Der Dichter
von Gotthelf Wilhelm Christoph Starke
Ruhig verlebte Philetes in Ioniens Auen die Tage,
Vielen geborgen und arm, doch beglückt durch die Gaben der Musen,
Welche den Göttergenuss nicht selten verleihen der Armut.
Liebend erfreut‘ ihn sein Weib, ihn erfreuten die blühenden Kinder:
5 Für sie beschnitt‘ er den Baum, zog Frücht‘, und vermählte den Weinstock,
Ihnen gehörte sein Lied und der dürftige Lohn des Gesanges;
Und sie genossen mit ihm den ärmlichen Segen genügsam
Und in zufriedenem Harren auf nahe beglücktere Zeiten.
Denn ein bithynischer Fürst, vom Ruhme des Sängers getrieben,
10 Hatt‘ in das Land ihn berufen, damit er in fröhlicher Muse
Taten und Feste der Götter und Helden, die Tugend der Bürger,
Und zur Veredlung des Mahles die Freuden des Lebens ihm sänge.
Wenige Monde nur noch, dann begrüßt er Bithyniens Auen,
Deren geahnete Reize die Seele des Sängers erfüllten.
15 Also sich wiegend in Träumen verließ er sein Hüttchen und wallte
Einsam und Lieder ersinnend am Ufer des kleinen Lethäos,
Wo begeisternd ein Tal in umblühetes Dunkel ihn lockte.
Üppiges Myrthengesträuch verbarg die besonnete Landschaft
Lieblich dem Auge zu Teil, und Rosen umwanden die Zweige,
20 Dass sie den Myrthcn entknospet erschienen, und Vögelein girrten,
Lispelnd verlor sich der West in leise gebogenen Halmen,
Und das beblümete Moos schwoll weicher als seidene Polster;
Aber vor allem entzückt‘ ihn der Zauber der göttlichen Musen,
Welche den Dichter verstrickten in Banden des süßen Gesanges.
25 Wonniglich ging er einher, versunken in schönen Gedanken,
Hörte der Himmlischen Gruß, die des Sterblichen Hütte besuchten,
Schwebte mit ihnen empor zum Olympos, und kostete Nektar,
Folgte dann schauernd hinab zu den Schatten dem schwebenden Hermes;
Freundlich umstrahlt ihn der Glanz von Elysiums goldenen Blumen.
30 Süß war seine Begeistrung, und süß sein liebendes Streben,
Ihre Gebild‘ in den Schmuck harmonischer Rede zu kleiden.
Also verfloss ihm die Zeit, er beachtete nicht ihr Verfließen,
Denn des Gesanges Gewalt entnimmt uns den Fesseln der Stunden.
Käm‘ er doch wieder, so wünscht‘ indes mit den Kindern die Gattin,
35 Denn sie hatte schon lange die Speise beschicket, und hielt sie
Sorgsam und hütend auf Kohlen und stillte die fragenden Kleinen.
Sicherlich haben ein Mahl ihm die göttlichen Musen bereitet,
Welches ihn schöner vergnügt, so redte sie, harret ein wenig,
Sehet, er mag nicht allein, er mag mit dem liebenden Weibe
40 Mag mit euch nur genießen, und mehr als der eignen Erquickung
Freut er sich eures Genusses; nicht lang, so bringt er euch Blumen.
Williglich harrten sie nun, mit ihm nur glücklich sich fühlend.
Aber ihm war es gelungen im lieblichen Streben, des Geistes
Holde Gebild in den Schmuck harmonischer Rede zu kleiden,
45 Und er begab sich zurück, den Verzug nicht ahnend, zur Hütte.
Als er nun näher ihr kam, da gewahrt‘ er von Ferne sein Hündchen;
Aber es hüpfete nicht wie sonst viel schmeichelnd und wedelnd,
Lässig und angstvoll schlich’s ihm entgegen. Ihn rührte der Anblick,
Denn er liebte dass Tier, schon lang‘ es ernährend mit Sorgfalt.
50 Treues Geschöpf, was quält dich? so sprach er bedauernd und strich ihm
Sanft und sanfter das Haar, da wollt‘ es sich dankbar erheben,
Krümmte sich, sank vor ihm nieder, und winselt‘ und zuckt‘ und erstarrte.
Inniger hatte der Hauch der erweichenden Musen des Herzens
Zarte Gefühle gemacht, und werter ihm alles, was atmet.
55 Mitleid netzte sein Aug‘, er bedachte das Eilen des Lebens,
Und die beseelende Kraft, wie schnell und wohin sie verfliege.
Manches versucht‘ er darauf, dem Tiere zu helfen, es regte
Nimmer sich wieder, und ernst betrat er die Schwelle des Hauses,
Fragt‘ und erzählte mit Hast, was draußen das Herz ihm bewegte.
60 Aber erschrocken enteilte die liebende Gattin dem Herde,
Sahe den Unfall erstaunt, mit den klagenden Kindern ihn klagend.
Wahrlich, uns hat ein Gift das Hündlein getötet, begann sie,
Eben umsprang es mich noch, von dem Dufte der Speisen gereizet,
Lüstern und rasch, und schien bald so, bald anders zu bitten,
65 Bis ich ihm gab; fürwahr durch grauses Versehn des Verkäufers
Ward mit erkauftem Gewürz‘ ein Gift mir heute gegeben,
Möge der Arzt uns belehren, uns drohte das bitterste Wehe!
Eilig berief nun Philetes den Freund, den Arzt, in das Hüttchen,
Dieser erforschte das Mahl, und findend die Spuren des Giftes
70 Pries er das rettende Glück, es jauchzte das Weib mit den Kindern.
Dank euch, ihr Himmlischen, Dank! Uns werden noch fröhliche Tage
Von dem Olympos beschieden, so sprachen sie selig, Philetes
Trocknete, brünstig umarmt, sich die Tränen, und rief im Entzücken:
Dank, o Musen, auch euch! Ihr gewähret elysische Wonne,
75 Lehret und stärkt, euch preise mein Lied; mich gütig zu schützen,
Hieltet ihr zaudernd mich fest in den Banden des süßen Gesanges,
Bis die Gefahr uns verschwand, o Dank euch, göttliche Musen!