Hymne auf Gott
In: Christoph Martin Wieland, Sämtliche Werke, Supplemente 3, Göschen, Leipzig 1798, S. 313 -326
Singe dem Herrn, mein Lied, und du, begeisterte Seele,
Werde ganz Jubel dem Gott, den alle Wesen bekennen!
Fürchte dich nicht! Er erlaubt dem sterblichen Mund, ihn zu loben,
Und er lächelt der Seele, die, von Entückung geschwellet,
5 Worte für ihre Empfindungen sucht, und, wenn sie umsonst sucht,
Still, mit Tränen im Auge, zu Ihm verstummend hinaufblickt.
Seraphim, sagt, was ist der Engel Seligkeit anders
Als Ihn immer lobpreisen? Was tönen die ewigen Sphären
Als von dem herrlichen Tag, da Er die Wesen hervorrief,
10 Und die Geister des Himmels um seinen Thron her entzündte?
Groß und erhaben bist Du! Ein unergründliches Dunkel
Birgt dich dem Menschen von Staub. Du bist! Wir gleichen den Träumen,
Die mit den Lüften des Morgens ums Haupt des Schlummernden schweben.
Deine Gegenwart hält die Welten in ihrem Gehorsam,
15 Winkt dem Kometen aus schwindlichen Fernen. Du sendest, o Schöpfer,
Einen Strahl von dem Licht, in welchem du wohnst, in die Tiefe,
Und er gerinnt zur Sonne, die Leben und blühende Schönheit
Über junge, zu ihr sich drängende Welten ergießet.
In der einsamen Ewigkeit standen, in geistiger Schönheit,
20 Alle Ideen vor ihm, nur seinem Angesicht sichtbar,
Reizende Nebenbuhler ums Leben: und welchen er winkte,
Siehe, die wurden. Das Unermess’ne, so weit er umhersah,
Rauschte von neu entsprossenden Sphären; der werdene Cherub
Stammelte, halb geschaffen, ihm seine Hymnen entgegen:
25 Aber sein Stammeln war mehr als einer menschlichen Seele
Feurigster Schwung, wenn sie, von deinem Dasein umschattet,
Gott, dich empfind’t, und mit allen ganz ausgebreiteten Flügeln
Und mit allen Gedanken in dein Geheimnis sich senket.
Du erschufest aus Staub die Gestalt des herrschenden Menschen,
30 Hauchtest dein Bildnis ihr ein. Du kleidest deine Gesandten
In ätherische Morgenröte. Die Güte des Herren
Ist das Leben der Dinge. Sie macht die Wesen frohlocken,
Sie ists, welche den Tag mit der Rosenblüte der Jugend
Angetan hat, sie tröstet die Nacht mit dem Scheine des Mondes
35 Und der sanften Gesellschaft der Sterne. Die Güte des Herren
Ist die Mutter der Freude, des ruhigen Lächelns der Unschuld,
Und der erhab’nen Entzückung, die bis zum Throne hinaufflammt.
Wahrheit, o Gott, ist dein Leib, das Licht des Äthers dein Schatten,
Durch die Schöpfung geworfen. Ich lehnte den Flügel des Seraphs,
40 Flog an die Grenzen des Himmels, den Thron des Königs zu finden;
Aber die Sphären sprachen: Wir haben ihn niemals gesehen;
Und die Tiefe: Er wohnt nicht in mir. Da lispelt ein Anhauch
Einer ätherischen Stimm‘ in meine horchende Seele;
Sanft, wie das erste Verlangen der Liebe, wie zärtliche Seufzer,
45 Lispelte sie zu meinen Gedanken: Der, welchen du, Seele,
Suchest, ist allenthalben! Sein Arm umfasset den Weltbau,
Alle Gedanken der Geister sein Blick. Was sichtbar ist, strahlet
Etwas Göttliches aus; was sich beweget, erzählt ihn,
Von den Gesängen des Himmels zum Lied des Sängers im Haine,
50 Oder zum Säuseln des Zephyrs, der unter den Lilien weidet.
Ihn zu denken, wird stets die höchste Bestrebung des Tiefsinns
Jedes Olympiers sein; sie werden sich ewig bestreben!
