Carl Seidel: Vom Anapäst

Aus: Charinonos, zweiter Band (1828)

Der Anapäst ist nun zunächst der wichtigste der dreisilbigen Versfüße. Wie den daktylischen Reihen, um deren allzu feurigen Gang zu mäßigen, gern ein sinkender Schlussfall gegeben wird, so unterbricht man das stete Pochen und Hämmern dieses gewaltsam aufstrebenden Fußes auch in den Versen selbst schon auf mehrfache Weise; und solcher Gestalt kommt derselbe denn wiederum in metrischen Systemen von verschiedenster Ausdehnung vor.

Der feurig hinreißende Sprung des Anapästs malt zunächst treffend jede rasche und kräftige Bewegung; Streit, Krieg, Gefecht und eben so innerstes Toben des Zornes, der Wut, ja selbst der Raserei werden durch ihn dargestellt mit eindringender Kraft. Sein heftiges Aufstreben und Hindringen zur Arsis kann stets nur eine höchst leidenschaftliche Erregung des Gemüts eigentümlich ausdrücken. Tiefster eigentlicher Seelenschmerz nicht, wohl aber eine pathetische in lärmendem und feierlichem Gepräg sich äußernde Trauer, sinnige Freude ebensowenig, wohl aber bacchantischer Taumel liegen in seinem Bereich. In solchem bestimmt abgeschlossenen Charakter gehört dieser Fuß nur gewissen Gebieten der deutschen Lyrik eigens an; im Epischen dagegen wird derselbe nur charakteristisch hervortreten in einzelnen Fällen.