Erzählverse: Der Hexameter (189)

Dass sich der Hexameter mit einem zweiten, anders gebauten Vers zu einem Verspaar verbindet, ist nichts ungewöhnliches! Allerdings gestaltet sich dann der ganze Text auf Grundlage dieses Verspaares, eine Praxis, von der Friedrich Gottlieb Klopstock in „An die nachkommenden Freunde“ abweicht – er verbindet, dabei ohne festes Muster wechselnd,  gleich drei verschiedene Verse als „Zweitvers“ mit dem Hexameter – diese:

X x x X

X x (x) X x x X

X x (x) X x (x) X x x X

Das gibt dem Gedicht einen ungewöhnlichen Aufbau; und auch der Inhalt ist, na ja: auf aufregende Weise eigenartig …

Unter Blumen, im Dufte des rötlichen Abends, in frohes
Lebens Genuss,
Das, mit glücklicher Täuschung, zu jugendlichem sich dichtet,
Ruh‘ ich, und denke den Tod.
Wer schon öfter als siebzigmal die Lenze verblüh’n, sich
Immer einsamer sah,
Sollte der Vergesser des Todes sein, des Geleiters
In die schönere Welt?
Wünschet‘ ich mir den Beginn zu erleben des neuen Jahrhunderts;
Wäre der Wunsch nicht ein Tor?
Denn oft säumet, zwischen dem Tod‘ und dem Leben, ein Schlummer-
Leben; ist nicht Leben, nicht Tod!
Und wie würde das mich bewölken, der immer sich jedem
Schlummer entriss.
Trennung von den Geliebten, o könnt‘ ich deiner vergessen;
So vergäß‘ ich des Todes mit dir.
Doch nichts schreckliches hat der Gestorb’ne. Nicht den Verwesten
Sehen wir, seh’n nicht Gebein;
Stumme Gestalt nur erblicken wir, bleiche. Ist denn des Maies
Blume nicht auch, und die Lilie weiß?
Und entfloh nicht die Seele des blumenähnlichen Toten
In die Gefilde des Lichts,
Zu den Bewohnern des Abendsterns, der Winzerin, Majas,
Oder Apollos empor,
Zu des Arktur, Zynosuras, des Sirius, oder der Ähre,
Asteropens, Zelenos empor?
Oder vielleicht zu jenes Kometen! der, flammend vor Eile,
Einst um die Sonne sich schwang,
Welche der schöneren, die der Erde strahlet, ihn sandte
Auf der unendlichen Bahn.
Glänzender flog der Komet, und beinah der sendenden Sonne
Unaufhaltbar, so schnell
Schwang der Liebende sich. Er liebt die Erde. Wie freut er,
Als er endlich näher ihr schwebt,
Da sich des Wiederseh’ns! Zu der Erde schallt ihm die Stimme
Aus den jungen Hainen hinab,
Aus den Talen der Hügel, der Berge nicht; und die Winde
Heißt er mit leiserem Fittige wehn:
Alle Stürme sind ihm verstummt, und am ehernen Ufer
Schweigt das geebnete Meer.

Hingestellt

Nichts, wenn er scheitert, entdeckt uns der Vers, und entdeckt, wenn er glückt, nichts;
Nur, dass er ist, und das ist viel in der Leere der Welt.

Schachprobleme (4)

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Matt in 3 Zügen (J. Hönemann gewidmet)

Erschienen am 18. Oktober 1985 in der Schachecke der „Welt“ – und das einzige Problem, das ich je jemandem gewidmet habe; in diesem Fall dem Mann, der die damalige Schachjugend meiner Heimatstadt mit großem Aufwand betreut und gefördert hat!

1.Lg7 – Zugzwang; 1. … Sf2 2.Sc3+ Ke3 3.Lh6#, 1. … Sg3 2.Sxc5+ Kf4 3.Lh6#, 1. … c4 2.Ld4 ~ 3.S(x)c3#.

Ein eigenes Sonett

Ich habe lange Zeit, Sonette! euch gemieden,
Weil euer ewig gleicher Gang
Mich in den Schlaf noch schneller sang,
Als groß ein Krieg sich hebt aus einem kleinen Frieden.

Wenn trotzdem eins von euch hier wächst, dann, weil verschieden
Die Verse sind – der eine lang,
Der zweite kurz, so dass der Zwang
Sich nicht bemerkbar macht. Ein Hoch den Unterschieden!

Jedoch: Wovon erzählt dies Ungleich-Lang-Sonettchen?!
Der Schlaf kommt in ihm vor – warum dann nicht ein Bettchen
In einen Vers hineingestellt,

In das der Frieden sich, um Kraft zu sammeln, kuschelt,
Die Augen schließt und sagt, nein, seht, er träumt schon, nuschelt:
„Ich rette, steh‘ ich auf, die Welt!“

Erzählverse: Der Blankvers (132)

Ferdinand von Saars „Das erwachende Schloss“ zeigt den Blankvers einmal mehr als Mittel der Beschreibung. Das geht über einige Verse, da es sich aber nie langweilig liest, sollen deren alle hier folgen; in ihrer formalen Gestaltung sind sie dabei durchaus einen Blick wert!

