Ludwig Christian Neuffer: Hymne an die Geschäftigkeit
In: Ludwig Christian Neuffer, Gedichte, Steinkopf, Stuttgart 1805, S. 127-138
Welche Göttin besing‘ ich? Wohin strebt mutig das Herz mir?
Holde Gestalten erscheinen; mich grüßen die Töchter des Himmels
In dem beschatteten Tal, und schweben mir freundlich vorüber,′
Aber auf dir verweilet mein Blick, wie soll ich dich nennen?
5 Welch ein preisender Nam‘ ist dir bei den Obern gegeben
Und bei den Menschen umher? Die Ährenkrone beschattet
Deine schimmernde Stirne; dir liegt im Schoße des Reichtums
Schwellendes Horn; du führst die Charitinnen und Musen
Bei den Sterblichen ein, und lehrst sie nützliche Werke,
10 Abzutreiben der Dürftigkeit Los und den hässlichen Mangel,
Guten Gewinn zu erwerben mit vielfachwucherndem Fleiße,
Und in ein schönes Gewand das flüchtige Leben zu hüllen.
Denn es flössen die Tage den darbenden Erdenbewohnern
Ohne Gesang und Freude dahin, verlassen und hilflos
15 Lebte der Mensch bei Menschen, und arm in Mitte der reichen,
Segensvollen Natur, wenn du, o Tochter des Himmels!
Nicht mit erbarmender Huld und liebender Pfleg‘ uns erfreutest.
Siehe, nachdem der Vater, der hoch den Himmel bewohnet,
Auf der Erde das stolte Geschlecht der Menschen geschaffen,
20 Ihm in die Brust das Leben gehaucht und die denkende Seele,
Gab er dich als Gefährtin ihm zu, die schlummernden Kräfte
Mächtig zu wecken und duldenden Geist in den Busen zu senken;
Dass es emsig beginne den Lauf, vor keiner Beschwerde
bebend zag‘ und entschlossen mit allen Gefahren sich messe.
25 Liebreich nahest du ihm, in tausend Gestalten erscheinend,
Bald am rauschenden Quell des nackten Felsengebirges,
Bald in nächtlichen Wäldern und bald am Gestade des Meeres,
Und es geleitete dich die Not und die tröstende Hoffnung,
Jene den Mut zu entflammen, und diese den Mut zu erhalten.
30 Aber nicht achtlos vernahm der Mensch die Winke der Göttin,
Sondern, mit Wahl und Verstand die Schätze der Erde betrachtend,
Rüstet‘ er, ihrer Begeisterung voll, sich schnell zu dem Werke
Und verschmähte die Rast der dumpfen, entnervenden Trägheit.
Sein war rings das weite Gebeit der nährenden Erde,
35 Sein die Pflanzen der Flur und die dichten Bäume der Wälder,
Sein der Tiere Geschlecht und die Fisch‘ in Seen und Teichen,
Sein die verborg’nen Metall‘ im nächtlichen Schoße der Berge,
Aber er kannte noch nicht die ganze Fülle des Reichtums,
Kannte nicht seinen Gebrauch! Erst musste die weise Erfhrung,
40 Sie, der entfliehenden Zeit nur langsam reifende Tochter,
Ihm wegziehen die Bind‘, und die trüben Augen erleuchten.
Machtvoll trat aus der Wildnis der Mensch, im stolzen Gefühle
Strebender Kraft. Nun wölbt‘ er am Abhang rieselnder Quellen
Hütten, und baute das Feld, und gewann sich nährenden Vorrat;
45 Oder er zähmte sich Tiere der Flur, und mächtige Herden
Brüllten um ihn, und vergalten mit reichlichem Wucher die Pflege;
Oder er fing sich den schuppigen Fisch zur leckeren Mahlzeit;
Oder er schweift‘ auf Jagden umher, ob er etwa sich Wildpret
Fahen möchte zum festlichen Schmaus am Tage der Freude.
