G. A. von Halem: Der Gürtel

Gerhard Anton von Halem: Poesie und Prose, Hoffmann, Hamburg 1789, S. 302 ff.

Der Gürtel

Selima liebte den Selmar. Es liebte Selmar die Hirtin.
Glücklich fühlten sie sich: doch dass sie Liebe beglückte,
Wussten die Schüchternen nicht und nicht die Schäfer der Fluren.
Amor beflügelte jetzt die Stunde der süßen Erkenntnis.
Selima war das Wunder der Flur. Die Jünglinge buhlten
Wechselnd um Selimas Gunst. Beneidet wurde der Hirte,
Welchen der Hirtin verweilender Blick vor andern beglückte.
Thyrsis und Seladon traf vor allen der Neid. Die Getäuschten
Wagten, des Blickes froh, mit Zittern der Liebe Geständnis.
Selima schwieg errötend, und wich: ihr flossen die Tränen.
Aber es drang der Vater in sie, dass sie einen der Hirten
Wähle. Schon nahte der Tag, den zur Wahl die Schöne bestimmte.
Doch es hatt‘ ihr Herz nicht gewählt. Mit gesenktem Haupte
Ging sie früh auf die Flur, und grüßte die steigende Sonne,
Grüßte mit Tränen sie heut‘. „O Sonne!“, seufzte die Arme,
„Führe mir Selmarn zu!“ Sie dacht’s; und nah war der Hirte.
„Selima!“, sprach der freundliche Hirt, „was bebest du? Rede!
Nimmer bebtest du so! Nie wechselte Blässe mit Röte
So auf deinem Gesicht.“ „Dir beb‘ ich“, red’te die Schöne.
Raten solltest du mir, und dennoch scheu‘ ich die Frage –
Aber weg mit der Furcht! Vertrau ich mich dir nicht, o Selmar!
Wem vertrau‘ ich mich dann? Ach! Thyrsis und Seladon, beide
Werben um meine Hand, und wählen soll ich noch heute.
Schäfer! Wähle für mich! Nimm du, o Selmar! den Gürtel,
Welchen die Mutter mir ließ, ihn einst dem Jüngling zu geben,
Den sich erköre mein Herz! Mein Herz, o Selmar! entschied nicht,
Drum so entscheide du! Gib einem der Schäfer den Gürtel!
Was entfärbest du dich? Versagst du der Freundin die Bitte?“
Selmar ergriff mit zitternder Hand den gelöseten Gürtel,
Und ihn umrauschte der seidene Purpur. Aber die Liebe
Rauscht‘ im Purpur, und macht‘ ihn beherzt. „Dank, Selma!“, so rief er,
„Dank für das süße Geschenk! Doch, freuet sich jemals ein Schäfer,
Welchen dein Herz nicht erkor, des Gürtels, den du mir reichtest,
Dann sei nimmer mir hold, o Paphia! Nimmer begegne
Wieder Selimas Blick dem meinigen!“ Selima senkte
Sanfterrötend zur Erde den Blick, und mutiger fasste
Selmar der Schäferin Hand: „Wohl, wohl mir, dein Herz hat erkoren!
Mein ist der Gürtel – mein!“ Er rief’s mit der Stimme der Wonne.
Selima hielt sich nicht, und sank in des Liebenden Arme.