Gottfried August Bürger hat eine kleine Reimlehre geschrieben, „Hübnerus redivivus, das ist: Kurze Theorie der Reimkunst für Dilettanten“. Deren zweiter Teil, in dem Bürger auf den Wohlklang der Reime eingeht, stelle ich hier vor. An einigen Stellen habe ich kurze Abschnitte weggelassen, die stark zeitgebunden sind und den heutigen Leser nicht zu kümmern brauchen. Wer sie trotzdem nachlesen möchte, kann den Text per Suchmaschine auffinden (allerdings nur als Scan)!
Vom Wohlklange
Reime sind wohlklingend, wenn sie leicht und angenehm auszusprechen, und leicht und angenehm anzuhören sind. Demnach beruht der Wohlklang ungefähr auf folgenden Stücken.
1) Auf der Richtigkeit. Reime, die nicht richtig sind, können auch unmöglich wohlklingend sein.
2) Reime von einfachen oder verdoppelten gleichen Konsonanten sind in männlichen sowohl als weiblichen Wörtern wohlklingend. Zum Beispiel gab, Bad, klar, empor, Natur, Stier, Gabe, Gnade, ziere, geboren, Fluren, Stamm, Lamm, Flamme, Kette, Affe und weitere.
Von gleichem, ja vielleicht noch vorzüglicherem Wohlklang sind auch die Wörter, in denen die flüssigen Konsonanten l, m, n, r sich vor andere stellen, weil sie sich mit dem folgenden sehr leicht vermählen, und dem Wort noch mehr Metallklang geben. Zum Beispiel Wald, Gestalten, stammte, Falbe, Stunde, warb, Garben, Sturme.
Wenn die flüssigen untereinander selbst sich gatten, so entstehen dadurch die schönsten, tönendsten Reime, zum Beispiel Halme, Palme; lerne, ferne; Zorne, Dorne; Harme, erbarme; und weitere.
Solche Wörter hingegen, in denen mehrere sehr heterogene harte Konsonanten zusammenstoßen, die weder leicht und angenehm auszusprechen, noch auch anzuhören sind, können nicht für wohlklingend erachtet werden. Zum Beispiel schöpfte, schröpfte; ächzen, krächzen; horcht, borgt; klopft, stopft; schärft, werft; nichts, Gesichts; kürzt, schürzt; und weitere. Solche entfernen sich zu weit von dem reinen Metall-Ton. Der Vokal wird durch die Menge der über ihn stürzenden Konsonanten erstickt:
Klagestimmen versinken also, wann bebend die Erde
Städt‘ einstürzt, und der Staub der gestürzten gen Himmel emporsteigt.
(Klopstock)
Daher sind auch die gedehnten Vokale vor einfachen Konsonanten in der letzten männlichen Endsilbe, so wie auch in der vorletzten Silbe der weiblichen Wörter wohlklingender, weil der gedehnte Vokal länger und voller tönt als der kurz abgestoßene. Die Harmonie kann jedoch eine Ausnahme machen.
3) Billig müssen die Reimwörter unter den übrigen der Verse am vollesten und lautesten tönen. A, i, o, u und au tönen lauter und metallener als ä, e, ö, ü und eu oder ei. Zum Beispiel labe, liebe, lobe, Grube, Glaube sind in dieser Rücksicht wohlklingender als gäbe, lebe, schöbe, grübe, Scheibe.
Die unbetonten, größtenteils auf e ausgehenden Endsilben der weiblichen Wörter, welche mit einem Konsonanten, etwa l, m, n, r schließen, sind tönender als diejenigen, die auf das bloße unbetonte e ausgehen, zum Beispiel Gabel hat mehr Klang als Gabe.
4) Die männliche Reimsilbe muss eine voll betonte sein. Huldigen und Grazien sind für männliche Reime nicht tönend genug. Etwas mehr Ton ziehen die Ableitungssilben ig und lich auf ishc, zum Beispiel feierlich, adelig. An den Ableitungssilben bar, sam, haft, heit, keit, ung ist in dieser Rücksicht nichts auszusetzen. Voll und laut genug tönnen daher die männlichen Ausgänge auf wunderbar, tugendsam, grillenhaft, Erfahrenheit, Tapferkeit, Huldigung.
5) Ein wichtiges Erfordernis des Wohlklanges ist Mannigfaltigkeit und Abwechslung der betonten sowohl als unbetonten Reimsilben, in Rücksicht auf Konsonanten und Vokale.
