Achter Gesang

Zeus zornglühender Blitz, wohl hatt‘ er gegolten dem Dämon,
Hatt‘ ihn niedergeschmettert, betäubt, doch nicht ihn getötet,
Denn nicht sterblicher Art war sein unseliges Wesen.
Als er wieder erwacht nun war aus der langen Betäubung,
Sah er, zornigen Blicks, die entstand’ne Verschönung der Erde,
Sah, wie der der Mensch, von den Blumen entzückt, schnell hatte vergessen,
Was an verführenden Schätzen enthielten die Klüfte der Berge.
Tückischen Sinnes, bei Nacht hin schlich er zum Strauche der Rosen,
Hexte daran, hohnlachend, unzählige, spitzige Dornen,
10 War auf die Blätter der Nessel geheim fortglimmendes Feuer,
Und, im gesteigerten Zorn beim Treiben des Werkes der Rache,
Säet‘ er Unkraut, streuet‘ er Gift auf Blumen und Kräuter,
Dass Digitalis, Euphorbium, Schierling und andrer Gewächse
Viele, getroffen davon, giftsaftig auf immer verblieben!
Hätte Selene das tückische Tun nicht störend beleuchtet,
Nicht Zeus schreckender Donner gehemmt das verruchte Beginnen:
Wären die herrlichen Blumen vom Dämon alle vergiftet!
Tages darauf trat wieder der Mensch zu dem prangenden Strauche
Duftender Rosen, und wollte vergnügt abpflücken die schönste;
20 Doch, von den Dornen geritzt, ward blutig verwundet die Hand ihm,
Widrigen Duft aus hauchten umher die vergifteten Kräuter,
Und von der Nessel gebrannt ward schmerzlich des Fliehenden Ferse!
Klagend entfloh der Erschrock’ne zur nächsten, verbergenden Grotte,
Wo nicht grünender Zweig, nicht Blüte die Steine bedeckte!
Dort nur glaubt‘ er gesichert zu sein vor Gefahren und Schmerzen,
Denn es erschien ihm Unheil bringend und feindlich die ganze,
Grünend‘ und blühende Welt der Gesträuche, der Kräuter und Blumen.
Jetzt der Verführer begann aufs neue betörend zu preisen
Erz und Edelgestein im verschwiegenen Schoße der Erde.
30 Silberner Glocken Getön schien leis‘ in den Klüften zu klingen,
Zitterndes Licht schien zaubrisch hervor aus der Tiefe zu strömen!
Doch Zeus, solches gewahrend, zurück gleich scheuchte den Dämon,
Sandte zur Erde herab frohtätiger Genien Scharen,
Die, kunstfertiger noch als gestern die Boten der Flora,
Mit zahllosen Geschöpfen den Erdball sollten bevölkern.
Freudigen Eifers alsbald sie alle begannen zu formen
Tiere verschiedenster Art, dann jegliches froh zu beleben,
Alles gemäß dem allmächtigen Winke des Herrschers im Himmel.
Schauen in tausend und tausend bewunderungswürdigen Spiegeln
40 Sollte der Mensch die erschaffende Kraft des Regierers der Welten!
Leben und Wohlsein sollten in tausend und tausend Geschöpfen
Jetzt überall, lautpreisend, verkünden des Ewigen Güte!
Größtes und Kleinstes, in Tälern, auf Bergen, in Wassern, und Lüften
Sollte bevölkern, vergnüglicher Art, den begnadigten Erdball!
Sieh, da wurde die Erde zu einer gewaltigen Werkstatt,
Gnädig beschaut und gelenkt von dem größten, erhabensten Meister!
Irdischer Stoff, vielartig geformt, mit belebendem Hauche
Schnell aus dem Schlummer geweckt, gab Wunder auf Wunder zu schauen.
Jedes vollendete Tier, war’s so, war’s anders gestaltet,
50 Mocht‘ es im Meer, in der Luft, auf der Erde sich munter bewegen,
Harmlos freute sich jedes des plötzlich begonnenen Daseins,
Jeglicher Pulsschlag war ein Zeuge der göttlichen Allmacht.
Sitzend auf rauem Gestein in der schweigend umfangenden Grotte,
Hatte der Mensch zu Boden gesenkt die verdüsterten Bicke:
Sieh, grüngolden bewegte sich’s da zu den Füßen des Träumers.
„Das ist“, rief er, „gewiss ein köstlicher Stein aus der Erde,
Der, aus der Tiefe herauf, mir ward zur Ergötzung gesendet!“
Froh jetzt griff er danach; doch kaum die Erscheinung berührend,
Wurde der farbige Glanz zu gehobnen, entschlüpfenden Flügeln,
60 Und zu der Grotte hinaus flog lustig der schwirrende Käfer.
Rasch von dem Sitz, neu gierig erregt, sprang auf der Erstaunte,
Trat in das Freie hinaus, der entfloh’nen Erscheinung zu folgen;
Aber im Suchen nach ihr, wie wuchs sein freudiges Staunen,
Als dicht neben ihm hin ein gaukelnder Schmetterling schlüpfte!
