Bild & Wort (218)

Obwohl hier ein Schachkönig vorkommt, ist es kein Schach-Strip, sondern einer über Go – das ist das Spiel, bei dem Steine geschlagen werden, wenn sie von vier Seiten von Steinen der anderen Farbe eingeschlossen sind. Was manches erklärt (oder eben nicht). „SToNES“, so heißt der Strip über Go, taucht hier jedenfalls häufiger auf demnächst …

Erzählformen: Siebenzeiler (2)

Anette von Droste-Hülshoffs „Das Bild“ ist ein langes Gedicht, aber die ersten drei Strophen genügen sicher, um einen Eindruck zu bekommen:

 

Sie stehn vor deinem Bild und schauen
In dein verschleiert Augenlicht,
Sie prüfen Lippe, Kinn und Brauen
Und sagen dann: Du seist es nicht;
Zu klar die Stirn, zu voll die Wange,
Zu üppig in der Locken Hange,
Ein lieblich fremdes Angesicht.

O wüssten sie es, wie ein treues
Gemüt die kleinsten Züge hegt,
Ein Zucken nur, ein flüchtig scheues,
Als Kleinod in die Seele legt;
Wie nur ein Wort, mit gleichem Klange
Gehaucht, dem Feinde selbst das bange,
Bewegte Herz entgegen trägt –

Sie würden besser mich begreifen,
Seh’n deiner Locken dunkeln Hag
Sie mich mit leisem Finger streifen,
Als lüft‘ ich sie dem jungen Tag;
Den Flor mich breiten dicht und dichter,
Dass deiner Augen zarte Lichter
Kein Sonnenstaub verletzen mag.

 

Ein Gedicht, dass denselben Strophenbau nutzt wie das gestern vorgestellte Gedicht von Friedrich Schlegel: Sieben Zeilen im Reimschema ababccb – wieder die Kanzonenform! Diesmal sind die Verse aber keine trochäischen Dreiheber, sondern iambische Vierheber, was sicher auch zum Eindruck größerer Gelassenheit beiträgt. Und ich denke, da steckt auch größere dichterische Befähigung dahinter; denn „Das Bild“ ist schon ein guter Text, keine Frage!

Erzählformen: Siebenzeiler (1)

Siebenzeilige Strophen sind unter den deutschen Strophen, deren große Mehrheit eine gerade Anzahl von Versen hat, eher die Ausnahme; einen genauen Blick sind sie aber bestimmt wert!

Ein erstes Beispiel, „Freiheit“ von Friedrich Schlegel – kein besonderes Gedicht, aber formal eine sehr häufige Bauform im Siebenzeiler!

 

Freiheit, so die Flügel
Schwingt zur Felsenkluft,
Wenn um grüne Hügel
Weht des Frühlings Luft,
Sprich aus dem Gesange,
Rausch in deutschem Klange,
Atme Waldes Luft!

Was mit Lust und Beben
In die Seele bricht,
Dies geheime Leben,
Ist es Freiheit nicht?
Diese Wunderfülle,
Die in Liebeshülle
An die Sinne spricht?

 

Und so noch neun Strophen. Inhaltlich, nun ja. Aber das Reimschema, ababccb, lässt schon ahnen, dass hier die alte Kanzonenform verwirklicht wird: Der erste Teil des Gedichts (ab) wird im zweiten Teil wiederholt (ab), ehe ein dritter Teil, der länger ist als jeder der beiden Teile davor, aber kürzer als beide zusammen, die Strophe schließt (ccb).

Ohne Frage eine wunderbar runde, fein abgestimmte, gültig wirkende Bauweise! Das abab, der aus zwei „Stollen“ bestehende „Aufgesang“, ist dabei oft eine bekannte Vierzeiler-Strophe, hier die Strophe von (zum Beispiel!) „Alle meine Entchen“. Oder, um beim Schlegelschen Inhalt zu bleiben: Von „Freiheit, die ich meine“ von Schenkendorf. Das anschließende ccb, der „Abgesang“, kann sich im Metrum vom Aufgesang abheben oder, wie hier, sich der gleichen Verse bedienen.

Erzählformen: Das Sonett (18)

Feodor Löwe, eigentlich eher Schauspieler als Dichter, hat „Südliche Sonette“ geschrieben, und darunter dieses:

 

Pan schläft! In allen Wipfeln Mittagsstille!
Man hört des Gottes tiefes Atemholen;
Die jungen Blätter flüstern wie verstohlen,
Und nur in langen Pausen zirpt die Grille.

In Schlummer liegt der hohe Götterwille
Und hat zu feiern der Natur befohlen,
Die Stunden schleichen wie auf Blumensohlen;
Pan schläft! In allen Wipfeln Mittagsstille!

Ein sonnig‘ Netz umschlingt mit goldnen Ringen
Die weite Flur und hält den Bach gefangen,
Bis seine muntern Wellen sanfter klingen;

Den Rosenbusch nur regt ein schüchtern Bangen,
Sehnsüchtig duftet er nach holdem Singen
Der Nachtigall und bebt voll Tauverlangen.