A. Der betonten
a) Mannigfaltigkeit der Schluss-Konsonanten in den männlichen Wörtern, die nahe aufeinander folgen, z.B. die Reime Stab und gab; lieb und schrieb; hob und schnob; hub und grub dürften wohl die Gesetze wenigstens des feineren Wohlklangs beleidigen, wenn sie ein einer Strophe oder sonst allzunahe beieinander vorkämen. Eben die Bewandtnis dürfte es wohl auch mit den weiblichen Wörtern laben, graben; heben, geben; lieben, trieben; loben, toben; huben, gruben haben.
b) Mannigfaltigkeit der Vokale und Diphthonge. Diese will, dass die letzte Silbe der männlichen und die vorletzte Silbe der weiblichen nebeneinander stehenden, oder abwechselnd untereinander gemischten Reimwörter nicht einerlei Vokal und Diphthong führen. In nicht mehr als vier Zeilen übersieht man dies allenfalls; allein in noch mehreren entsteht dadurch ein unangenehmer Gleichklang, zum Beispiel:
Furchtbares Meer der ersten Ewigkeit,
Uralter Quell von Welten und von zeiten,
Unendlich’s Grab von Welten und von Zeit,
Beständig’s Reich der Gegenwärtigkeit,
Die Asche der Vergangenheit
Ist dir ein Keim von Künftigkeiten.
(Haller)
B. Der unbetonten.
a) In Ansehung der Vokale ist da nun leider wegen des überlästigen unbetonten e, worauf bei weitem die meisten weiblichen Wörter ausgehen, nicht viel Mannigfaltigkeit möglich. Indessen gibts doch auch einige, wiewohl nur wenige weibliche Ausgänge mit anderen Vokalen, die man möglichst zu Hilfe nehmen muss. Ich meine die unbetonten oder nur halb betonten ung, ig, lich. Zum Beispiel Empörung, Zerstörung; gütig, edelmütig; unvergesslich, unermesslich. Da sich aber das e gar zu oft aufdringt, so muss man wenigstens
b) durch die Schlusskonsonanten in die unbetonte E-Silbe Mannigfaltigkeit und Abwechslung zu bringen suchen, so viel es nämlich da das gleichfalls sich allzu oft aufdringende e verstattet. Indessen ist doch in Ansehung der Konsonanten mehr Mannigfaltigkeit möglich durch el, eln, ern, er, es, et, elt, ert, end, und weitere. Wie zum Beispiel in Handel, stammeln, sammelt, Wasser, eisern, schauert, Grabes, labet, waltend. Öfters wird man aller angewandten Mühe ungeachtet die vielen Ausgänge auf e und en nicht wegschaffen können.
6) Um der Mannigfaltigkeit und Abwechslung willen muss man auch nach neuen, aber in sich wohlklingenden Reimenstreben, deren Wohlklang dann durch die Neuheit gewinnt. Man vermeide daher die allzu gewöhnlichen, zu oft schon gebrauchten, zum Beispiel Liebe, Triebe; Jugend, Tugend; und weitere, ohne jedoch hierin gar zu ängstlich zu sein.Die Schönheit des Gedanken muss man darüber nie aufopfern. Es kann aber sehr oft mit sehr alten und abgedroschenen Reimen ein sehr neuer und schöner Gedanke bestehen, und wenn dies ist, so vergisst man des abgenutzen Reimes völlig. Ein allzu sichtbares Bestreben nach neuen und sonderbaren Reimen trägt um so mehr ein Ansehn von Geckerei, je weniger schön und geistreich der Gedanke ist, der durch die seltsamen Reime herbeigeführt wird. Sind sie in sich auch nicht einmal wohlklingend, so trifft sie in vollem Maße der Spott der bekannten schwer gereimten Oden.
7) Es klingt meinem Ohre nicht gut, wenn in Gedichten von regellos wechselnden männlichen und weiblichen Reimen, so zum Beispiel in poetischen Episteln, zwei nicht sich reimende männliche oder weibliche Endwörter zusammenstoßen, oder wenn da, wo männliche und weibliche Reime gehörig wechseln sollten, nur Reime von einerlei Art wechseln. Auch liebe ich’s nicht, wenn in Gedichten dieser Art mehr als zwei männliche oder weibliche Reime aufeinander folgen. Drei lasse ich mir höchstens noch gefallen; mehr aber nicht leicht, es müsste denn um der nachahmenden Harmonie willen geschehen. Außerdem ist es lästiger Gleichklang.
8) Die sogenannten reichen Reime, wenn sie nicht zur Harmonie dienen, sind eben nicht wohlklingend. Denn es fehlt hier die zur Einheit erforderliche Mannigfaltigkeit. Wortklang und Begriff fallen völlig in eins zusammen. Wenn es aber die Umstände erfordern, dass einerlei Begriff in zwei Versen an das Ende zu stehen komme, so ist nichts billiger, als dass er auch mit eben demselben Worte bezeichnet werde. Bei männlichen Ableitungssilben, zum Beispiel heit, keit, an verschiedenen Stamm-Wörtern von verschiedenen Begriffen ist der reiche Reim allenfalls zu dulden, weil er da meist minder bemerkbar ist. So kann man Tapferkeit und Heiterkeit noch wohl reimen.