Diese Seite ist eine Unterseite zur Seite Über Hexameter, auf der viele weitere Texte über den Hexameter zu finden sind.
Aus: Friedrich Kauffmann, Deutsche Metrik (1907)
§ 202 Zur selbstständigen Geltung gelangte der Hexameter erst durch Klopstocks Messias, dessen metrische Ausarbeitung anhand von Gottscheds Musterbeispielen 1746 begonnen und dessen drei erste Gesänge 1748 gedruckt wurden. Der Versuch war glänzend gelungen und mit unglaublichem Erfolg gewann der neue Vers sich das lebende Dichtergeschlecht, verdrängte den Alexandriner und hat seitdem mit Recht als der eigentliche deutsche heroische Vers gegolten. Der Anfang des ersten Gesangs vom Messias lautete in der Ausgabe von 1748:
Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung,
Die der Messias auf Erden in seiner Menschheit vollendet
Und durch die er Adams Geschlechte die Liebe der Gottheit
Mit dem Blute des heiligen Bundes von neuem geschenkt hat.
Also geschah des Ewigen Wille. Vergebens erhub sich
Satan wider den göttlichen Sohn, umsonst stand Judäa
Wider ihn auf; er tat’s und vollbrachte die große Versöhnung.
Aber, o Werk, das nur Gott allgegenwärtig erkennet,
Darf sich die Dichtkunst auch wohl aus dunkler Ferne dir nähern?
Weihe sie, Geist Schöpfer, vor dem ich im stillen hier bete,
Führe sie mir, als deine Nachahmerin, voller Entzückung,
Voll unsterblicher Kraft, in verklärter Schönheit, entgegen.
Klopstock hat sein langes Leben hindurch mit wachsendem Formgefühl an der rhythmischen Struktur seiner Hexameter gearbeitet; in der endgültigen Fassung von 1799 lautet die Eingangspartie:
Sing‘, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung,
Die der Messias auf Erden in seiner Menschheit vollendet,
Und durch die er Adam’s Geschlecht zu der Liebe der Gottheit,
Leidend, getötet und verherrlichet, wieder erhöht hat.
Also geschah des Ewigen Wille. Vergebens erhub sich
Satan gegen den göttlichen Sohn; umsonst stand Juda
Gegen ihn auf: er tat’s und vollbrachte die große Versöhnung.
Aber, o Tat, die allein der Allbarmherzige kennet,
Darf aus dunkler Ferne sich auch Dir nahen die Dichtkunst?
Weihe sie, Geist Schöpfer, vor dem ich hier still anbete,
Führe sie mir, als Deine Nachahmerin, voller Entzückung,
Voll unsterblicher Kraft, in verklärter Schönheit entgegen.
Durch Goethes und Schillers Hexameter ist jede Kritik, welche den Vers als undeutsch bemäkelt, der Boden entzogen. Namentlich Goethes Hexameter sind künstlerisch der schönste Ersatz für antike epische Verse. Die Abstufung in der Silbenquantität, die dem antiken Daktylus eignet, fiel fort; der deutsche Daktylus ist ein dreizeitiges Maß, nicht ein vierzetiges wie der antike Vers. Doch lassen sich Merkmale für die Senkungsreihen gewinnen. Je nach dem Silbengewicht der beiden Senkungen sind echte Daktylen von unechten zu unterscheiden. Überwiegt die zweiten Senkungssilbe vor der ersten, so wird die Dreiteiligkeit des Versmaßes besonders deutlich ausgeprägt: jammervoll, Flügelschlag, fürchte nicht (echte Daktylen); überwiegt die erste Senkungssilbe vor der zweiten, so werden wir eher einer Abart trochäischer Maße gewahr: Jünglinge, fruchtbaren, Hauptstadt der (Welt), hier will ich (unechte Daktylen). Eine dritte Gruppe bilden diejenigen Senkungsreihen, bei denen eine Abstufung nicht hervortritt (doppelte Senkung): betete, Menschlichkeit, löst sich das (Band). In unsern daktylischen Gedichten gehen diese drei Typen durcheinander; aber je nach der Häufigkeit des einen oder anderen Typus entstehen verschieden geartete rhythmische Wirkungen. Echte Daktylen geben dem Gedicht einen hüpfenden Charakter, unechte Daktylen bringen feierliche Ruhe: daher die Verschiedenheit des rhythmischen Eindrucks, den wir von Reineke Fuchs und von Herrmann und Dorothea empfangen; dort schlagen die echten, hier die unechten Daktylen vor, deren Gewicht noch durch zahlreiche zweisilbige Füße verstärkt wird.
