Molossa, nicht die Sponda. Indessen muss jene, sonst rau und barbarisch, wie der molossische König Echiopn, doch nicht hierüber eifersüchtig geworden sein, sie gewährt Klopstock, besonderts in der letzten Hälfte des Messias und in seinen späteren Oden, nur allzu oft.
Klopstock macht es dem Jamben zum Vorwurf, dass man dergleichen wie Angst wehklagt nicht ohne Silbenzwang hineinbringen könne. Gott bewahre uns! Wer wird denn ünerhaupt solche Monstrositäten in ein Gedicht bringen wollen? WEnn der Lambe uns davor beschirmt, so verdient er gar schönen Dank.
Wie der Spondeus mit einfassenden Kürzen den Antispast, so bildet der Pyrrhichius mit den umgebenden Längen den schönen Choriambus ( — v v —). Dieses schönen Fußes berauben wir uns freilich, wenn wir aus unseren Jamben den Anapäst ausschließen: allein ich bin auch weit entfernt, den anapästischen Jamben in unserer Sprache zu verwerfen. Vielleicht, wie wir nachher sehen werden, gibts auch eine Auskunft, den Choriambus ohne Aufnahme des Anapästes doch wieder zu bekommen.
Über den Gebrauch der Nebenfüße in unserem Jambus musst du folgende Regeln nur als einen flüchtig hingeworfenen Versuch ansehen.
Den jambisierenden Spondeus und jambisierenden Pyrrhichius kann man fast ohne Skrupel gebrauchen – freilich macht jener den Vers nachdrücklicher, dieser leichter, besonders wenn sie zweimal in demselben fünffüßigen Jamben gebraucht werden. Man muss das nach dem Inhalte abmessen; zum Beispiel:
An allem, was hienieden schönes lebet
v — v # v — v — v — v
Oder:
Du hast mir, wie mit himmlischem Gefieder
v — v # v — v — v — v
Vernahm mein Sinn so reinen Einklang nie
v — v — v — v — # —
Der eigentliche Pyrrhichius darf nur selten gebraucht werden: er würde den Vers entkräften. Hier und da einmal bei sanften und lieblichen Gegenständen tut er eine gute Wirkung; zum Beispiel
Es ist die ewige Magie
v — v — v v v —
Am Ende des Verses macht ihn der Reim unmöglich; aber auch in reimlosen Versen gefällt er mir da nicht: er scheint mir die Spitze der Zeile gleichsam abzustumpfen. Ebenfalls vor einem männlichen Abschnitt, besonders wenn die darauf folgende Silbe nicht ganz entschieden kurz ist; zum Beispiel dieser Vers ist falsch:
Dem Glücklichen | kann es an nichts gebrechen
v — v v | — v v — v — v
Er wäre richtiger so:
Es kann an nichts dem Glücklichen gebrechen
v — v — | v — v # v — v
Erlaubter als jenes ist vielleicht:
Sie wandelte, mit einer Göttin Gange
v — v v v — v — v — v
Zu Anfang des Verses (v v v —) verbietet er sich von selbst – von drei Kürzen vor einer Länge wird gewiss immer die zweideutigste lang.
Trochaisierende Spondeen in zweisilbigen Wörtern können nie so gebraucht werden, dass die längere Länge anstatt der kürzeren Silbe des Jambus stünde.
In dreisilbigen dürfen sie zuweilen so gebraucht werden, doch mit großer Vorsicht, am besten zu Anfang des Verses oder nach einem männlichen Abschnitt: gebraucht man sie anderswo, so muss man vorzüglich dafür sorgen, eine entschiedene Länge vorausgehen zu lassen. Man muss hierbei hauptsächlich den Wohlklang zu Rate ziehen; wehmütig darf eher stehen als aufbrausend. In der letzten Region eines weiblichen Verses darf er durchaus nicht stehen. Haller hat gesagt:
sie sind wie wir hinlässig
v — v — — — v
Es wäre vielleicht kein übler Gedanke, diese Art Spondeen, wo man sie erlaubt, durch einen Pyrrhichius gleich wieder aufwiegen zu lassen, und dem Verse also wieder zu nehmen, was man ihm zuviel gab; zum Beispiel:
Unglücklicher wie du
— — v v v —
Freiwilliges Geschenk
— — v v v —
Der Spondeus, der aus einem einsilbigen Wurzelwort und einem darauf folgenden trochäischen Worte entsteht und zu allen drei Gattungen von Spondeen gehören kann, darf schon kühner angebracht werden; besonders, wenn seine erste Silbe kein starkes mechanisches Gewicht hat. Geh weiter, — — v, könnte man wohl auch am Ende eines Verses sagen; bleibt immer, — — v, wäre da schon bedenklicher.
