Die Begründung der Form

Sophie Bernhardi, später Sophie von Knorring, hieß als Mädchen noch Sophie Tieck und war die Schwester von Ludwig und Friedrich Tieck. Auch sie hat sich schriftstellerisch betätigt und, zum Beispiel, den mittelalterlichen Text „Flore und Blancheflur“ nachgedichtet. In ihrer „Vorrede“ begründet sie auch die Wahl der verwendeten Form:

Statt der höchst ermüdenden kurzen Verse mit aufeinander folgenden Reimen, welche nicht die mindeste Kunst erfordern, habe ich die italienische Form der „Ottave rime“ gewählt, die sich durch den Charakter künstlerischer Bildung, den sie an sich tragen, vorzüglich für das erzählende Gedicht eignen, und mir ganz besonders zweckmäßig für „Flore und Blanscheflur“ schienen, weil durch die dreimal abwechselnden Reime sich in der Form schon eine gewisse Zärtlichkeit ausdrückt, die in den beiden Schlussreimen gleichsam eine sanfte Befriedigung findet. Ich glaube nicht, dass man mich um dieser Behauptung willen des Mystizismus beschuldigen wird, ob man gleich in der neuesten Zeit diesen Vorwurf oft sonderbar missbraucht hat, denn ich glaube, dass die Alten die Poesie deswegen die Sprache der Götter nannten, und dass Sänger und Dichter gleichbedeutend sind, weil die Poesie die Musik, welche in jeder Sprache sich befindet, vorherrschend macht, und wie die Musik zärtlich, andächtig, flehend, zürnend, kriegerisch, triumphierend sein kann: so, ohne Frage, auch die Poesie, und zwar nicht allein dem Geiste und Worte nach, sondern auch in der Form; und deshalb glaube ich keineswegs, dass es gleichgültig ist, welche Form der Poesie gewählt wird, um diese verschiedenen Empfindungen auszudrücken.

Ich glaube, sie hat falsch gewählt – die „höchst ermüdenden kurzen Verse“ tragen die Geschichte viel besser als ihre ausschweifenden, oft reichlich aufgefüllt wirkenden Stanzen; aber darauf kommt es nicht an, sondern auf die Begründung an sich! Denn die Frage nach der Form stellt sich ja auch heute noch, bei jedem Text; und dabei die schon gegebenen Antworten zu überdenken, hilft da immer weiter.

Eine Beispielstanze noch, ziemlich vom Anfang des ersten Gesangs:

 

Der höchste Preis war eine gold’ne Krone,
Worin viel Stein‘ und edler Schmuck gewoben;
Dem sollt‘ sie reichen meine Hand zum Lohne,
Den alle als den würdigsten erproben –
So ruht sie neben meinem reichen Throne,
Auf den ich war vor aller Welt erhoben,
Umgeben von den allerschönsten Frauen,
Die mit mir auf die Ritter niederschauen.

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