Archiv für den Monat Januar 2015
Bücher zum Vers (65)
Steffen Jacobs: Der Lyrik TÜV. Ein Jahrhundert deutscher Dichtung wird geprüft.
Das Jahrhundert, das da laut Untertitel geprüft wird, ist das 20. Jahrhundert; und es wird geprüft dergestalt, dass für jeweils ein Jahrzehnt ein bestimmter Gedichtband vogestellt wird mitsamt seinem Verfasser. Macht zusammen zehn Vorstellungen:
„Zu guter Letzt“ (Wilhelm Busch), „Der Stern des Bundes“ (Stefan George), „Die Sonette an Orpheus“ (Rainer Maria Rilke), „Adel und Untergang“ (Josef Weinheber), „Statische Gedichte“ (Gottfried Benn), „Irdisches Vergnügen“ (Peter Rühmkorf), „Blindenschrift“ (Hans Magnus Enzensberger), „Das gewöhnliche Licht“ (Harald Hartung), „Körper in Cafes“ (Robert Gernhardt), „Falten und Fallen“ (Durs Grünbein).
Das verspricht manche Erkenntnis – über Weinheber zum Beispiel gibt es ja sonst nicht so schrecklich viel zu lesen. Und tatsächlich schafft es Jacobs, auf knapp über 300 Seiten Bücher wie Verfasser so darzubieten, dass man als Leser einmal etwas davon hat; und sich zum anderen auch gut unterhalten fühlt.
Wobei der locker-flockige Ton schon das eine oder andere Mal über das Ziel hinausschießt – „So mancher zeitgenössische Buchgestalter könnte sich von der Aufmachung des Bandes eine Scheibe abschneiden, was natürlich schade um die schöne Erstausgabe wäre.“ heißt es bei „Der Stern des Bundes“.
Aua.
Aber das ist verschmerzbar, und insgesamt kann man den Band sicher mit Gewinn lesen! Erschienen ist er 2007 bei Eichborn.
Der Riesenzwerg
Sonette können alles. Auch erzählen;
Doch ist der Raum, den sie umschließen, klein,
Und klein muss die erzählte Sache sein,
Soll mit dem Inhalt sich die Form vermählen.
Wer’s falsch macht, zwingt die beiden, sich zu quälen,
Und ist viel drin, muss stets noch mehr hinein,
„Ja!“ ruft der Inhalt, doch die Form ruft „Nein!“
– Sonette schreiben heißt, klug auszuwählen.
Napoleon besiegt die Mamelucken,
Kanonendonner an den Pyramiden?!
Das wäre groß gewählt – und wäre schlecht,
Denn einer Schlacht wird kein Sonett gerecht.
Was dann? Der Schwanz der Katze, die zufrieden
Am Ofen liegt, und, jetzt! der Spitze Zucken.
Erzählverse: Der Hexameter (91)
Ludwig Kosegartens „Hymne an das Eisen“
In Kosegartens Gedichtsammlung machen die Hymnen den Anfang, und wenn man die Überschriften überfliegt, fällt erst einmal nichts besonderes auf: „Hymne an die Schönheit“, „Hymne an die Liebe“, „Hymne an die Tugend“, „Hymne an die Natur“ – nichts, was man von Kosegarten und seiner Zeit nicht erwarten würde. Doch dann stutzt man: Das nächste Stück ist die „Hymne an das Eisen“! Das ist doch ein Thema, das absticht, und ein Grund, sich das Werk einmal näher anzusehen …
Los geht es, in dem für einen Hymnus typischen feierlichen Ton:
Heil dir, Mark der Natur, der gabenspendenen Erde
Stilles Erzeugnis, doch groß an Kraft und herrlich an Taten.
Nimmer rühmt‘ ich das Gold, und dein, jungfräuliches Silber,
Dacht‘ ich nimmer im Liede. Dir aber, Preis der Metalle,
Will ich Ehre verleihn, und deine Tugenden singen.
Heil dir, ältestes Kind der Gebürg! und ihr edelstes Kleinod,
Erstgeborner im Reiche der vielgestalteten Erze.
Eine handwerklich ordentliche Einleitung, finde ich – lediglich das „Dir aber“ in V4, wo man das „Dir“ gerne betonen würde und doch unbetont lassen muss, stört etwas?! In V3 gibt es einen geschleiften Spondäus zu bewundern.