50 Holde Tochter des Himmels, o du, der Göttinnen beste!
Ach, wie hast du des Menschen gedacht mit liebendem Herzen,
Und auf Pfade des Heils den strauchelnden Fuß ihm geleietet!
Siehe, nun fühlt‘ er sich bald zu größerem Werke vermögend,
Als er die Kräfte versucht, und schritt mit entschlossener Kühnheit
55 Aus dem beschränkteren Reis der ersten, kindlichen Einfalt
Auf die vielverschlungene Bahn des geselligen Lebens,
Denn du, waltende Göttin! beriefst die vereinzelten Kinder
Deiner Huld von dem einsamen Pfad zu deinem Altare,
Durch ein heiliges Band sie fest aneinander zu knüpfen.
60 Welche Geschäfte vollbrachten sie jetzt mit gemeinsamen Streben,
Welche Riesenwerke mit treuverbündeten Kräften! –
Nachbarlich bauen sie jetzt hochragende Häuser zusammen,
Friedliche Dörfer breiten sich aus in fruchtbaren Tälern,
Stolze Paläst‘ erheben das Haupt, und mächtige Städte
65 Steigen empor, durch Graben geschirmt und sichere Mauern.
Wer setzt Schranken und Ziel der alles besiegenden Kühnheit?
Furchtlos steigt sie hinab in die Nacht der alten Gebirge,
Und bald fleußt die gewonnene Beut‘ aus gewaltigen Öfen
Glühend hervor, und der Amboss ertönt von donnernden Streichen;
70 Über das wogende Meer wagt sich das zerbrechliche Fahrzeug,
Und bald kehren die Schiffer, mit fremden Schätzen bereichert,
In den heimischen Port nach glücklich vollendeter Reise.
Einer vermag nicht alles, das Werk muss haben den Meister.
Darum teilest du selbst, holdselige Göttin! die Rollen
75 Liebreich aus, dass jeder nach Kraft und geschickter Gewandheit
Für sein eigenes Wohl arbeit‘ und das Wohl der Gesellschaft,
Und nicht einer zerstöre, was erst die andern bereitet.
Unverdrossen durchpflüge den willigen Boden der Landmann,
Pflanze Reben und Bäum‘ und nährende Früchte des Feldes;
80 Gern verrichte der Städter, was ihm zu verrichten geziemet,
Ob er am Webstuhl sich beschäftige, oder den Meißel
Künstlich‘ führ, ob in glühender Esse die Hand ihm ermüde,
Oder ob er der Nadel sich nähr‘ und der schneidenden Säge:
Doch wem höheren Geist die gütigen Götter verliehen,
85 Und weitschauenden Blick und hocherhab’ne Gesinnung,
Der sei Herrscher im Volk und spreche das Recht nach Gesetzen,
Welche die Klugheit gab, und die Billigkeit halte der Ordnung
Satzungen fest und wehre dem finsterschleichenden Frevel,
Höre der Weisen Rat und führe die Jugend zum Siege,
90 Wenn ein trotziger Feind die friedlichen Grenzen bedrohet.
Also genießen wir alle die Segnungen, welche du schenkest,
Freundliche Göttin!, und keiner verstößt vom Pfade den andern,
Sondern jeder für all‘ und alle für jeden gewärtig,
Sind wir fröhlichen Muts, und es wohnt die göttliche Eintracht
95 Gern bei uns, und bringt uns reichliches Heil in die Wohnung.
Bleib bei uns, o Göttin, und nimm auch künftig die Opfer,
Die wir auf deinen Altären dir weih’n, mit gnädiger Huld an,
Dass du im Zorn uns nicht heimsuchest, und uns zum Verderben
Wendest die strebende Kraft, womit uns die Götter gerüstet.
100 Lass die Weisheit zur Seite dir geh’n und die zärtliche Schonung
Und die fromme Geduld und die unverletzliche Treue.
