Die Versfüße

Die Versfüße

Ebenso wie in den Wortfüßen ist auch in den Versfüßen beim Hexameter die größte Mannigfaltigkeit möglich und verlangt. Er gehört zu den gemischten Versmaßen, denn zweisilbige Versfüße (Spondeen und Trochäen) wechseln mit dreisilbigen (Daktylen) in allen Versfüßen außer im fünften und sechsten ab. Die lebhaftere Bewegung des Daktylus wird durch den schwereren Spondeus gestaut und umgekehrt wieder der schwere Gang des Spondeus durch den leichteren Daktylus beflüget, so dass ein gleichmäßiges Schaukeln entsteht, nicht zu bewegt und nicht zu langsam, das dann in der typischen Figur  „ v v | „ v  (oder v v | „ ) seinen natürlichen Abschluss findet.

Hier, im Versschluss, soll sich der Rhythmus des Verses noch einmal rein ausprägen und zweisilbige Versfüße an fünfter Stelle bilden immer eine Ausnahme. Freilich eine Ausnahme, die nicht selten vorkommt. Vorliebe für diese sogenannten versus spondiaci findet man schon bei Homer, weit weniger dagegen im Lateinischen, bei Vergil. In Klostocks Messias hat Strauss nach den späteren Umarbeitungen je einen Spondiacus auf achtzehn Verse gezählt, übereinstimmend damit gibt auch Drobisch 5% an.

Nach Hamels Untersuchungen hätte er in den älteren Ausgaben noch mehr gefunden; nach M. Ettlinger dagegen nimmt die Anzahl in den drei ersten Gesängen später umgekehrt zu: 1748: 85; 1760: 73; 1780: 109; 1799: 112. Diese zahlreichen Versus spondiaci mit ihren beiden zweisilbigen Versfüßen am Schlusse entsprechen dem lyrischen Charakter des klopstockischen Verses überhaupt, der nicht lebhaft und kräftig zum Ziele eilt, sondern retardierend und melancholisch zu Ende kommt.

In Vossens Homer beträgt der Prozentsatz 3%, dem Spondeus im fünften Fuß geht aber fast immer ein Daktylus im vierten voraus. In Goethes munterem Reineke Fuchs kommt in 1000 Versen kein einziger Spondiacus vor, in Hermann und Dorothea 0,6 %. Dass sich Spondeus im fünften Fuß gern mit dem Ausgang auf einsilbiges Wort und auf einen dispondeeischen Wortfuß verbindet, haben wir oben gesehen; M. Ettlinger findet, dass von den 56 durch alle Bearbeitungen des klopstockischen Messias hindurchgehenden Versus spondiaci nicht weniger als 38 auf Dispondeus schließen.

Bei den Griechen überwiegen die dreisilbigen, die hüpfenden Versfüße. Bei den Jömern kommt der zweisilbige Spondeus schon häufiger vor. Auch die deutschen Hexameter sind schwerflüssiger als die griechischen, da wir an Anapästen großen Mangel leiden. Denn wenn Wortfuß und Versfuß im Hexameter nicht zusammenfallen sollen, sieht man sich genötigt, nach choriambischem Tonfall v v | „ entweder mit Anapäst  v v  „  fortzufahren oder mit steigendem Spondeus    ; daher die große Anzahl wirklicher oder durch versetzte Betonung künstlich erzeugter steigender Spondeen bei Voss und seinen Nachfolgern.

Mehrere Spondeen in demselben Vers sind deshalb keineswegs selten. Dass aber ein Vers aus mehr Spondeen aus Daktylen besteht oder dass er nur Spondeen enthält, kommt außer bei onomatopoetischem Ausdruck doch selten vor:

Wo sich des | Bergs Glut | strom un hemmbar | langsam | fortwälzt

Dort wo des | opfernden | Volks Pracht | zug lang | sam berg | auf wallt

Oder gar:

Schwermuts | voll weh | klagt beim | Abschieds | fest Vor | ahnung

Dazu kommt nun, dass der deutsche Hexameter in der Praxis selbst unserer besten Dichter außer den Spondeen noch andere zweisilbige Versfüße duldet, die Trochäen. Daraus ergibt sich, dass das Verhältnis der dreisibligen zu den zweisilbigen Versfüßen im Griechischen und im Deutschen ein durchaus verschiedenes sein muss. Und man sollte das auch gar nicht anders wünschen. Zwischen den griechischen und den deutschen Daktylen, falls diese reine Daktylen sind, ist ein wesentlicher Unterschied. Die griechischen haben einen viel leichteren, sanfteren Fall als die deutschen. Unsere „Längen“ sind im Gegensatz zu den „Kürzen“ länger und stärker betont als die griechischen Längen im Verhältnis zu den griechischen Kürzen; unsere „Kürzen“ noch kürzer, unbetonter und auch lautarmer als die griechischen. Der Gegensatz beider ist also im Deutschen ein weit stärkerer als im Griechischen, die Wirkung eine viel drastischere. Ein Vers aus lauter Daktylen hat im Griechischen einen leise fallenden, im Deutschen einen polternden Charakter:

Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische Marmor

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