Tanzt, ihr Verse (im müden Hirn, bis ihm, endlich! der Fuß zuckt).
Archiv für den Monat Juni 2016
Erzählverse: Der iambische Trimeter (23)
Einige Trimeter aus Victor von Scheffels „Pumpus von Perusia“:
Den Helm abnehmend von dem schwerbedrückten Haupt,
Fuhr mit der Rechten langsam er zur Stirn empor.
Gen Populonia rückwärts flog sein feuchter Blick,
Und blaue Blitze leuchteten im Heldenaug‘.
„O Wirtshaus zur Chimära!“, sprach er wehmutsvoll,
„Ist das das Ende? Winkte das im Vögelflug,
Der vor drei Tagen krächzend mir zur Linken strich?
Sprach das des Stieres rätselvolles Eingeweid‘?
O Wirtshaus zur Chimära! Was ist lieblicher,
Als einzuziehn, ein Gastfreund, in dein Gastgemach?
Beständig waltet dort ein vielgeübter Wirt,
Und edle Helden sitzen um den kühlen Trank,
Den von dem Berg herabgesendet Dimeros.“
„Und blaue Blitze leuchteten im Heldenaug‘.“ – Nicht dass Scheffel solche Verse nicht auch in gänzlich ernsten Gedichten verwendet hätte, aber hier ist, vor allem in Verbindung mit dem Titel, doch schnell klar, dass das Gedicht nicht unbedingt zur ernsthaften Sorte gehört. Derlei Texten verschließt sich der Trimeter selbstverständlich nicht, und die letzten drei Verse beseitigen dann auch die letzten Zweifel an seinem Wesen, denn es ward …
Zum erstenmal, seit dass die Welt geschaffen stand,
Ein Held von einem andern Helden – angepumpt!
Das ist der Sang vom Pumpus von Perusia.
Bild & Wort (187)
Die Begründung der Form
Sophie Bernhardi, später Sophie von Knorring, hieß als Mädchen noch Sophie Tieck und war die Schwester von Ludwig und Friedrich Tieck. Auch sie hat sich schriftstellerisch betätigt und, zum Beispiel, den mittelalterlichen Text „Flore und Blancheflur“ nachgedichtet. In ihrer „Vorrede“ begründet sie auch die Wahl der verwendeten Form:
Statt der höchst ermüdenden kurzen Verse mit aufeinander folgenden Reimen, welche nicht die mindeste Kunst erfordern, habe ich die italienische Form der „Ottave rime“ gewählt, die sich durch den Charakter künstlerischer Bildung, den sie an sich tragen, vorzüglich für das erzählende Gedicht eignen, und mir ganz besonders zweckmäßig für „Flore und Blanscheflur“ schienen, weil durch die dreimal abwechselnden Reime sich in der Form schon eine gewisse Zärtlichkeit ausdrückt, die in den beiden Schlussreimen gleichsam eine sanfte Befriedigung findet. Ich glaube nicht, dass man mich um dieser Behauptung willen des Mystizismus beschuldigen wird, ob man gleich in der neuesten Zeit diesen Vorwurf oft sonderbar missbraucht hat, denn ich glaube, dass die Alten die Poesie deswegen die Sprache der Götter nannten, und dass Sänger und Dichter gleichbedeutend sind, weil die Poesie die Musik, welche in jeder Sprache sich befindet, vorherrschend macht, und wie die Musik zärtlich, andächtig, flehend, zürnend, kriegerisch, triumphierend sein kann: so, ohne Frage, auch die Poesie, und zwar nicht allein dem Geiste und Worte nach, sondern auch in der Form; und deshalb glaube ich keineswegs, dass es gleichgültig ist, welche Form der Poesie gewählt wird, um diese verschiedenen Empfindungen auszudrücken.
Ich glaube, sie hat falsch gewählt – die „höchst ermüdenden kurzen Verse“ tragen die Geschichte viel besser als ihre ausschweifenden, oft reichlich aufgefüllt wirkenden Stanzen; aber darauf kommt es nicht an, sondern auf die Begründung an sich! Denn die Frage nach der Form stellt sich ja auch heute noch, bei jedem Text; und dabei die schon gegebenen Antworten zu überdenken, hilft da immer weiter.
