Friedrich Rassmann

(1) Richterspruch
Der liebt in seinem Leben nimmer,
Wer nicht den Bund mit Ägle schließt!
Wer sie zur Huldin nicht erkiest,
Der liebt in seinem Leben nimmer.
Denkt nur einmal, ein Frauenzimmer,
Das Anacharsis Reise liest!
Der liebt in seinem Leben nimmer,
Wer nicht den Bund mit Ägle schließt.

(2) Reue
Sie wollte gern mich spielen hören,
Ich war ein Tor, dass ich’s nicht tat!
Ein Tor, da sie so schmeichelnd bat:
Sie wollte gern mich spielen hören.
Vielleicht, dass, meinem Spiel zu Ehren,
Sie selbst nachher zum Flügel trat!
Sie wollte gern mich spielen hören,
Ich war ein Tor, dass ich’s nicht tat.

(3) Warnung
Dann müsst ihr ja kein Mädchen artig heißen,
Wenn es das Spinnrad oder Strickzeug führt.
Und wenn ihm auch das größte Lob gebührt,
Dann müsst ihr ja kein Mädchen artig heißen.
Ihr werdet sehn, ob nicht die Fäden reißen,
Ob es nicht zwanzig Augen gleich verliert;
Damm müsst ihr ja kein Mädchen artig heißen,
Wenn es das Spinnrad oder Strickzeug führt.

(4) Ossian
Nach Lesung einer Abhandlung in den Horen
Es ist so süß, an Ossian zu glauben,
So süß es ist, zu glauben an Homer.
Und wenn auch MacPherson der Dichter wär‘,
Es ist so süß, an Ossian zu glauben.
Kein Kritiker soll mir die Meinung rauben,
Und schritt er auch in Bentleys Rüstung her!
Es ist so süß, an Ossian zu glauben,
So süß es ist, zu glauben an Homer.

(5) Freundschaftlicher Rat
Naht euch nur keinem weiblichen Gesange,
Der reißt euch hin, der ist ein Talisman.
Folgt einem Freunde, der euch warnen kann:
Naht euch nur keinem weiblichen Gesange.
Sie spielte neulich: Klopfe nicht so bange*
Da fing mein Herz erst recht zu klopfen an!
Naht euch nur keinem weiblichen Gesange,
Der reißt euch hin, der ist ein Talisman.

*Eine sehr beliebte Arie aus dem deutschen Alcibiades, komponiert von Demoiselle Friederike Pallas.

(6) Am Fastnachtsabend
Mir fällt’s nicht ein, zum Maskenball zu ziehen,
Woran die halbe Stadt sich heut vergnügt.
Der Reiz der Stille hat mich längst besiegt;
Mir fällt’s nicht ein, zum Maskenball zu ziehen.
Die Platten meines kleinen Ofens glühen,
Mein Pfeifchen brennt und meine Feder fliegt!
Mir fällt’s nicht ein, zum Maskenball zu ziehen,
Woran die halbe Stadt sich heut vergnügt.

(7) Der einundzwanzigste April
Den einundzwanzigsten April
Lebt‘ ich ein Leben wie die Götter!
Es war das schönste Manenwetter
Den einundzwanzigsten April;
Und Daphne gab mir Lotusblätter,
Und was sie sprach, war ein Idyll!
Den einundzwanzigsten April
Lebt‘ ich ein Leben wie die Götter.

(8) Scherzhafte Unzufriedenheit
Wohl hab‘ ich Recht, mich zu beklagen;
Die Mädchen frei’n jetzt alle hier!
Gott Hymen klopft an jede Tür;
Wohl hab‘ ich Recht, mich zu beklagen.
Wie Philipps Sohn werd‘ ich bald fragen:
Was bleibt denn zu erobern mir?
Wohl hab‘ ich Recht, mich zu beklagen;
Die Mädchen frei’n jetzt alle hier.

(9) Der erste Jänner
Den ersten Tag im Januar
Werd‘ ich zeitlebens nicht vergessen!
Ich wünscht‘ ihr Glück zum neuen Jahr,
Den ersten Tag im Januar;
Und sie beteuert mir vermessen,
Dass sie seitdem recht glücklich war!
Den ersten Tag im Januar
Werd‘ ich zeitlebens nicht vergessen.

10) Ja! Solch ein Fest wird sich nie sich wieder zeigen,
Als einst im Garten freundlich uns beschlich!
Jetzt ist uns alles feind und hinderlich;
Ja! Solch ein Fest wird sich nie wieder zeigen.
Wir pflückten Kirschen von den vollen Zweigen,
Sie aß die meinen, und die ihren ich!
Ja! Solch ein Fest wird nie sich wieder zeigen,
Als einst im Garten freundlich uns beschlich.

11) Würdigung des Trioletts
Kein Kenner wird ein Triolett verachten;
Es bleibt ein schönes Spiel der Phantasie!
Und hat es gleich Gedankenfülle nie,
Kein Kenner wird ein Triolett verachten.
Nicht immer will man einen Aar betrachten,
Oft sieht man gern auch einen Kolibri;
Kein Kenner wird ein Triolett verachten,
Es bleibt ein schönes Spiel der Phantasie.

(12) Frage
Das nenn‘ ich eine Frage:
Ob ich genesen bin?
Du lose Schäferin,
Das nenn‘ ich eine Frage!
Ach, für der Liebe Plage
Reicht keine Heilkunst hin!
Das nenn‘ ich eine Frage:
Ob ich genesen bin?

(13) Triolett an ein schönes Mädchen
Maid! Hättest du das Gegenteil gesagt,
So wär‘ ich gestern auf den Ball gegangen.
Neugierig fragt‘ ich: „Wirst du auch dort prangen?“
Maid! Hättest du das Gegenteil gesagt!
Du aber sprachst: „Ja freilich, bis es tagt!“
O Maid, mit hohem Zauber rings umfangen,
Maid, hättest du das Gegenteil gesagt,
So wär‘ ich gestern auf den Ball gegangen!“

(14) Die Gegend am Walde
Hier, wo die Schlüsselblumen sprießen,
Ist jetzt mein liebster Aufenthalt.
Die Gegend wird mir gar nicht alt,
Hier, wo die Schlüsselblumen sprießen.
Tagtäglich geht sie in den Wald,
Sie muss vorbei, sie muss mich grüßen!
Hier, wo die Schlüsselblumen sprießen,
Ist jetzt mein liebster Aufenthalt.