Die Uz-Strophe (8)

Eine seltene Abwandlung der Uz-Strophe zeigt Justus Friedrich Wilhelm Zachariä in „Einladung an H.P.G“ – die erste Strophe:

Freund, unser Leben ist kurz, der Toren aber sind viel,
Die uns die teuren Stunden entziehn.
Sei geizig, Freund, auf die Zeit, die uns die Freundschaft noch gönnt;
Es sei uns jede Stunde wie Gold.

– V1 und V3 sind um eine Silbe verkürzt, enden also männlich-betont; in den Vierhebern ist nur die letzte Senkung zweisilbig besetzt.

◡ —, ◡ —, ◡ ◡ — | ◡ —, ◡ —, ◡ ◡ —
◡ —, ◡ —, ◡ —, ◡ ◡ —
◡ —, ◡ —, ◡ ◡ — | ◡ —, ◡ —, ◡ ◡ —
◡ —, ◡ —, ◡ —, ◡ ◡ —

Die Strophe wirkt dadurch härter, fast ein wenig kantig; aber trotzdem noch einheitlich – und wiedererkennbar!

Die Uz-Strophe (7)

Ich denke, die bisherigen Beispiele machen klar: Der Strophenerfinder Uz ist mit der strengen Erfüllung „seiner“ Form eher die Ausnahme als die Regel – die in der Praxis der anderen Dichter und Dichterinnen anzutreffende Strophe lässt sich besser so darstellen:

◡ —, ◡ (◡) —, ◡ ◡ — | ◡ —, ◡ (◡) —, ◡ ◡ —, ◡
◡ —, ◡ (◡) —, ◡ (◡) —, ◡ ◡ —
◡ —, ◡ (◡) —, ◡ ◡ — | ◡ —, ◡ (◡) —, ◡ ◡ —, ◡
◡ —, ◡ (◡) —, ◡ (◡) —, ◡ ◡ —

– Also mit weitgehender Freiheit, die Senkungen in der Mitte der Verse (beim Vierheber) beziehungsweise der Mitte der Halbverse (beim Sechsheber) wahlweise einsilbig oder zweisilbig zu gestalten! Trotzdem ist die „Grundstrophe“ ein sinnvoller Bezugspunkt, und ich rufe sie daher noch einmal in Erinnerung durch ein Beispiel aus Nikolaus Dietrich Gisekes „Ode auf die Eheverbindung eines Freundes“:

Wie glücklich bist du, o Freund! Dir hat der Himmel verliehen,
Was mancher seufzende Jüngling erst sucht:
Ein Herz, das fühlbar das Glück, geliebt zu werden, empfindet,
Und dich mit furchtsamer Zärtlichkeit liebt.

Klassischer „Uz“!

Die Uz-Strophe (6)

Ich mache einen kleinen Ausflug zum „Neuen Amadis“ von Christoph Martin Wieland, einfach, weil die Verfasserin der letzten Beispielstrophen darin erwähnt wird. Die 14. Strophe aus dem vierten Gesang – Schatulliöse findet sich, aus einer Ohnmacht erwacht, in der Höhle eines Tritons wieder, und, wie Wieland es ausdrückt, „Das macht Gedanken, wovor der Keuschen billig grauet“. (Auch ein „Uz-Vers“!)

Von diesen Gedanken empört, fährt sie mit beiden Händen
In ihre Locken, zerreißt ihr Halstuch, springt an den Wänden
Hinauf, und deklamiert mit tragischem Anstand aus mehr
Als zwanzig Opern die tollsten Stellen her.
Dann wirft sie, atemlos, sich auf die Erde nieder,
Reibt ihre Augen, weint, fährt wieder
Wie eine Medea herum, spricht Unsinn, apostrophiert
Die halbe Natur, und schwört, den Triton ewig zu hassen,
Wofern er – kurz, sie spielt die Tugend, wie sich’s gebührt,
Und muss – was ist zu tun? – am Ende doch sich fassen.

Eine wunderbare Strophe, in der allerdings der vierte Vers ein Fünfheber ist und der sechste ein Vierheber. Von den acht Sechshebern ist nur einer ein reiner „Uz-Vers“ – V2; wie die anderen (leicht) davon abweichen, seht, hört und fühlt man in Kenntnis der bisherigen Beispiele selbst. Ich weise nur auf V5 und V10 hin, zwei Verse ganz ohne zweifach besetzte Senkungen, was meint: klassische Alexandriner (aus denen sich der „Uz-Vers“ entwickelt hat!) mit ihrer Ruhe genau an den Stellen, an denen die geschilderte Bewegung zum Erliegen kommt. Hübsch!

Die Uz-Strophe (5)

Die Verfasserin des Beispiels aus (4), Johanne Charlotte Unzer, hat in der Uz-Strophe den 104. Psalm nachgeschaffen – „Nach Anleitung des 104. Psalms“, wie es bei ihr heißt. Aus …

Du breitest den Himmel aus wie einen Teppich; du baust deine Gemächer über den Wassern. Du fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen und kommst daher auf den Fittigen des Windes, der du machst Winde zu deinen Boten

… wird dabei:

Du breitest den Himmel weit aus, und wölbest mit Wassern die Höhe,
Und fährst auf dem Wagen der Wolken daher.
Du brauchst die Flügel des Winds, damit dein Fuß darauf gehe;
Sie nennen dich, brausend, der Erd und dem Meer.