Eine Beispielstanze noch, ziemlich vom Anfang des ersten Gesangs:
Der höchste Preis war eine gold’ne Krone,
Worin viel Stein‘ und edler Schmuck gewoben;
Dem sollt‘ sie reichen meine Hand zum Lohne,
Den alle als den würdigsten erproben –
So ruht sie neben meinem reichen Throne,
Auf den ich war vor aller Welt erhoben,
Umgeben von den allerschönsten Frauen,
Die mit mir auf die Ritter niederschauen.
Go: Die alten Meister (48)
Ein alter Meister setzt sich
Ans Brett und grüßt, und wird
Zurückgegrüßt: Man schätzt sich.
Erzählverse: Der Hexameter (148)
Manchmal stößt man auf Texte , die schon darum im Gedächtnis bleiben, weil sie seltsam sind! „Krieg und Liebe“ von Zacharias Werner ist so einer:
Wodan, Regierer der Welt, Beherrscher der Götter Walhallas,
Strahlte in Wolken gehüllt, umringt von Teutoniens Göttern.
Also beherrschet der Leu die schwächern Bewohner des Waldes,
Und sein funkelnder Blick verkündigt Verderben und Leben.
Ein „Fragment aus der alten deutschen Mythologie“ (wie es im Untertitel heißt), geschrieben im Hexameter? Wenn da mal nicht der Stabreimvers sinniger gewesen wäre … Aber es kommt etwas später noch wunderlicher – Freia wird von Wodan zu Spiel und Gesang aufgefordert:
Freia, von Ehrfurcht erfüllt, ergriff jetzt die göttliche Telyn,
Tönte ins Saitengeräusch mit schmetterndem Tone die Kriege
Und den erschrecklichen Kampf der Götter Olymps und Walhallas.
Oha. Der „Krieg der Mythologien“ wird dabei in asklepiadeischen Odenstrophen gesungen! Die erste:
Ha! Es kämpften voll Wut Heere der Göttlichen,
Zeus, Poseidon und Thor, Wodan der Schreckliche,
Mars, Apoll und Bellona,
Zu erringen des Sieges Preis.
Und obwohl die griechischen Götter daher auf sozusagen heimischem Gelände kämpfen, – verlieren sie! Womit das Stück aber noch nicht zu Ende ist, dem Titel gemäß folgt noch die „Liebe“; wieder leiten einige Hexameter die Szene ein, ehe der eigentliche Gesang in Odenstrophen erfolgt.
Sehr, sehr eigenartig, das Ganze …
Das Königreich von Sede (90)
Schatten webt in Schatten sich,
Bis es tiefe Nacht ist,
Undurchdringlich; fürchterlich,
Weil der Frosch erwacht ist,
Weil er schweigt und schweigend spricht:
Alles, was da ist, ist nicht.
Erzählformen: Die Brunnenstrophe (13)
Die in (12) vorgestellte „doppelte Brunnenstrophe“ hat eine Schwierigkeit: Wie kann sie sich gegenüber zwei einzelnen Brunnenstrophen als Einheit ausweisen?
Diese Strophe hat eine lange Geschichte: ihre Ursprünge liegen in der mittelalterlichen Heldenepik, sie wurde dann gerne als Form für Volksballaden und historische Lieder verwendet und kam schließlich auch als Kirchenliedstrophe in Gebrauch. Und im Lied kann die Strophen-Einheit durch die Musik, die Melodie erreicht werden!
Als Beispiel dafür kann „Fritzchen an den Mai“ von Christian Adolph Overbeck dienen, das Wolfgang Amadeus Mozart vertont hat unter leichter Veränderung des Textes, der mit dem Titel „Sehnsucht nach dem Frühlinge“ bei ihm so aussieht:
Komm, lieber Mai, und mache
die Bäume wieder grün,
und lass mir an dem Bache
die kleinen Veilchen blüh’n!
Wie möcht’ ich doch so gerne
ein Veilchen wieder seh’n!
