Die Taten eines Froschs besang
Einst Schemel, was sich der nicht lang
Gefallen ließ: Er hüpfte
Ins Wasser und entkam dem Netz,
Das die Erinn’rung knüpfte.
Archiv für den Monat Februar 2018
Erzählformen: Die Brunnenstrophe (25)
Im Oktober 1832 besprach die „Allgemeine Literaturzeitung“ den Band „Lyrische Gedichte“ von F.J. Micus. „Der Verfasser dieser Gedichte lebt der Überzeugung, ‚dass es gut seye (sic), das Edle und Schöne, welches Jeder in sich fühlt, der Welt zum Mitgenusse vorzulegen‘, und darum tritt er mit dieser Sammlung hervor“ heißt es da, und dann: „Wir müssen gestehen, dass wir bei der Flut gedruckter Reimereien mit diesem Grundsatz nicht einverstanden sein können.“ Das lässt einen Verriss erwarten, aber die Ablehnung des Bandes wird dann doch respektvoll und nachvollziehbar begründet. Schaut man sich dann die Sammlung an (sie steht im Netz), findet sich vielerlei … entwaffnendes:
Hier wandl‘ ich so gemütlich,
Bald denkend viel, bald nichts;
Hier tu ich mir so gütlich,
Froh linder Luft und Lichts.
Da muss jede Kritik verstummen. Eigentlich. Vielleicht könnte man noch, leise flüsternd, der Brunnenstrophe eine gewisse Mitverantwortung attestieren …
Erzählformen: Das Distichon (112)
Nach den doch recht in die breite geschriebenen Distichen des gestrigen Beitrags hier, als Ausgleich sozusagen, ein Epigramm: Ein einzelnes, die Dinge genau auf den Punkt bringendes Distichon von Freidrich Hebbel.
Prophezeiung
„Deine Freunde sind jung, es wird dir mit ihnen ergehen
Wie mit den Früchten dem Baum: reifen sie, fallen sie ab!“
Ach je … Aber manchmal treffen Prophezeiungen ja auch nicht ein. (Ich frage mich das seit Jahren – hat es hier mit den „Anführungszeichen“ eine besondere Bewandnis?!)
Erzählformen: Das Distichon (111)
Einer der Dichter, die mir immer ein Rätsel bleiben werden, ist Ludwig Theobul Kosegarten. Sein „An Rosa“ fängt so an:
Eine Rose blühte. Sie war die schönste des Gartens;
Ihre schwellende Brust funkelt‘ im perlenden Tau;
Ihre Blätter erglühten im Wiederscheine des Frührots;
Ihr vollströmender Duft lockte den Wand’rer herbei.
Jünglinge liebten die Holde; des Tales blühendste Töchter
Hingen zärtlich an ihr, staunten errötend sie an –
Aber sie welkt‘; ihr Purpur verblich, ihr atmender Duftkelch
Lechzte versiegt; verdorrt trieben die Blätter umher.
Der erste Satz aus drei Worttrochäen ist der untauglichste Weg überhaupt, einen Hexameter zu beginnen; und wofür genau waren jetzt überhapt diese vier Distichen gut – was beginnen sie?
Frühlinge wurden geboren, und Frühlinge starben; der Rose
Uranfänglicher Stoff schwebet‘ im Äther umher.
Und es beseelte des Ewigen Hauch den wandelnden Urstoff,
Hauchete Stimm‘ und Gesang, Leben und Lieben ihm ein.
Eine Nachtigall ward er, die Liederreichste des Tales.
Durch die Weiden am Bach flötet ihr schmelzendes Lied.
Liebende wandelten horchend am Bach, und inniger schlang sich,
Wenn die Sängerin schlug, an den Verlobten die Braut.
Einen Frühling lang sang sie. Es welkte der freundliche Frühling,
Und der Sängerin Lied tönte nicht ferner am Bach.
Mit den sinkenden Blättern entsank sie dem Aste des Strauches
Und zum Äther gerückt wallte der flüchtige Staub.
Ah … ja. Gut. Dieses wissend: wie geht es weiter?!
Frühlinge wurden geboren, und Frühlinge welkten. Noch immer
Wallte der Sängerin Staub in dem ätherischen Raum.
Anscheinend gar nicht – oder doch, jetzt:
Wieder beseelte des Ewigen Odem den wandelnden Urstoff,
Hauchte lebendigen Hauch, edlere Schönheit ihm ein.
