Aus: Clotilde von Vallon-Chalys, Dichterin des fünfzehnten Jahrhunderts. Auswahl in freier Übertragung von Franz Freiherrn Gaudy. Berlin 1837. (online)
Triolette aus dem Roman „Chastel d’amour“
(1) Seit meines Herzens Herr an fernem Ort,
Verzehr‘ ich mich schon allzulang‘ alleine!
Der Wangen Röte schwand, hin starb das Wort,
Sein meines Herzens Herr an fernem Ort.
Erbarmt ihn nicht mein Sehnen fort und fort,
Ihn, der ganz Ohr einst war für seine Kleine?
Seit meines Herzens Herr an fernem Ort,
Verzehr‘ ich mich schon allzulang alleine.
(2) Seit ich ihn scheiden sah, seit jenem Tag
Verhüllet sich die Welt in Trauerflöre.
Es schwebt die Zeit mit matterm Flügelschlag
Seit ich ihn scheiden sah, seit jedem Tag.
Mir, die ich weder gehn noch bleiben mag,
Mir ist’s, als ob ich tausendstimmig höre:
Seit ich ihn scheiden sah, seit jenem Tag
Verhüllet sich die Welt in Trauerflöre.
(3) Er sagte mir: Ich lebe nur für dich!
Der Tod allein vermag uns nur zu scheiden!
Und ich entgegnete: So fühl‘ auch ich,
Als er mir sagt: Ich lebe nur für dich!
Und jetzt so fern von mir trotz seinen Eiden?
Weiß ich’s, was er verhänge über mich?
Er sagte mir: Ich lebe nur für dich,
Der Tod allein vermag uns nur zu scheiden.
(4) Ihn sehn schlingt schon allein der Liebe Band,
Und die ihn sah wankt in der Treue nimmer,
Wenn in glückloser LIebe auch entbrannt,
Ihn sehn schlingt schon allein der Liebe Band.
Die Stolzeste, die seine Macht erkannt,
Trägt freudig dieses süße Joch für immer.
Ihn sehn schlingt schon allein der Liebe Band,
Und die ihn sah wankt in der Treue nimmer.
(5) Die Blumen blühen unter seinem Schritt,
Und seinen Mund umweht der Duft der Rose.
Er teilt dem Weltall seine Schönheit mit,
Die Blumen blühen unter seinem Schritt.
Wo ist ein Liebreiz, den man ihm bestritt,
Den er nicht jedem lieh, mit dem er kose?
Die Blumen blühen unter seinem Schritt,
Und seinen Mund umweht der Duft der Rose.