In: Gesammelte Werke der Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg, Dritter Band, Perthes und Besser, Hamburg 1821, S. 267 – 274.
Schüchterne Liebe, wie hat dich belohnt die errötende Jungfrau?
Unter der Blüte des Birnbaums saß, vor der Hütte des Vaters,
Gianetta, das lieblichste Mädchen der ganzen Gemeine,
Welche die Krümmung des Tals am schlängelnden Bache bewohnet,
5 Der aus heimlichem Quell, von unzugänglichen Felsen,
Stürzt mit gewirbeltem Schaum; in breiteren Ufern der Tiefe
Fleußt er sanfter und ladet in seiner Kühle die Herden,
Ladet schmeichelnd auch züchtige Mädchen ins einsame Bad ein,
Wo sein süßes Geschwätz den engenden Felsen entrieselt.
10 Leiser fließet er hier, am Fuß des schattenden Birnbaums,
Wo allein, doch unter der Hut der sorgsamen Mutter,
Welche glänzendes Lein der sonnigen Bleiche vertraute,
Gianetta das wollichte Mark aus den zartesten Binsen
Mit den niedlichen Fingern zog. Ihr lispeltet heute,
15 Dachte sie, bebend am Bach; in früheren Stunden des Winters
Sollt ihr leuchten, getränket mit Öl der häuslichen Lampe.
Aber ihr leuchtet vielleicht nicht meiner emsigen Arbeit.
Manche Welle rieselt dahin im Lenz und im Sommer,
Manche Well‘ im Herbste dahin; es gehen der Sonnen
20 Viele noch auf, eh‘ der blühende Zweig von der schwellenden Frucht sinkt,
Welche zu deiner Hochzeit vielleicht, Gianetta, sich rötet!
Ach, dann geh‘ ich von hinnen; verlasse mein Mütterchen! Weinen
Wird sie, doch freut sie sich auch, wenn ihr Gianettchen nun Braut wird.
Oftmal sagte sie: Kind, was du willst. das weißest du selbst nicht!
25 Mütterchen, weißest den du, was du willst? Du flöchtest den Brautkranz
Deiner Tochter gar gern, und weinest gewiss bei der Hochzeit!
Also dachte sie hin und her; im nickenden Köpfchen
Folgten die Augen der Hand, doch nicht die Seele den Augen.
Leise schlich ein Jüngling hinzu, der schlanke Lenardo,
30 Ach, er liebete sie, und ihn Gianetta! Lenardo
War aus dem Eisengebirg‘ vor wenig Tagen gekommen,
Hatte die Jungfrau gesehn im blühenden Reigen, gehöret
Gianettas Gesang, und verschob die Stunde der Heimkehr
Zum Gestade des Meers, zu seinen harrenden Eltern.
35 Ach, du ahnetest nicht, dass Gianetta dich liebte!
Ach, sie ahnete kaum, dass ihrLeonardo sie liebte!
Eurer Liebe Geheimnisse atmeten klopfend im Herzen,
Und bedeckt mit dem rosigen Schleier der Scham. Gianetta
Wollte den süßen Ahnungen nicht die Seele betrauen,
40 Aber sie hoffte! Lenardo, du hattest Liebe geblicket!
Hattest geschwiegen, und Mädchen verstehn das Schweigen der Liebe!
Schüchtern nahet‘ erM als er sie sah, entsank der Mut ihm,
Und er duckte schweigend im Grase hinter dem Birnbaum,
Jeden steigenden Seufzer auf glühenden Lippen erstickend.
45 Jenseit des Baches ging, mit frühem Raube belanden,
Balzo, auf felsigem Pfad, der rüstige Jäger; sorglos
Hummt‘ er ein Lied von den Freuden der Jagd; da sah er das Mädchen,
Sprang, als flöhe vor ihm ein Kitzlein hörniger Gemsen,
An das Ufer hinab, sprang über den Bach, es erschollen
50 Im erschütterten Köcher die Pfeile des Eilenden; laut schrie
Gianettas Mutter, es bebten die Glieder der Tochter.
Vetter Ungestüm, so nannt‘ ihn die ganze Gemeine,
Vetter Ungestüm, begann die zürnende Jungfrau,
Immer so brausend! Immer so wild! Geh, setze dich hier nicht
55 Neben mir hin, du triefest vom Blut der schüchternen Gemse.
Mächtige Tat, mit gefiedertem Rohr die Kinder der Felsen
Laurend zu treffen! Oft stürzt die säugende Gemse verwundet
In die Tiefe, verblutet langsam ihr harmloses Leben,
Und das blökende Kitzlein verschmachtet auf einsamer Höhe.