Die Hexameter eines Joh. H. Voss in der Übersetzung des Homer, in der Luise, im 70. Geburtstag usw. sind zu antik-akademisch, um als Norm gelten zu können, so virtuos der Autor sie auch zu handhaben verstand (70. Geburstag, Beginn):
Auf die Postille gebückt, zur Seite des wärmenden Ofens
Saß der redliche Tamm, seit vierzig Jahren des Dorfes
Organist, im geerbten und künstlich gebildeten Lehnstuhl,
Mit braunnarbichtem Jucht voll schwellender Haare bepolstert.
Oft die Hände gefaltet, und oft mit lauterem Murmeln
Lass er die tröstenden Sprüch und Ermahnungen. Aber allmählig
Starrte sein Blick, und er sank in erquickenden Schlummer.
Zu den besten Hexametern konnte man die von A. W. v. Schlegel nur rechnen, solange man den griechischen, nicht den deutschen Hexameter suchte (Sämtl. Werke 2, 32):
Gleichwie sich dem, der die See durchschifft, auf offener Meereshöh
Rings Horizont ausdehnt, und der Ausdruck nirgend umschränkt ist,
Dass der umwölbende Himmel die Schar zahlloser Gestirne,
Bei still atmender Luft, abspiegelt in bläulicher Tiefe:
So auch trägt das Gemüt der Hexameter; ruhig umfassend
Nimmt er des Epos Olymp, das gewaltige Bild, in den Schoß auf
Rhythmischer Flut, urväterlich so den Geschlechten der Rhythmen,
Wie vom Okeanos quellend, dem weit hinströmenden Herrscher,
Alle Gewässer auf Erden entrieseln oder entbrausen.
Wie oft Seefahrer kaum vorrückt, mühvolleres Rudern
Fortarbeitet das Schiff, dann plötzlich der Wog‘ Abgründe
Sturm aufwühlt, und den Kiel in den Wallungen schaukelnd dahinreißt.
So kann ernst bald ruhn, bald flüchtiger wieder enteilen,
Bald, o wie kühn in dem Schwung! der Hexameter, immer sich selbst gleich,
Ob er zum Kampf des heroischen Lieds unermüdlich sich gürtet,
Oder, der Weisheit voll, Lehrsprüche den Hörenden einprägt,
Oder geselliger Hirten Idyllien lieblich umflüstert.
Heil dir, Pfleger Homers! ehrwürdiger Mund der Orakel!
Dein will ferner gedenken ich noch, und andern Gesanges.
Platen hat ebenfalls in der Absicht, Hexameter antiken Stils zu bauen, echte Daktylen bevorzugt, die aber ihres hüpfenden Ganges wegen – was er deutlich empfand – für würdige Stoffe schlecht sich eigneten (II, 209):
Hast du Capri gesehn und des felsenumgürteten Eilands
Schroffes Gestad als Pilger besucht, dann weißt du, wie selten
Dorten ein Landungsplatz für nahende Schiffe zu spähn ist:
Nur zwei Stellen erscheinen bequem. Manch mächtiges Fahrzeug
Mag der geräumige Hafen empfahn, der gegen Neapels
Lieblichen Golf hindeutet und gegen Salerns Meerbusen.
Aber die andere Stelle (sie nennen den kleineren Strand sie)
Kehrt sich gegen das ödere Meer, in die wogende Wildnis,
Wo kein Ufer du siehst, als das, auf welchem du selbst stehst.
Oder (II, 290):
Weil der Hexameter episches Maß der Hellenen gewesen,
Glaubst du, er sei deshalb Deutschen ein episches Maß?
Nicht doch! Folge des Wissenden Rat: zu geringen Gedichten
Wend ihn an! Klopstock irrte, wie viele mit ihm.