Der Morgen dämmert. Seine ersten Lichter
Erhellen matt und kühl des Parkes Grün.
Rings tiefe Stille; leise zwitschernd nur
Regt’s in den Wipfeln sich, und aus dem Spiegel
Des Teiches schnellt ein Silberfisch empor.

Mit dicht verhüllten Fenstern lautlos liegt
Das Schloss, und in den dunkelnden Gemächern,
Vom Schlaf umfangen, liegen die Bewohner.
Selbst jene, die der kurzen Sommernacht
Langsame Stunden schlummerlos gezählt,
Im Seelenaufruhr hin und her sich werfend –
Selbst jene hat des Morgens Schauer jetzt
Zur Ruh‘ gebracht …

Noch eine Stunde. Dann ein erster Ruck –
Und nach und nach belebt sich dieses Schweigen.
Emporgerüttelt aus dem kurzen Schlaf
Der Arbeit hat die Pflicht den Dienertross.
Mit unvergnügter Hast geht er an’s Tagwerk,
Indes verschlaf’ne Bonnen, leisen Fußes,
Vorsorglich seid’nen Kinderbetten nah’n,
Und gähnend ihre Brust die träge Amme
Dem Säugling reicht, der schon nach ihr gewimmert.

Und später dann, von einsam öden Lagern,
Aus öden Träumen, heben seufzend sich
Empor die Lehrer und die Gouvernanten,
Die mit ergrau’nden Häuptern immer noch
Als lebende Vocabelntrichter wandeln.
Sie schlüpfen rasch in abgenützte Tracht
Und blicken in den Hof stumpfsinnig nieder,
Wo wiehernd schon die stolzen Rosse stampfen
Der stolzen Herren, die mit Sporngeklirr
Zum Morgenritt hinab die Treppen eilen.
So Jung, wie Alt. Mit leerer Stirn die Einen
Und leerem Herzen; And’re kühnen Geistes,
Die Brust zerwühlt vom Drang der Leidenschaften,
Von Herrschsucht, Ehrgeiz, Eifersucht und Hass,
Die Brau’n gefaltet und durchfurcht das Antlitz
Von Sorgen des Besitzes und der Macht,
Von Sorgen, die schon früh die Haare bleichen,
Doch auch zum Widerstand die Glieder stählen …

Schon blitzt es gold’ger um das Laub des Parks;
Taufrischer Rosen Duft dringt süß durch Fenster,
So man geöffnet leise zur Erquickung
Für heiße Stirnen, die auf Spitzenkissen
Im Wachen noch fortträumen jene Träume,
Wie sie die Frauen träumen …
Allgemach
Bewegen weiße Arme sich und Schultern,
Und von dem Schnee der Linnen richtet sich
In unbelauschter Pracht die Schönheit auf,
Hier im Erblühen – dort schon im Verblüh’n.

Stets höher steigt die Sonne. Würzig duften
Jasmin und Nelke. Heimgekehrt, erhitzt,
Ist schon die Reiterschaar. Einladend blinken
Unter Platanenwipfeln Silberkannen,
Von holden Lippen tönen Morgengrüße,
Es strecken zarte Hände sich entgegen
Zum Druck und Kuss; von Stimmen wird es laut,
Es klirren Tassen – und nun rollt der Tag
Durch jedes Leben dieser Welt im Kleinen,
Der Tag mit seinem Schicksal – bis sich wieder
Zum Schlummer sanft das letzte Aug‘ geschlossen.

Die Korrelation (6)

Die barocken Poetiken nannten die „versus rapportati“ oft „Trittverse“ oder „Trittreime“, wofür die 1709 erschienene „Erneuerte und verbesserte Grammatika Seyboldi“ folgende Erklärung anbietet:

Ein Trittvers ist, in welchem der Leser über eines, zwei oder mehr Wort treten muss, wofern er die rechte Meinung finden will.

Das ist doch einmal … sinnig. Passend auch, dass vom „Leser“ gesprochen wird – derlei ist zumeist so umfänglich, dass das Auge dem Ohr zur Hilfe kommen muss!

Das gegebene Beispiel ist in dem Scan, in dem ich es gefunden habe, leider durch einen Tintenschmierer nicht ganz zu erkennen – aber auch das kann einmal vorgeführt werden:

(1) Zo- ) Liebe, (3) Müßiggang (1) verderbet, (2) raubt, (3) entfernet
(1) Den – 2) die Seele, (3) Gott. Wohl dem, -ers anderst lernet.

Die Zahlenangaben machen wunderbar klar, was sich aufeinander bezieht; was zusammengehört. Das Unleserliche, nun ja: das kann man auch als nettes Rätsel sehen oder als zusätzlichen Reiz – so wie Reste aus der Vergangenheit, die nur eine Ahnung zulassen, eben reizvoll sind.