Siehe, der flammende Seraph, der dort im schnellen Vorbeiflug
Sonnen nach Sonnen auslöscht, und Maja, welche dem Frühling
55 Höhern Glanz, den Rosen mehr Röte leihet, sind beide
Ungleich zwar, doch beide nach seiner urbildlichen Schönheit
Mangelhaft nachgeahmt. Sie brennt im Tempel der Engel,
Strahlt in der sanften Sonn‘, verhüllt sich gefällig ins Grüne
Eines umschattenden Hains, und malt den blühenden Abend.
60 In der Ewigkeit dunkles hochheil’ges Geheimnis gehüllet,
Warest Du, Gott, in Dir selber vollkommen, unangebetet,
Aber erhab’ner verherrlicht als durch die Hymnen der Schöpfung;
Denn du schautest dich selbst; mit unaussprechlicher Liebe
Schautest du Dich, bei dir selbst, in deiner Gottheit Empfindung,
65 Unbegreiflich beseligt. Der Anblick der ewigen Freuden
Aller deiner Erschaffnen, der Jubel seraphischer Hymnen,
Myriaden begeisterter Seligen, Welten voll Unschuld,
Alle in Eine Schar aus ihren Himmeln versammelt,
Alle von heller Entzückung umstrahlt, der Ewigkeit alle
70 Von dir geweiht, ihr vereinigtes Lied, ihr vereinigter Jubel,
Konnte zu deiner Wonne nicht Eine Freude hinzutun.
Wer kann deine Seligkeit nennen? Sie nennt kein Olympus!
Im Bestreben nach ihr ersinkt der cherubische Flügel,
Ob er Welten gleich deckt! O welch ein Geheimnis, o Erster,
75 Dass du erschufst! Dass du die Wesen zu sehn dich erniedrigst!
Wesen, in ihrer vollkommensten Schönheit, des anblicks der Gottheit
Unwert, vor denen du dich in Nacht und Dämmrung verbirgest,
Dass sie nicht vor dir vergehn, wie Regenbogen erlöschen,
Wie die Sonnen, die künftig am Schluss der letzten Äone
80 Vor der umringenden Ankunft des ewigen Festes zerschmelzen.
Unbegreiflich und wunderbar ist, o Schöpfer, dein Lieben,
Und, o wie ist’s der Seele so süß, dich Liebe zu nennen!
Name, mit Ewigkeit fruchtbar, mit Himmeln! Erschaffne Gedanken
Sind zu endlich, dich ganz in deiner Größe zu denken!
85 Nur ein schüchterner Blick in deine Tiefen entzückt mich
Über die Engel empor. Wenn meine Seele sich selber
Zitternd so endlich fühlt, so ähnlich dem Schatten im Traume,
Wenn sie um sich herum nur Schein von Wesen erblicket,
Und dann, in sich gekehrt, in labyrinthischem Dunkel
90 Ungewiss irrt, und fast an ihrer Wirklichkeit zweifelt:
Ach, mit welcher Entzückung, mit welcher festlichen Ruhe
Findet sie dann in Dir, o Ursprung des Lebens, sich wieder,
Sich und die Welt, und mehr als die Welt, unendliche Hoffnung!
Aber Dich, Gott, als Richter mit deinen Schrecken empfinden,
95 Ist der ewige Tod. Sein bloßer Schatten verfinstert
Allen Schimmer des Himmels und deiner Seraphim Lächeln.
Bebet, ihr Feinde des Herrn, verworfne Sklaven des Lasters,
Bebt vor dem Tag der Rache! Sein nährendes Rauschen zermalme
Eure Seelen! Er bringt auf seinen stürmischen Flügeln
100 Neue Donner und mehr als den Blitz. Verzweifelt, ihr Seelen,
Die ihr die göttliche Würde, das Los der Engel, verschmähet,
Und der Unsterblichkeit mächtigen Wink! Ihr Lästrer des Herren,
Sterbet den ewigen Tod! –
Aber wo ist sie, die Seele, die vor dem Anblick des Richters
105 Stehen kann? Ach! Er entdeckt an seinen Engeln Gebrechen.
Siehe, die Tugend des Menschen ist in des Heiligen Augen
Eine glänzende Schuld. Wie könnt‘ ich vor dir bestehen,
Ich, der sündige Staub? Darf eine schuldige Seele
Liebe dich nennen, und kühn Dir in dein Angesicht sehen?