Das ist also ein erstes Beispiel für die gereimte Uz-Strophe! Ich mag sie lieber ungereimt, aber wie man sieht und vor allem hört: Eigentlich verträgt die Strophe den Reim ganz gut, und mancher und manche haben, wie hier Unzer, beide Möglichkeiten der Gestaltung genutzt.

(Man beachte aber auch die ungleiche Zahl zweisilbig besetzter Senkungen in V1 und V3!)

Die Uz-Strophe (4)

„An Damis, in der Abwesenheit“ von Johanne Charlotte Unzer führt die Möglichkeit vor, in der Uz-Strophe noch weitere Senkungen doppelt zu besetzen. Eine Strophe daraus als Beispiel:

Wo seit Jahrhunderten schon ehrwürdige Eichen sich breiten,
Und stolz sich die schlankere Fichte erhebt:
Da, Freund, da sank ich dahin, in deine mir wartenden Arme,
Entzückt, wie die Wollust, und froh, wie der Scherz.

◡ —, ◡ —, ◡ ◡ — | ◡ —, ◡ —, ◡ ◡ —, ◡
◡ —, ◡ —, ◡ ◡ —, ◡ ◡ —
◡ —, ◡ —, ◡ ◡ — | ◡ —, ◡ —, ◡ ◡ —, ◡
◡ —, ◡ —, ◡ ◡ —, ◡ ◡ —

– Die vier rot gekennzeichneten Silben sind dazugekommen. Am grundlegenden Wesen der Strophe ändern sie nicht viel, sie wird allerdings noch etwas „schneller“ in der Bewegung?!

Die Uz-Strophe (3)

Eine Möglichkeit, die in der Uz-Strophe vorgestellten Verse „zu verbauen“, ist ein Distichon, ein Verspaar, das den längeren Vers erst unbetont, dann betont schließen lässt:

◡ —, ◡ —, ◡ ◡ — | ◡ —, ◡ —, ◡ ◡ —, ◡
◡ —, ◡ —, ◡ ◡ — | ◡ —, ◡ —, ◡ ◡ —

Das ist ein ganz guter Ersatz für’s elegische Distichon aus Hexameter und Pentameter!? Zwei solche Verspaare aus Ewald von Kleists „An Herrn Rittmeister Adler“:

Im Tode werd‘ ich ihm gleich, im Leben bin ich beglückter:
Er sah nur Auen voll Blut, schlief nur vom Himmel bedeckt
Und hört‘ ein ewig Geschwirr von Schilden, Spießen und Pfeilen;
Ihn floh’n Vergnügen und Scherz und Cypris‘ freundlicher Sohn.

Statt wie hier im längeren Text ist das Verspaar aber auch epigrammatisch verwendbar!

Die Uz-Strophe (2)

Streng umgesetzt hat die im ersten Eintrag vorgestellte Grundstrophe Nikolaus Dietrich Giseke in seinem vielstrophigen „Winter“; hier folgen nur einige Strophen daraus, beginnend mit dem Aufrufen der zur Jahreszeit gehörenden Stille:

Die Wälder feiern. Es herrscht ein nächtliches Schweigen in ihnen,
Und tiefe Stille verdränget den Lärm.
Nur selten zwitschert hier noch ein einsam irrender Vogel,
Und sucht die sparsame Nahrung im Schnee.

Diese Stille zieht sich durch das Gedicht, in der folgenden Strophe taucht sie als das „sie“ des Anfangs auf:

Sie ruft uns vor den Kamin. Uns brennt ein milderes Feuer
Als auf dem städtischen, kärglichen Herd.
Zufrieden sitzen um ihn wir gleichen, zärtlichen Freunde
In einem engen, vertraulichen Kreis.

Oder hier:

Indessen schweiget um uns die ganze Gegend. Die Stille
Bewohnt das Dorf und den Hof und das Haus,
Wenn nicht das mutige Ross in dem benachbarten Stalle
Sich schüttelt, stampfet und Futter begehrt.

Wobei zur Stille des Winters noch die Stille der Nacht kommt …

Oft lockt der freundliche Mond und sein Gefolge, die Sterne,
Den kühnen Fuß in den Garten hinaus.
Und ernsthaft schauet auf uns der majestätische Himmel
Mit seinen zahllosen Welten herab.

… und auch die Einsamkeit. Aber eine ganz eigene:

Der Tag eilt fröhlich hinweg. Die Sonne sieht uns, und freut sich,
Und gern verweilte sie länger bei uns;
Doch sie muss eilen. Ihr folgt der Abend, unser Vertrauter,
Er, aller Liebenden Liebling und Freund.

Ihr kostbaren Stunden, euch stört kein unbequemer Besucher!
Ihr bleibt dem reinsten Vergnügen bestimmt.
O Einsamkeit! Sei mir gegrüßt! In meiner Daphne Gesellschaft
Beglückst du jede Minute mit Lust.

Wie gesagt, das ist nur ein Teil des Gedichts, sechs von 32 Strophen; aber der zur Form gehörende Ton, hier in Gisekes Ausformung, wird doch ganz gut hörbar?!