Denn so diese dich nicht begleiten, Tochter des Himmels!,
Traun, so könnt‘ uns mit eitelem Wahn die Torheit erfüllen,
Dass wir mit nichtigem Tand und kleinem, verächtlichen Spielwerk
105 Und zur Schand‘ entweihten die Kraft des göttlichen Geistes;
Oder es möcht‘ uns hämischer Neid den Busen empören,
Dass wir träten das Recht in den Staub mit tobender Wildheit,
Und es kehrte der Friede von uns auf immer das Antlitz,
Und es fände nicht Sicherheit mehr der Mensch vor dem Menschen;
110 Raub und Mord befleckten uns dann die frevelnden Hände.
Sei uns gnädig, o Göttin!, und wende das schreckliche Unheil
Mütterlich ab, und führ‘ uns die eilenden Tage des Lebens
Schön und heiter herauf, nicht trüb von stürmischen Wettern.
Siehe, du rüstest den Helden zur Schlacht und schmückest mit Ehren
115 Seine Schläfe; du leitest die Hand dem bewunderten Künstler,
Und begeisterst mit hohem Gesang den glücklichen Dichter,
Dem unsterblicher Ruhm mit Palmen die Scheitel begrenzet:
Aber du waltest auch gern beim stillen, bescheidenen Fleiße,
Wenn die liebende Mutter des schwächlichen Säuglinges pfleget,
120 Tag und Nacht sein wartend mit unaussprechlicher Sorgfalt;
Wenn der würdige Vater den Sohn auf die Wege der Tugend
Und zum Tempel der Weisheit führt durch glänzendes Beispiel
Und ermahnende Lehre, dem Staat zum künftigen Stolze;
Wenn mit erbarmender Huld dem hilflosschmachtenden Elend
125 Eine Schale der Stärkung reicht das tröstende Mitleid;
Oder wenn die redliche Treu am Lager des Kranken
Sorgsam wacht, und zu jeglichem Dienst eilfertig sich anschickt.
Ja, du waltest in jedem Bemüh’n preiswerter Gesinnung,
Brichst dem Armen das Brot, umhüllst mit Gewanden die Nacktheit,
130 Zeigst dem Verirrten den Weg, verbindest dem Dulder die Wunden,
Gießest Tropfen der Lust in den Kelch der weinenden Unschuld,
Nimmst gastfreundlich ins eigene Haus den darbenden Pilger,
Bist der Verlassenen Schutz, und teilst nach dem Siege die Kränz‘ aus.
Deinem Pfad, o Göttin! entquillt in Strömen die Freude.
135 Aber es hebet nicht nur der langausharrende Dulder,
Dem du Hilfe geleistet mit segenspendender Rechte,
Freudig das Haupt, wenn der eiserne Arn die Not von ihm ablöst;
Sondern es wohnt auch frohes Gefühl im Busen des Mannes,
Dem du Kräfte verlieh’n, von trauernden Herzen des Kummers
140 Last zu wälzen, und unter dem Volk mit weisem Verstande
Aufzutreten, in Kunst und kluger Erfindung bewandert.
Hoch steht er, wie ein Gott, im Kreise der Brüder, und siehet
Selbstgenügsam die Schöpfungen an, die er herrlich gestaltet.
Darum sei uns gepriesen vor allen Töchtern des Himmels,
145 Und nie sei den Altar von Gelübden und Opfern verlassen.
Mag uns fliehen das Glück und seine täuschenden Gaben
Oft feindselig entzieh’n und an üppige Toren verschwenden,
Mag uns drücken die lastende Hand des eisernen Schicksals,
Und uns traurige Stürm‘ auf der Fahrt des Lebens bereiten:
150 Willig fügen wir uns, und dulden mit ruhiger Seele,
Bleibest nur du uns hold; dann schwinden die Tage des Lebens
Schnell vorüber und minder getrübt, es windet die Ehre
Uns mit lohnender Hand den unverwelklichen Lorbeer,
Und spät weint noch auf unserem Grab der dankbare Enkel.