Und er reift‘ empor zu einer unsterblichen Seele
Leuchtender Hülle, zu dir, edele Rosa, empor.
Wir nähern uns – wem oder was, ist noch unklar. Wer ist denn, erst einmal, diese Rosa?!
Sieh‘, ein holdes Mädchen entblühte der Asche, mit jeder
Herzgewinnenden Huld, jeglicher Güte begabt.
Traut, wie Schatten, demütig, wie Veilchen, milde, wie Lenztau,
Rein, wie der Lilie Kelch, süß, wie Narzissengedüft.
… Eine Ansammlung von Klischees, augenscheinlich. Ich breche hier ab, der Text geht aber noch ein gutes Stück weiter, was ich weiß, weil ich ihn gelesen habe; aber warum bloß? Dieser Kosegarten ist mir ein Rätsel …
Bild & Wort (264)
Priamel (2)
Kapitäne?
Schlechte Zähne?
Tee in Tassen?
Ziehen lassen!
Erzählformen: Der Zweiheber (30)
„Das Lämpchen“ von Isolde Kurz ist ein Text bescheidener Länge, schlicht in seiner Bewegung, eingängig in seiner Bildlichkeit:
Ein Lämpchen wandert
In unsrem Stamme
Mit heller Flamme
Von Hand zu Hand.
Dem Vater reicht‘ es
An langer Leiter
Der Ahn herunter.
Wie brannt‘ es munter,
Als ich’s empfing,
Und möchte weiter
Im ewigen Wandern
Zu all den andern,
Die unten stehn.
Es strahlt und funkelt
Noch unverdunkelt,
Und dennoch weiß ich:
In meinen Händen
Musst du verenden,
Du schönes Licht.
Sicher kein „lyrisches Schwergewicht“, aber vielleicht gerade darum gut aufgehoben in den jedem Drama abholden Zweihebern?!
Priamel
Jeder, den der Hafer sticht,
Jeder, der die Lanze bricht,
Jeder, der im Gelde schwimmt,
Ahnt, dass man’s nicht wörtlich nimmt.
Erzählverse: Der iambische Dreiheber (10)
Weniger als Erzähl- und mehr als Beschreibvers nutzt Wilhelm Waiblinger den Dreiheber in „Am Ticino“. Zumindest am Anfang:
Du wunderlicher Pluvius,
Du gießest unaufhörlich
Vom Himmel dein Gewässer.
Und Tropf‘ an Tropfen träufelt
Aus deinen nassen Haaren.
Die graue Nebelwolke
Hängt schwankend um die Berge,
Und wandelt über Wälder
Um Piottinos Wände.
Es trauert die Kastanie,
Die überm Glockentürmchen
Der einsamen Kapelle
Die feuchten Blätter wölbet.
In fürchterlichen Schlünden
Wirft donnernd der Ticino,
In Schaumgewölken wirbelnd,
Von Riss zu Felsriss wütend,
Hinab die grünen Wellen.
Dort sucht noch eine Ziege
Auf grüner Mooswand Gräser;
Hier wandelt langsam klingelnd,
Mit tief verhülltem Säumer,
Von Gotthards Wolkenstegen
Ein Maultier seine Straße.
Wobei der folgende erzählende Teil dann eher … schematisch wirkt. Aber der Vers wirkt, leicht, flüchtig, passend zum Geschehen.
Erzählformen: Das Distichon (110)
Eine große Anzahl von Einsilbern wird sowohl im Hexameter als auch im Pentameter mit Misstrauen betrachtet, unter anderem, weil sich dann leicht die Bewegungslinie verwischt, was meint: nicht mehr klar erkennbar ist, wo betont werden soll und wo nicht. Zwei Distichen aus Christian Graf zu Stolbergs „Elegie“:
Das sei fern‘, o Gott der Götter! Erbarme der Mutter
Du dich, o und sein, des den sie liebte, der dir
Reine Hände der Unschuld erhub als Jüngling und dir jetzt –
Furchtbar traf ihn dein Schwert! – feuriger dienet als Mann.
– Wer den ersten Pentameter „in einem Rutsch“ lesen kann, ganz ohne Nachprüfen und -zählen: dem sei zu seinem traumwandlerisch sicheren Verständnis der Pentameter-Bewegungslinie gratuliert! Etwaige Unsicherheiten ergeben sich aber eigentlich nicht aus dem Umstand, dass so viele Einsilber im Vers sind, sondern dadurch, dass nur eine der sechs Hebungen mit einer „Stammsilbe“ besetzt ist?!