Diesem ein anderer nach, noch bunter und schöner beflügelt;
Endlich, wohin nur irrten die weithin schauenden Augen,
Regte sich’s froh überall mit geschwungenen lieblichen Flügeln,
Flattert‘ um duftende Blumen, und spielte vergnügtes Verfolgen.
„Ach!“, rief freudig der Mensch, „nicht buntes Gestein aus der Tiefe –
70 Viel, viel Schöneres ist von den Göttern herab mir gesendet!
Schönes, bewegliches Leben in Tausenden froher Geschöpfe!
O, wie herrlich und reich wird nun die bevölkerte Erde!“
Wo auch weilte der Blick, da kroch‘ es und hüpft‘ es im Grase,
Spielt‘ es auf schwankendem Halm, sog’s Honig aus blühenden Kelchen,
Sucht‘ es und fand es vergnügt gleichartige, muntre Gespielen!
Hoch auf rauschte der Adler, mit großen, gewaltigen Schwingen,
Kühn zu der Sonne den Blick, zu dem Himmel gerichtet das Streben,
Stolz, als wäre er von Zeus schon jetzt der beneidete Liebling!
Weit aus spreizte der Pfau die gefügigen Federn des Schweifes,
80 Aug‘ an Auge gereiht, zu bewundern die eigenen Farben.
Die zu der Erde herab nur konnten vom Himmel gelangen,
Die drum wurden geweiht Zeus stolzer, erhabener Gattin!
Sanft hin schwebte der Schwan, mit dem schlanken, gebogenen Halse –
Gleich zwei schwellenden Segeln, die herrlichen Flügel gehoben –
Über das spiegelnde Meer, ein weißer, lebendiger Nachen,
Liebliche Tön‘ in der Brust, doch ernst noch sinnend und schweigend,
Als ob schon nach der Leier Apolls der Verwunderte lauschte.
Schnäbelnde Tauben, beginnend das Spiel still zärtlicher Küsse,
Weihten zuerst das verschwiegene Tal zum Tempel der Liebe,
90 Dass holdlächelnd auf sie hinblickte die göttliche Venus.
Lieblich befiederte Sänger umflatterten froh die Gesträuche,
Hatten gar viel – so schien es – einander vergnügt zu erzählen,
Jetzt sich die Schnäbel zu wetzen, die Federn zu schütteln, zu glätten,
Schön miteinander zu tun, sich fröhlich zu necken, zu rufen,
Dann, wetteifernd im Chor, um den Preis des Gesanges zu streiten.
Aber sie all‘ überflügelte doch die begeistere Lerche,
Die zu dem Himmel hinauf ihr Freude verkündendes Lied sang.
Als sie höher und höher der Mensch sah steigen und schweben,
Glaubt‘ er. sie kehre zurück zu dem Himmel, von dem sie gekommen,
100 Wolle den Göttern verkünden die Freud‘ und den Dank der Geschöpfe.
„Bring‘ ihm“, rief er ihr nach, „o, von mir auch bringe dem Vater
Aller Geschöpfe den Dank für die neue Verschönung der Erde!
Immer hinauf! Zu dem Throne hinauf des allmächtigen Herrschers,
Ihm, lobsingend, der Erde bezaubernden Glanz zu verkünden!“
Doch wie das scherzend entflohene Kind in der zärtlichen Mutter
Arme zurück bald eilt, so senkte, beschleunigten Fluges,
Wieder die Sängerin sich in den Schoß des befreundeten Tales,
Und in den Wogen von Gras schnell war sie dem Auge verschwunden.
Jetzt ganz neue Gestalten erblickt er mit neuer Verwund’rung.
110 Lämmer und Ziegen, geschart mit Rindern in weidenden Herden,
Ließen ihn furchtlos nah’n, und ließen sich fangen und streicheln,
Während vom Berge herab scheu lauschten die flüchtigen Rehe,
Stolzen Galopps der verschüchterte Hirsch in dem Tale dahin lief,
Und die erschrockene Gems‘, überspringend die Klüfte, felsan flog.
Kräftiger, edler Gestalt her trabte das Ross zu den Menschen,
Stand dann wiehernd und gaffend, als such‘ es den leitenden Reiter,
Über die Berge hinweg, in des Kampfes Gewühl ihn zu tragen.