110 Werden nicht tötende Schrecken aus deinen flammenden Augen
Gegen sie blitzen? Ach!Wird sie nicht vor dem Thron des Gerechten
Stumm und lebensberaubt zum ewigen Denkmal erstarren?
Oder, darf ich mit Zittern es wagen, Erbarmen zu hoffen?
Seine Vertrautesten durften es nicht. Da die Menschen fielen,
115 Weinte der Himmel, die Sonne mit ihren vertraulichen Schwestern
Stand in Trauerwolken gehüllt, die Hymnen verstummten.
Jeder ätherische Freund der neu erschaffenen Unschuld
War entflohen, und sah mit trüben wehmütigen Blicken
Auf die Erde herab, die jetzt die Schöpfung befleckte,
120 Ob sie noch sei. Nicht Einer ward in de Himmeln gefunden,
Der es wagte, den Ricter um ihre Vergebung zu flehen.
Siehe, da öffnete sich das Geheimnis Gottes! Ihr Himmel,
Hört und erstaunt! Du Ewigkeit, höre! Die Schöpfung ist künftig
Nicht mehr das größte der Wunder. Ganz neue Reihen der Dinge
125 Heben sich an. Der Heilige hat den Sündern vergeben.
Gott wird Mensch, und versöhnet sich selbst. Der Himmel befestigt
Seinen Anspruch auf uns. Die Engel steigen nun wieder,
Christen, erneuerte Menschen, zu sehn, aus himmlischen Sphären;
Und die verlassene Tugend, auf Flügeln der Gnade getragen,
130 Wagt sich wieder empor; sie wächst im göttlichen Strahle
Eilend zu voller Schönheit. Mit Wunder sieht im Vorbeiflug
Ein olympischer Geist im Tal der Schatten des Todes
Himmlische Tugenden blühn! Wie lieblich ertönt ihm die Stimme
Edler Gedanken, die sich von ihrer Bestimmung besprechen!
135 Schön ist die Stimme der schuldlosen Anmut, und lieblich ertönte
Unter den Palmen von Haran am Beifall murmelnden Brunnen
Rachels junger Gesang dem kommenden Morgen entgegen:
Aber viel schöner erklangen die Harminien der Seele,
Die, von Entzückung gestimmt, die gefühlte Gottheit besangen!
140 Schön ist die Seele des Christen, erhaben die schweigende Tugend
Unter Gebirgen von Leiden, harmonisch die Stimmer der Weisheit,
Wenn sie den sklavischen Töchtern der Sinne Gehorsam gebietet.
Welche Hoheit wird erst das Geschlecht der Menschen verklären,
Wenn dein Gesetz, o Erlöser, die ganze Erde beherrschet,
145 Wenn nun jeder unfruchtbare Fels mit Rosen bekränzt steht,
Und die Ströme der Gnade nun jede Seele befruchten,
Wenn du in allen nun lebst – wie wird die Menschheit dann strahlen!
Töne höher, mein Lied, und du, begnadigte Seele,
Fühle dein ganzes Glück! Enthülle die schnellen Gedanken!
150 Breite dich über die Ewigkeit aus! Sei kühn zu verlangen,
Kühn zu hoffen. Die Höhe, worauf Er die Menschheit emporhob,
Billigt, was sonst Verwegenheit war, vom Menschen zu denken.
Fordre die Sphären der Engel, dies ganze safirne Gewölbe,
Lass auch dies von der grenzlosen Welt, die dein heiliger Stolz träumt,
155 Einen Sonnenstaub sein! Lass Urims Tiefsinn am Throne
Seligkeiten erfinden, die noch kein Auge gesehen.
Ist es zu viel? Wie kann ein Gedanke die Gottheit umspannen?
Hier ist kein Irrtum möglich, als allzu wenig zu hoffen.
Stehe, mein Geist, hier, über der Ewigkeit Ufer gebücket,
160 Steh und schau in den himmlischen Abgrund. Hier schwammen einst Welten,
Wie in der Frühlingsluft unsichtbare blumichte Dünste;
Hier verschwanden wie Nachtgesichte die goldnen Äonen;
Hier ist der Schauplatz unendlicher Wunder! Hier gibt sich die Gottheit
Ihren Erwählten zu schaun; hier ist sie alles in allem.
165 Heil mir, dass auch ich bin, und Seraphim Bruder mich nennen!
Heil mir, dass Du, Erlöser, auch mich dem Vater versöhntest!