Johann Heinrich Voß: Friedensreigen
Mit Gesang und Tanz sei gefeiert,
O du Tag und, o Nacht, auch du!
Denn er kömmt, der Fried, und erneuert
Die Gefild uns mit Heil und Ruh!
Von der Grenze kehrt, wer gestritten,
Mit der Eichen Laub in die Hütten!
Oh, wie eilt ihr Gang
In der Trommeln Klang,
In der Hörner Getön und dem Siegsgesang!
Wer daheim in Angst sich gegrämet,
O hinaus, und begrüßt das Heer
Mit der Lieb Umarmung, und nehmet
Das Gepäck und das Mordgewehr!
Ja er lebt, dein Sohn, du Betrübter!
Ja er lebt, o Braut, dein Geliebter!
Ja der Vater lebt!
Wie er segnend strebt
Nach der Kindelein Schwarm und vor Freude bebt!
Sei gegrüßt in heiligen Narben,
Mit Triumph uns gegrüßt, o Held!
Mit Triumph auch grüßt sie, die starben
Für Gemein und Altar im Feld!
Doch verschont, unrühmliche Zähren,
Die geweihte Gruft zu entehren!
Es belohnt, o Wais,
Und o Witw und Greis,
Es belohnt die Gemein euch mit Lieb und Preis!
Wie umzog uns schwarz das Gewitter
Der Verschwornen zu Fuß und Roß,
Der Tyrannen Schwarm und der Ritter,
Ein unzählbarer Mietlingstroß!
Doch ein Hauch verweht das Getümmel
Und es strahlt die Sonn an dem Himmel.
Nun beginnt der Tanz
In dem Eichenkranz
Um der Freiheit Altar und des Vaterlands!
Nun erhebt euch, frei der Befehdung,
Die Gewerb und das Land zu baun,
Daß erblühn von Fleiß aus Verödung
Der Verbrüderten Berg‘ und Aun
Dem Gebornen pflanzt und dem Gatten,
Und der Säugling spiel in dem Schatten!
Kein Bezwinger schwächt
Uns Gesetz und Recht;
Es gebeut uns kein Herr, es gehorcht kein Knecht.
O du Vaterland der Gemeine,
Die für all und für einen wirbt,
Wo für aller Wohl auch der eine
Mit Entschlossenheit lebt und stirbt!
Wir Vereinten schwören dir wieder,
Zu beharren frei und wie Brüder!
Ja mit Herz und Hand
Sei geknüpft das Band
Für Gemein und Altar, o du Vaterland!
Wilhhelm August Schlegel zu „Friedensreigen“:
Friedensreigen heißt dieser Hymnus oder Chorgesang, würdig, dass die veredelte Menschheit eines freien Volkes ihre Triumphe am schönsten aller Feste damit feire. Wir werden freudig überrascht und entzückt durch die Harmonie beinah unvereinbarer Eigenschaften: wir sehen hier trunkne Taumel der Begeisterung neben der wolkenlosen Heiterkeit eines besonnenen, in sich gesammelten Geistes; das Augenblickliche erregter Gefühle, und die Selbstständigkeit einer überschwänglichen, ewig gültigen Idee; die Wahrheit des Individuellen und das überlegte Ansehen des Allgemeinen; Hoheit in schlichter Einfalt; ein leichtes lebendiges Volkslied und in Kunstwerk im größten Stil.
(…)
Die ganz eigne rhythmische Kunst, die bei diesem Gedichte aufgewandt ist, würde eine umständliche Zergliederung verdienen. Wir wissen uns nicht zu erinnern, dass in unsrer Sprache je ein so reicher Wechsel melodischer Wendungen und Schwünge, nach dem Vorbilde der alten Lyrik erfunden und geordnet, durch den Reiz des Reims gehoben worden wäre. Der Anapäst ist der herrschende Fuß. Gereimte anapästische Verse sind bei uns zwar nicht selten: entweder ungemischt, bloß mit einem iambischen Vorschlage, oder willkürlich mit Iamben abwechselnd. Hier ist dagegen beides anders: die Stellen, wo der Iambus eintritt, sind bestimmt, und jeder Vers hebt mit einem Anapäst an. Dies hat große Schwierigkeiten, weil nach dem Bau unsrer Sprache selten zwei Kürzen vor einer Länge hergehn. Es ist aber auch sehr wichtig, damit der Anapäst seine ganze Kraft als pes acer et animosus beweise. In der Mitte des Verses laufen die Füße ineinander, man kann beliebig nach Daktylen oder Anapästen einteilen: hat aber das Ohr erst einmal durch die doppelte Anakruse den Eindruck des anapästischen Aufsprungs empfangen, so wird es auch das Folgende mit eben diesem Fuße messen. Der nachher meistens am Ende des Verses eintretende Iambus mäßigt das Ungestüm des Anapästes zum festen Gesange; auch der viermal eingemischte dritte Päon (v v – v) hat bei seiner Flüchtigkeit etwas gefällig milderndes. Die ganze Strophe, die sich ungeachtet ihres Umfanges gleich beim ersten Hören dem Sinn einprägt, schließt auf die befriedigendste Art, sowohl durch den Rhythmus als durch den dreifachen männlichen Reim.