 

Da gefallen mir die Quartette um einiges besser als die Terzette; „Die Stunden schleichen wie auf Blumensohlen“ ist doch nett. Insgesamt sicher keine große Dichtung, aber auch nicht ganz das übliche Sonett-Einerlei?!

Erzählformen: Das Distichon (68)

Gedichte über die Form, in der diese Gedichte geschrieben sind, führen nirgendswohin; ein Kreisen um sich selbst und in sich selbst. Dem sich die Verfasser aber zu allen Zeiten nicht verweigert haben, jedenfalls dann, wenn die Form selbst genügend Gewicht hatte, um als Gegenstand eines Gedichts dienen zu können.

Das ist beim Distichon ganz sicher der Fall. Von Friedrich August Gotthold stammt dieses Doppeldistichon über die Entstehung des Verspaares:

 

Immer zu wandeln allein! rief einst der Hexameter klagend;
Echo tönte zurück: Immer zu wandeln allein!
Und von der Nymphe belehrt erzeugt‘ er sich selbst den Gefährten,
Zweimal sprechend das Wort: Immer zu wandeln allein.

 

Ich begegne ihm immer mal wieder (es findet sich in verschiedenen Metriken und Verslehren des 19.Jahrhunderts) und muss zugeben, ihm noch nicht ganz auf die Schliche gekommen zu sein; aber nun ja, da war eben diese Sache mit dem „Kreisen um sich selbst“ …

Genie und Wahnsinn

Der Sohn des im gestrigen Eintrags angeführten Philologen und Schriftstellers Johannes Minckwitz hieß übrigens auch Johannes Minckwitz und war ein vergleichsweise guter Schachspieler, nicht allzuweit hinter den Besten. Schriftstellerisch tätig war er aber doch, er hat einige zu seiner Zeit vielbeachtete Schachbücher geschrieben, darunter eins über den Schachweltmeisterschaftskampf 1886 zwischen Wilhelm Steinitz und seinem Herausforderer Johannes Hermann Zuckertort.

Alle drei, die beiden Spieler wie der Berichterstatter, nahmen allerdings ein unschönes Ende: Zuckertort war nach seiner Niederlage ein gebrochener Mann, der zwei Jahre später, 1888, an einem Schlaganfall starb; Wilhelm Steinitz setzte der Verlust seines Weltmeistertitels im Jahre 1894 gleichfalls so heftig zu, dass er wiederholt in Nervenheilanstalten eingewiesen werden musste und kurz vor seinem Tod im Jahre 1900 glaubte, Schachfiguren mit Hilfe von aus seinem Körper strömender Elektrizität bewegen zu können; und auch Johannes Minckwitz musste 1894 in eine Nervenheilanstalt, ehe er 1901 von einer Straßenbahn überfahren wurde, vor die er sich wohl selbst geworfen hatte, und als letzter von den dreien starb.

Aber Minckwitz war nicht nur ein starker Schachspieler, sondern auch ein geistreicher Erfinder von Schachrätseln – einige seiner Aufgaben sind auf Turnieren mit Preisen ausgezeichnet worden. Die folgende Stellung allerdings ist ein sehr einfaches Problem, eigentlich mehr eine Fingerübung, veröffentlicht 1866 in der „Schachzeitung“:

[fen]5K1k/8/7p/6p1/8/3B2PP/8/8 w – – 0 1[/fen]

Die Forderung lautet: Weiß am Zug setzt mit seinem fünften Zug matt. Da der weiße Läufer dem auf einem schwarzen Feld stehenden schwarzen König nichts wird anhaben können, ist klar, dass die beiden weißen Bauern ins Geschehen eingreifen müssen:

  1. g3-g4   h6-h5
  2. h3-h4! h5xg4
  3. h4xg5  g4-g3
  4. g5-g6   g3-g2
  5. g6-g7 matt.

Schlägt Schwarz im zweiten Zug den anderen Bauern, 2 … g5xh4, spielt Weiß 3. g4-g5 und weiter wie in der Lösung bis zum Bauernmatt auf g7.

Erzählformen: Das Distichon (68)

Johannes Minckwitz findet in seinem „Lehrbuch der rhythmischen Malerei der deutschen Sprache“ viele blumige Worte; die folgenden gelten dem Distichon.

Die allgemeine Bewegung des Ganzen ist eine spondeisch-daktylische, reich an Wechsel von Anfang bis zu Ende, uneingeschränkt im Hexameter und in der ersten Hälfte des Pentameters, in der zweiten indessen auf den bloßen daktylischen Wechsel angewiesen. Frei sich entfaltend und schwungvoll in ihren Rhythmen sich fortbewegend, schließt die Strophe leichten Tanzes, allgemach ihre Schwingen niedersenkend, so dass sie den Lauf ihres Stromes in sich selbst vollkommen abrundet. Die Melodie desselben ist eine kräftige, rasch auf- und absteigende, sich wiegende und sanft verhallende Tonweise, von Länge nur gering und auf zwei Hauptströmungen beschränkt, deren zweite gleichsam das gebrochene Echo der ersten ist.

