Der Versschluss
Der Hexameter wird durch die regelmäßige Wiederkehr eines zweisilbigen Versfußes nach je sechs Takten als rhythmische Einheit bezeichnet; die Reihe der bunt gemischten zwei- und dreisilbigen Versfüße erhält also durch einen regelmäßig wiederkehrenden zweisilbigen einen rhythmischen Abschluss. Aber auch der vorhergehende Fuß ist in den meisten Fällen ein Daktylus: es wiederholen sich also meistens ein dreisilbiger und ein zweisilbiger Fuß unmittelbar hinter einander von sechs zu sechs Takten. „Die Welle sinkt dem Ufer nahe mit Heftigkeit und zerfließt aufrauschend im Sande“ sagt Voss, den Hexameterschluss unwillkürlich auch im Rhythmus nachahmend. Gerade weil der Schluss des Verses durch so starke rhythmische Veränderungen deutlich markiert ist, gestattet der Hexameter freien Sinnübergang und es ist ganz unnötig, auf Vossens Empfehlung hin nach dem folgenden Vers eine Pause zu machen:
Deren er zween anpackt, und wie junge Hund auf den Boden
Schlug.
In Bezug auf den Versschluss ist zu beachten,dass man es beim Hexameter nicht wie beim klingenden Iambus mit einer überzähligen Kürze zu tun hat, sondern dass der Takt erst durch die letzte Kürze voll wird. Es ist also kein Grund vorhanden, sie so abfallen zu lassen wie beim Iambus. Die Versschlüsse auf tonloses -e werden darum eher vermieden als gesucht, wobei freilich auch das antike Schema maßgebend ist; namentlich viele solche Versschlüsse hintereinander oder bei freiem Emjambement (das heißt: ohne Sinnpause) sucht man zu umgehen. Ganz zu vermeiden aber sind sie in unserer Sprache nicht; und Voss ist in dem Bestreben, ihnen aus dem Weg zu gehen, in den entgegengesetzten Fehler gefallen; er häuft als die vermeintlich einzigen Spondeen die Komposita im Versschluss, die freilich auch im Versinnern bei ihm eine so große Rolle spielen, dass oft ein Vers davon strozt:
Sechs Schilfsessel umstanden den Steintisch, welche der Hausknecht
Bei Schiller stehen meistens dreisilbige ( v | „— v oder v | „— — ) und noch öfter zweisilbige Wörter im Versschluss, seltener einsilbige. Dagegen bildet Voss gern die homerischen Schlüsse auf einsilbige Wörter nach, denen noch Hermann wundervolle Wirkungen nachzurühmen wusste; sie sollen einmal das Große und Erhabene auszeichnen, dann wieder das kleine durch exponierte Stellung umso lächerlicher erscheinen lassen. Aber Voss, der so wenig wie unsere Klassiker über die Betonung der einsilbigen Wörter im Klaren war, ist dadurch mit dem Satzakzent in beständigen Konflikt geraten. Die vossischen Übersetzungen von μητιετα Ζευς mit Òrdner der | Wélt, ¦ Zeús, der Versschluss:
und plötzlich durchflog unlöschbar umher ¦ Glut
sind in Bezug auf den Akzent und die Satzpause gleich verfehlt, weil sie „— | „— oder „— ‚— an die Stelle des von dem Vers geforderten „— ‚— setzen. Ebenso fehlerhaft sind trennbare Vorsilben mit dem Akzent in der letzten Senkung bébt aúf oder gar zog áb. Dem schließenden Einsilber geht gern ein steigender Spondeus voraus; Versschlüsse wie mit Jubelgetón lobtsíngt ihm halten Voss und Apel für besonders kräftig. Den Molossus von der Form „— — ‚— (Kompositum + Simplex) finden sie hier mit Recht anstößig, weil der Nebenakzent auf der letzen Silbe zu schwach ist und vor einem stärker betonten Einsilber ganz verloren geht und weil dann noch obendein im vierten Fuß Wortfuß und Versfuß zugleich schließen:
Ziehn sanftschwebend dahin, wo erwachender | Frühlings¦hauch wohnt
– Aber vor den ganz gleich zu beurteilenden Fällen wie:
… Herrscher im Dónnergewólk, Zeús
hat sie kein richtiges Gefühl gewarnt. Nicht selten, namentlich im Verhältnis zu der geringeren Anzahl der Verse, die den Spondeus im fünften Vers dulden, sind Ausgänge auf zwei spondeische Wortfüße:
Wo sich des Bergs Glutstrom unhemmbar | langsam | fortwälzt
oder auf einen Doppelspondeus:
Ringsum lagen die Hügel in lieblicher | Abenddämmrung.
Die besten Versschlüsse werden beim Hexameter immer Wörter mit vollen Ableitungssilben bilden, wie Schicksal, Reichtum, furchtbar; weil hier die letzte Silbe voll austönt und doch der letzte Akzent stärker zur Geltung kommt als bei den Kompositionen.