Ach, lieber Mai, wie gerne
einmal spazieren geh’n!
Zwar Wintertage haben
wohl auch der Freuden viel;
man kann im Schnee eins traben
und treibt manch’ Abendspiel;
baut Häuserchen von Karten,
spielt Blindekuh und Pfand,
auch gibt’s wohl Schlittenfahrten
aufs liebe freie Land.
Doch wenn die Vögel singen,
und wir dann froh und flink
auf grünem Rasen springen,
das ist ein ander Ding!
Jetzt muss mein Steckenpferdchen
dort in dem Winkel steh’n,
denn draußen in dem Gärtchen
kann man vor Kot nicht geh’n.
Ach, wenn’s doch erst gelinder
und grüner draußen wär’!
Komm, lieber Mai, wir Kinder,
wir bitten gar zu sehr!
O komm und bring’ vor allem
uns viele Veilchen mit!
Bring’ auch viel Nachtigallen
und schöne Kuckucks mit!
Eigentlich sind es sogar fünf Strophen, aber Rudolf Schock lässt in seinem Vortrag die vierte Strophe weg (und hat auch sonst noch leichte Abweichungen, vor allem in der letzten Strophe).
Wem das zu „kinderliedrig“ ist, kann es mit einem anderen Klassiker versuchen: Bolle reiste jüngst zu Pfingsten. Wo „Bolle“, um ins Versmaß zu passen, eine doppelt besetzte Eingangssenkung ist, wie der Vortrag es ja auch umsetzt; der ältere Einsatz „Herr Bolle lenkt zu Pfingsten“ hat diese Schwierigkeit nicht …
Oder, etwas ernster, aber gleichfalls sehr bekannt: „Die Forelle“, geschrieben von Christian Friedrich Daniel Schubart, vertont von Franz Schubert.
Und immer so weiter, bis hin zu den unzähligen Kirchenliedern, mit am bekanntesten „O Haupt voll Blut und Wunden“ von Paul Gerhardt, der dabei einen mittelalterlichen lateinischen Hymnus übersetzte; ein Text, den auch Johann Sebastian Bach in der Matthäus-Passion benutzt hat.
Was dann zeigt: diese „doppelte Brunnenstrophe“ ist als Liedstrophe für so gut wie jeden Inhalt geeignet. Aber auch als reine Lyrikstrophe hat sie weite Verbreitung gefunden, wovon noch zu reden sein wird!
Erzählformen: Die Brunnen-Strophe (12)
Längere Strophen sind oft aus kürzeren Strophen zusammengesetzt, ganzen oder Teilen davon; im einfachsten Fall wird eine Grund-Strophe dabei verdoppelt. So hält es Robert Hamerling in „Viel Träume“:
Viel Vögel sind geflogen,
Viel Blumen sind verblüht,
Viel Wolken sind gezogen,
Viel Sterne sind verglüht;
Vom Fels aus Waldesbronnen
Sind Wasser viel geschäumt;
Viel Träume sind zerronnen,
Die du, mein Herz, geträumt.
– Eine Strophe, für die die Brunnenstrophe ganz einfach verdoppelt worden ist! Ganz einfach ist auch der Inhalt gestaltet – eine Aufzählung dichterischer Allgemeinplätze füllt Vers um Vers die erste Hälfte, um in der zweiten Hälfte abgewandelt fortgeführt zu werden und schließlich zum eigentlichen Anliegen des Textes zu gelangen, der so vorbereiteten Aussage der beiden Schlussverse.
Große Dichtung ist auf solchem Wege schwer zu erreichen, aber wirkungslos sind die Verse auf der anderen Seite sicher auch nicht; bei aller Schlichtheit ist ein Gestaltungswille spürbar, der weiß, was er will – und wie er es erreichen kann …
Tick. Tack.
Tick, Tick, Tick.
Im Wolkenreich
Die Regenuhr:
Pro Tick fällt nur
Ein Tropfen.
Tack, Tack, Tack.
Mir fällt aufs Dach,
Mit stetem Schlag,
Den ganzen Tag:
Der Regen.