Nun ist zum Distichon alles und sein Gegenteil geschrieben und gesagt worden; man muss sich sein eigenes Bild machen. Dabei hilft aber das Zur-Kenntnis-Nehmen solcher Beschreibungen ganz sicher, auch wenn sie vielstimmig sind, nicht immer dasselbe sagen; irgendwo, in der Mitte von all dem, liegt die Wahrheit.

Wobei mir Minkwitz‘ Ausführungen, das sei gesagt, schon recht einleuchtend erscheinen?! In seinen Beispielversen vergleicht er den Distichonklang mit  der „Musik lieblicher Seemelodien“,

 

Welche die Wog‘ aufsteigend erhebt und in Schwingungen fortsetzt,
Bis sie, geborsten, im Ton fallender Wasser zerrinnt.

 

Das ist ein ziemlich stark antikisierendes Distichon:

Welche die / Wog‘ auf- / steigend er- / hebt || und in / Schwingungen / fortsetzt,
Bis sie, ge- / borsten, im / Ton || fallender / Wasser zer- / rinnt.

— ◡ ◡ / — — / — ◡ ◡ / — || ◡ ◡ / — ◡ ◡ / — —
— ◡ ◡ / — ◡ ◡ / — || — ◡ ◡ / — ◡ ◡ / —

Der Vortrag ist dementsprechend nicht ganz so einfach, sollte aber gelingen?! Insgesamt unter den vielen Beispielen, das Distichon an und durch sich selber zu beschreiben, ein guter Versuch; aber keiner der besten …

Erzählformen: Das Distichon (67)

Paul Heyses „Favete linguis“ („Schweigt!“) ist ein Gedicht, das ich nicht mag – als ganzes; einzelnes daraus schon. Die ersten beiden Distichen zum Beispiel:

 

Da ich ein junger Gesell, wie schalt mich oft die Geliebte,
Wenn ich in Schweigen versank mitten im lachendsten Glück,
Um erst ferne von ihr in beflügeltem Wort zu ergießen
All der Gefühle Gewalt, die mir die Nahe geweckt.

 

– Schön! Aber, wie sich gleich herausstellen wird, nur die eine Hälfte einer Entsprechung:

 

So auch wandelt‘ ich stumm vorbei an den holden Gebilden
Südlicher Kunst; erst spät kam das Erlebnis zu Wort.

 

„Holde Gebilde“?! Hm … Dann aber wieder etwas feines:

 

Ist doch Denken Erinnern, und Dichten ein inneres Anschaun;
Worte beschwören den Geist, der sich den Sinnen entzog.

 

Klar, genau und auf den Punkt gesagt! Dahinter aber schließt ein kraftloses, wenig überzeugend gebautes und irgendwie überflüssiges Distichon das Gedicht:

 

Nachzubeleben entschwundenes Glück vermag die beseelte
Rede; lebend’gem Genuss g’nügt ein verworrenes „Ach“.

 

Deutschlands erster literarischer Nobelpreisträger hat eine Menge Verse geschrieben; das meiste davon nicht schlecht, aber eben auch nicht besonders gut. Die Verse hier sind ein gutes Beispiel …

Die Frage bleibt

Beim Auf- und Umräumen ist mir einer der Romane meiner Jugend in die Hände gefallen (heute lese ich keine mehr), „Das Volk der Lüfte“ von Peter S. Beagle, erschienen 1988 bei Klett-Cotta. Darin finden sich auf Seite 106 diese Sätze eines Lautenisten:

Musik sollte etwas ein, das zum Alltag gehört. Man sollte aufhören, die Stücke eines Komponisten zu spielen, sobald der letzte, der weiß, was sie bedeuten, gestorben ist. Der letzte, der die Geräusche noch gekannt hat. In dem Zeug, das ich spiele, stecken Falkenschellen und das Knirschen von Mühlrädern und Lanzenspitzen, die scharf geschliffen werden. Nachttöpfe, die aus dem Fenster geleert, Ruderreihen, die rasselnd ins Wasser getaucht werden. Leute, die schreien, weil der Henker ihnen das Herz eines Hingerichteten zeigt. Ich kann die Geräusche nicht hören, ich spiele nur die Noten. Das müsste verboten sein.

Ja. Das gilt zwar der Musik, gibt aber auch jedem, der der Meinung ist, die alten Formen der Dichtung, und auch die in ihnen verwirklichten Inhalte,  könnten heute noch eine Rolle spielen, beträchtlich zu denken …

Wenn man das mit dem „die Noten spielen“ aber heute nicht lässt, klingt das bezüglich der Laute und der Renaissance (& zum großen Ärger vieler) zum Beispiel so: John Dowland, Come again.