Doch jetzt bäumt‘ es sich hoch, und, schüttelnd die fliegende Mähne,
Jagt‘ es davon, wild-froh im Genuss ungezügelter Freiheit.
120 Bellend verfolgt es der Hund, wettjagend mit ihm in die Ferne,
Kehrte zurück dann, irrenden Laufs, aufscheuchend im Grase
Laufend‘ und fliegende Tier‘, als woll‘ er sie feindlich verfolgen.
Laut ihm zürnte der Mensch; da horcht‘ er, und kam er gelaufen,
Bot, treu-klugen Gesichts, zum Gefährten sich an und zum Diener,
Jetzt, demütig gebückt. liebkosend, in reger Erwartung,
Dann aufspringend im Nu beim ersten, erfreulichen Winke,
Und mit vergnügtem Gebell antwortend auf jeglichen Zuruf.
Jetzt das Kamel bog willig das Knie, als böt‘ es den Rücken
Schon zum Tragen der Lasten, hinaus in die brennende Wüste.
130 Dann der Koloss Elefant ging, mächtigen Schrittes, vorüber,
Wäre dem staunenden Blick wohl furchtbar drohend erschienen,
Hätt‘ er, in kräftiger Luft, nicht Scherz mit dem Rüssel getrieben,
Gaukelnde Affen gefasst, und hoch in den Lüften geschwungen.
So stets andre Gestalten ergötzen das Auge des Menschen,
Zogen bergauf und bergab ihn, nimmer ermüdenden Fußes,
Und überall jetzt sehend unzählige Tiere sich nähren
Durch zahllose Gewächse, nur weniges klüglich vermeidend,
Sah er mit froherem Sinn auch wieder auf Blumen und Kräuter,
Und so, doppelt entzückt, hin kam er ans Meeresgestade.
140 Eben zurück von dem flach ablaufenden, sandigen Strande
Schwankte das ebbende Meer tief nieder ins ewige Bette;
Und die entfliehende Mutter, in Hast nicht hinter sich sehend,
Ließ unzärtlich zurück unzähl’ge, verlorene Kinder.
Liegend auf trockenem Strand, Seetiere verschiedenster Gattung
Zeigten der schaffenden Kraft unerschöpflich erfind’rische Launen.
Weichstes und Härtestes war vielfältig gepaart miteinander,
Strenge symmetrische Form, mit geregelt ergötzlichen Farben,
Lag dicht neben verdreht-abweichender, kecker Gestaltung.
Hier durchsichtige Quallen, des Meers leicht schwimmende Blumen,
150 Dort der umpanzerten Schnecken und Muscheln unzählige Menge;
Diese geglättet und fein, in den lieblichsten Formen gewunden,
Jene von rauerem Stoff, vielartig gezackt und gekantet,
Oder mit Stacheln besetzt, scharfspitzig das Innre beschützend.
Auch der Korallen Gezweig war purpurfarbig zu schauen,
Während, in wilderem Glanz, die bewunderte Mutter der Perlen
Still anbot den bezaubernden Schmuck, den selbst sie bereitet.
Vieles, in kindlicher Lust, hob auf der vergnügte Beschauer,
Hielt und bewundert‘ er froh, bis Neues und Schöneres wieder
Schnell ihn bewog, mit geschäftiger Hand nach dem Neuen zu greifen.
160 aber das flutende Meer schwoll wieder herauf an dem Strande,
Nehmend zurück in den Schoß die verlassen gewesenen Kinder,
Und trieb weiter und weiter hinweg den geschäftigen Sammler.
Doch jetzt, schauend ins Meer, was sah er für fröhliches Leben
Nieder und auf, in dem hellen Kristall, sich bewegen und spielen!
Scharen von Fischen, die Schuppen bestreuet mit Silber- und Goldglanz,
Stumm zwar, aber vergnügt, gleich Vögeln und anderen Tieren,
Leicht sich bewegend, durchstrichen die Flut in vertrautem Gewimmel,
Oder vereinzelte auch lustschwammen nach eigener Laune,
Sprangen in üppigem Mut keck über den Spiegel des Wassers,
170 Doch rückplätscherten schnell in die heimatliche Behausung.
Munt’re Delphin‘ auf tauchten, um wieder im Nu zu verschwinden,
Während des Meeres Koloss, der gewaltige Rudrer, der Walfisch,
Mächtige Wellen erregend, aus nächtlicher Tiefe herauf schoss,
Und nun, brausenden Spiels, in die Luft trieb Säulen von Wasser.
Bis sich die Sonne verbarg, nicht müde des Schauens und Forschens
Wurde der Mensch, und spät in der Nacht erst konnt‘ er entschlummern,
Weil ihm tausend und tausend erfreulich lebendige Bilder
Schwirrten im bunten Gewühl vor dem Spiegel des geistigen Auges.