Der Spondeus aus zwei einsilbigen Wurzelwörtern hat in der Mitte des Verses eine beinah zu große Kraft, weil da drei absolut lange Silben zusammentreten; zum Beispiel die See tobt wild, v — — —. Zu Anfang des Verses hingegen verleiht er Würde und Nachdruck:
Nichts kam ihr gleich auf diesem Erdenrunde
— — v — v — v — v — v
Eben das gilt von der eben beschriebenen Art Spondeen, wenn sie durch das Gewicht der Bedeutung oder mechanischen Beschaffenheit der ersten Silbe trochaisierend werden:
Horch! Hohe Dinge lehr ich dich
— — v — v — v —
Auch nach einem männlichen Abschnitt stehen beide Arten gut. Man bemerkt da, eben wegen der Pause des Abschnitts, die drei vollen Längen weniger – zum Beispiel:
Führt euch ein Augenblick? | Kann Liebe so betören?
— — v — v — | — — v — v — v
Des grauenvollen Turms; | drob schau ich starr
v — v — v — | — — v —
Der Gebrauch der Trochäen ist am engsten beschränkt, sowohl in seiner Beschaffenheit als seiner Stellung.
Bei unserer relativ bestimmten Quantität ist die Vergleichung mehrerer Silben eines Wortes unmittelbarer, notwendiger und sicherer als verschiedener Worte. Daher findet auch bei zusammenstehenden einsilbigen Worten am meisten Unbestimmtheit der Quantität statt. Da nun der Trochäe gerade das Gegenteil des Jamben ist, so würde der Kontrast zu schneidend sein, wenn man Trochäen in einem Worte erlaubte. Es dürfen nur solche gebraucht werden, die aus zwei Wörtern bestehen und bei einer anderen Bedeutung und Wendung der Deklamation auch Jamben oder wenigstens Spondeen vorstellen können; zum Beispiel durchaus nicht deine Gestalt, — v v —, aber wohl: hast du gesehn?, — v v —; Denn es kann auch heißen hast du gesehn?, v — v —.
Ferner: hinter dem Jambus bildet der Trochäus den greulichen Antispast, vor ihm den schönen Choriambus. Er darf also nie nach einem Jambus stehen – daher sind seine einzigen guten Stellen zu Anfang des Verses und nach einer männlichen Pause. Er scheint mir vorzüglich im Anfang dem Vers einen schönen Aufschwung zu geben.
Kennst du mich nicht? sprach sie mit einem Munde
— v v — — v v — v — v
(Zweimal in einem Vers ist doch beinah zu viel.)
Käm uns Homer zurück ins Leben
— v v — v — v — v
Würd‘ er die Schuld dem Gürtel geben
— v v — v — v — v
Weißt du, was er davon gesungen
— v v — v — v — v
Man muss besonders darauf achten, dass der nächste Jambe eine recht bestimmte lange Silbe habe; sonst verliert der Vers seinen jambischen Gang.Fehlerhaft ist zum Beispiel:
Wenn ein kastilian’scher Grande Briefe
— v # # — v — v — v
Auch ist es wohlklingender, wenn mit eben diesem Jamben ein Wort endigt, als wenn eine weibliche Endung folgt; zum Beispiel:
Frei wie ein Gott, und alles dank ich dir
— v v —, v — v — v —
ist schöner als
Siehst du die Wogen der Rebellion
— v v — v # v — v —
Beim Gebrauch aller dieser Nebenfüße ist übrigens die größte Mäßigung zu empfehlen. Einer in einem zweifüßigen Jamben, aufs höchste zwei, und nicht leicht zweimal derselbe; zum Beispiel:
es Könige | in Spanien gegeben
v — v v | v — v v v — v
ist mit seinen eigentlichen Pyrrhichien unerträglich matt.
Nun ist noch die Lehre von den Abschnitten oder Pausen, der Zusammenknüpfung der Zeilen durch die poetischen Perioden, dem Gebrauche der hyperkataletischen Verse oder weiblichen Versendungen übrig.
Was vom jambischen Verse gesagt ist, lässt sich leicht mit den gehörigen Modifikationen auf den trochäischen anwenden.
Eines der besten Muster ist Goethe in der Zuneigung, Iphigenia, Tasso, Claudine, Erwine. Weit weniger ausgearbeitet ist Don Carlos; besonders fehlt es Schillers Jamben oft an Fülle. Lessings Nathan, so viel ich mich erinnern kann, ist für das vertrauliche Gespräch gut. Klopstocks Trauerspiele erinnere ich mich nicht.
Der anapästische Jambus, wie er sich zum Beispiel im neuen Amadis und in einigen Stellen des Oberon findet, hat bisher bei uns eine zu ungebundene Freiheit genossen. Man sollte ihm den Pyrrhichius und Trochäus als Nebenfüße ganz verbieten, ihm nur den Spondeus erlauben, und die Anzahl und die Stellen der zu brauchenden Anapäste genauer bestimmen.
Du musst dich die Mühe nicht verdrießen lassen, lange Stücke, gereimte und reimlose, in unseren Dichtern nach den angegebenen Rücksichten durchzuskandieren und zu deklamieren. Es ist wohl eine verzeihliche Eitelkeit, wenn ich dir dazu auch meine Gedichte empfehle. Obgleich ich mir diese Gesetze nie so deutlich entwickelte, wirst du sie darin doch so ziemlich beobachtet finden.