60 Balzo, ich hasse die Jagd! – O süßes holdseliges Mädchen,
Hasse nur immer die Jagd, so du nur den Jäger nicht hassest!
Siehe, dein Vater jaget ja auch, es jagen die Brüder! –
Keinem Jäger geb‘ ich die Hand! Des lieblichen Lebens,
Wenn mit ergrauender Frühe der Mann die Hütte verlässet,
65 Lang erwarten sich lässt, das Weib mit Unruh‘ erfüllet,
Wert der Unruh‘ oder auch nicht! Gutherzige Närrchen
Sind wir, ängsten uns immer: Ach, dass kein schnaubender Keuler
Ihn verwunde! Dass er sich nicht in Felsen verirre!
Dass er im törichten Lauf nicht flüchtige Gemsen verfolge,
70 Wo dem verwegensten Kletterer auch die Rückkehr versagt ist!
Also härmt sich das Weib vom Morgen bis in die Nacht hin;
Auf ihr ruhet die Last allein und die Sorge der Wirtschaft.
Endlich kommt der strenge Gebieter; das Närrchen empfängt ihn
Froh und dankbar, als wollte sie ihm für die Angst noch danken;
75 Müde streckt er sich hin, und greifet gähnend zum Napfe,
Lässt sich vielleicht, vielleicht auch nicht, die Bissen gefallen,
Welche sie ihm, nur ihm, so lecker bereitet! Er teilet
Mit den Hunden, was sie sich und den Kindern versagte,
Launet wohl gar, und maulet und schmollt das duldende Weib an,
80 Dass er verfehlte die Spur des Rehs, und dem Hasen vorbeischoss. –
Böses Mädchen, du launest mit mir! Ich liebe dich lang schon!
Launest, weil ich dein Herz, wiewohl ein Jäger, verfehlte!
Sage mir nichts von Beschwerden der Jagd! Der Liebe Beschwerden
Sind wohl siebenmal ärger! Das Wild, das heut mir entrinnet,
85 Bring‘ ich ein andermal heim! Doch wer das Auge der Jungfrau
Einmal verfehlt, der hat es gewiss auf immer verfehlet!
Aber ich weiß, was ich weiß, o Gianetta! Der Fremdling
Hat mir die Jagd verdorben! Ah, wie du errötest! Die Jungfraun
Flüstern von ihm und von dir! – Was flüstern die Jungfraun, o Balzo? –
90 Auch die Jünglinge flüstern! Was flüstern die Jünglinge, Balzo? –
Was? Je nun in den Tag hinein! Man sah dich erröten,
Sah dich erbleichen, und sah, wie er mit zitternden Händen
Nahm den Becher, den du mit holder Freundlichkeit reichtest,
Ach, so freundlich! Es ging mir durch Mark und Bein! Doch ich tröste
95 Mich noch eher, so herbe der Trost auch selber mir scheinet,
Wenn der Fremdling dich weit von hier an die Wogen des Meers führt,
Als wenn unsrer Jünglinge einer das Mädchen mir raubet,
Des Gestalt mich verfolget im Tal, verfolgt auf der Höhe!
Grausame Gianetta! – Ich wünsche dir, Jüngling, ein Mädchen,
100 Leicht wie ein Reh und weiß wie der Schaum der sprudelnden Quelle,
Alles wünsch‘ ich dir, nur nicht mich. – Ihm stürzte die Träne
Über braune Wangen, er ging. – So wissen die Jungfraun,
Sprach sie leise, so wissen die Jünglinge, was nur der Fremdling
Wohl nicht weiß? Und wüsst‘ er es auch, nicht zu wissen begehret? –
105 Wohl zu wissen begehrt! O süßes, holdseliges Mädchen! –
Rief er und stand wie ein Engel des Lichts vor dem bebenden Mädchen!
Schüchterne Liebe, wie hat dich belohnt die errötende Jungfrau? –
Lass mich, Jüngling, o schone mein! Geh, sprich mit der Mutter!
Ach, sie sieht uns und lächelt! Verlass mich! – Aber die Mutter
110 Kam und hieß ihn von Herzen willkommen! Dann rief sie dem Alten;
Der auch hieß ihn von Herzen willkommen! Aber das Mägdlein
Schlich errötend hinweg und weinete. Tränen der Liebe
Weinete und beklommener Wonne das liebliche Mägdlein.
Schüchterne Liebe, wie hat dich belohnt die errötende Jungfrau?