Eine fehlerhafte Zäsur schädigt den Hexameter nachhaltig. Das gilt vor allem in zwei Fällen:
1) Der Verseinschnitt liegt nicht im, sondern hinter dem dritten Versfuß. Dadurch zerfällt der Hexameter in zwei gleichgebaute Teilverse, die eher als selbständig wahrgenommen werden denn als einem größeren Ganzen zugehörig! Im zwanzigsten Jahrhundert finden sich allerdings namhafte Verfasser, die in dieser Hinsicht unempfindlicher sind und so gebaute Verse gelegentlich oder sogar häufig verwendet haben. Ein Beispiel aus Bertolt Brechts „Die apokalyptischen Reiter“:
(Älteren Zeiten verschrieben, ritten sie selber noch Gäule.)
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Im Bewusstsein der Regel und um der Wirkung wegen, die von ihrer Verletzung ausgeht, benutzt Eduard Mörike diesen Einschnitt im „Sichern Mann“:
Schmeidige doch ein weniges deine borstige Seele!
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Hier ist der Verstoß gegen die Zäsurregel der Ausweis der „borstigen Seele“; ansonsten hat Mörike aber darauf geachtet, die beiden Vershälften durch die genau entgegengesetzte Wahl der Versfüße unterschiedlich zu halten. Dies wirkt am stärksten am Ende der Teilverse, weswegen Heinrich Viehoff anmerkt:
Fehlerhaft ist der Haupteinschnitt am Ende des dritten Fußes, der den Vers halbieren würde, und in gesteigertem Maße fehlerhaft, wenn dieser Fuß aus einem Spondeus besteht. (Vorschule der Dichtkunst)
Mörike hat als dritten Fuß einen dreisilbigen Versfuß!
2) Durch zwei Verseinschnitte hinter dem zweiten und hinter dem vierten Versfuß zerfällt der Hexameter in drei gleiche Teile. Zur Verdeutlichung verwenden viele Metriken diesen Vers von Jens Baggesen:
Zwar ein bescheidener, frommer, und sittsamer, aber ein Mann doch.
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Hier ist die regelgerechte Zäsur 3w zwar vorhanden, wird aber durch die drittelnden Einschnitte hinter dem zweiten und hinter dem vierten Fuß übertönt.
Auch diesen Regelverstoß hat Eduard Mörike im „Sichern Mann“ der dem Inhalt angemessenen Wirkung wegen eingesetzt:
Endlich am Schluss denn folget das Punctum, groß wie ein Kindskopf.
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Der Riese Suckelborst setzt den Schlusspunkt unter ein Werk, das er in ein gewaltiges, aus Scheunentoren gebundenes Buch schrieb; der Vers verdeutlicht das, indem er die den Hexameter schließende Klausel — ◡ ◡ / — ◡ nicht nur einmal, sondern gleich dreimal verwirklicht! Die eigentliche Zäsur 3w ist auch hier nur eine Wortgrenze.
Das alles noch einmal mit den Worten von Georg Friedrich Grotefend zusammengefasst:
Am wenigsten darf der Vers durch den Mangel der Zäsur in zwei oder drei gleichartige Glieder zerfallen, welche man für ebensoviele besondere Verse halten könnte. Nicht zu gestatten ist daher die Endigung eines Wortes am Ende des dritten Fußes, wenn nicht ein gewichtiges einsilbiges Wort darauf folgt, welches das Anhalten an jener Stelle verwehrt. Gleich unerlaubt ist der Einschnitt am Ende des zweiten und vierten Fußes zugleich, denn durch solche regelmäßige Wiederkehr des Zäsurmangels würde der Hexameter in einen dipodisch gemessenen Triumeter, oder bei wechselnden Daktylen und Spondeen in drei Adonische Verse ausarten. (Anfangsgründe der deutschen Prosodie)