Im weiteren Verlauf spricht Kosegarten nun die verschiedenen Formen und Funktionen an, die Eisen in der Natur und in der Welt der Menschen aufweist. Das Eisen in der Erde, etwa:
Bald gelüstet es dich, als Druse zu blinken. Bescheidner
Birgst du ein anderes Mal dich in unscheinbarer Stuffe;
Hm. Was eine „Druse“ ist, wusste ich noch („mit Kristallen gefüllter Hohlraum im Gestein“), aber bei der „Stuffe“, normal „Stufe“, bin ich arg unsicher – die allgemeine heutige Bedeutung scheint „erzhaltiges Gestein“ zu sein, was ja passen würde, aber die alten Lexika weichen davon teils stark ab… Versbautechnisch gesehen ist „-barer Stuffe“ jedenfalls eine Ausnahme, da hier der normale Versschluss „X x x / X x“ durch das sehr viel seltenere „X x / X x“ ersetzt wird. Das Eisen in der belebten Natur schildert Kosegarten mit Versen wie diesen:
Glanz und Heitre verleiht dein fröhlicher Pinsel der Tierwelt
Edleren Formen. Das Rad der Pfauen, des Schmetterlings Schwingen
Tauchst du in nimmer verblassende Tinten. Es danket die Taube
Dir den smaragdenen Hals, den schimmernden Fittig das Goldhuhn.
„Heitre“, laut Grimm „Klarheit“, „Glanz“, „Helligkeit“; „Tinte“, auch „Farbenton, Abstufung und Übergänge der Farben“ – ich gestehe, bei diesem Gedicht viel nachgeschlagen zu haben … Zudem zeigt sich Kosegarten hier als Freund des Chiasmus. „Glanz und Heitre“ eben auch hier! Das Eisen im menschlichen Gebrauch wird naheliegend aufgefächert, einmal die „zivile“ Nutzung:
Dein ist, friedliches Erz, die Pflugschar, welche die Scholle
Lockert, den strengeren Kloß bereitet, dass er des Samens
Goldenen Regen empfang, und ihn getreulich bewahre.
Äh, „den strengeren Kloß“?! Na gut, das lese ich nach dem Nachschlagen im Grimm mal als „schweren, zähen Boden, Erdklumpen“… Die Steigerung ist dabei ein Trick, dessen sich die Hexametristen gern bedient haben. Das Gegenstück ist inhaltlich die kriegerische Verwendung:
Dein ist, schützendes Erz, das Schwert, das das Vaterland rettet,
Dein das donnernde Rohr, mit dessen Toden die Freien
Niederschmettern der Feigen Volk in brüllender Feldschlacht.
Schon klar – nur dass die „Feigen“ eben auch über „Donnerrohre“ verfügen, was die Unterscheidung schwieriger macht … Vielleicht gerät Kosegarten ja darum im ersten Vers ins Stottern – das, das, das?! Weiter geht es jedenfalls mit dem Eisen in Kunst und Wissenschaft:
Heil dir, verschönerndes Erz, auch der Kunst, der menschlichen, mildern,
Welche den Stoffen Gestalt verleihet und Seele dem Toten;
Auch der Lieblichen jüngrer, wiewohl tiefsinng’rer Schwester,
Auch der Wissenschaft dienst du, ein ewig änderndes Werkzeug.
Ja aber?! Was ist denn das für ein Satzbau – gehört „der Kunst“ wirklich zum „dienst du“? Unverschämtheit … Ein Beispiel für dieses Dienen:
Dein der Verfinsterer Schrecken, die tausendzüngige Letter,
Welche des Weisen Wort den lauschenden Völkern verkündet
– den Völkern, die den Worten der „Verfinsterer“ allerdings noch viel aufmerksamer lauschen, fürchte ich … Aber nun ist Kosegarten am Ende angelangt, wo er den Anfang noch einmal aufnimmt:
Heil dir, Kronions Geschenk, der Gesellschaft fördernster Segen,
Erstes der Erze und Letztes! Vor deinen strahlenden Brüdern
Will ich singen dein Lob und deiner Preise gedenken!
Puh, das liest sich ja schon in diesen knappen Auszügen ziemlich abenteuerlich?! Wer sich an das gesamte Werk traut, muss sich also auf noch einiges mehr gefasst machen. Trotzdem habe ich es gerne gelesen – diese Hymnen haben einfach Schwung und Begeisterung, und da macht es dann nicht viel aus, dass manches vom heutigen Standpunkt aus doch merkwürdig bis peinlich wirkt!
Heil dir, begeisterter Dichter, der hymnischen Tons du die Welt preist!
Hmja, ich sehe ein, dass ich da noch üben muss … Gar nicht so leicht zu treffen, dieser Ton!
Eine Begegnung im Park (4)
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte, trafen sich Dr. Sotz und Heinrich erneut an der Parkbank. Der Doktor hatte wieder seinen großen Rucksack dabei, der zum Bersten voll war; Heinrich holte aus seinem bescheideneren Rucksack belegte Brote hervor und eine große Thermoskanne grünen Tees, und während es langsam hell wurde, frühstückten die beiden schweigend.
Schließlich ging Dr. Sotz daran, seinen eigenen Rucksack auszupacken, und förderte neben dem Spielzeugroboter noch ein Dutzend weiterer kleiner Roboter zu Tage, bewaffnet mit Spitzhacken und Schaufeln; die sahen seltsam aus.
„Haben Sie sich etwa die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, um diese Kerlchen zu bauen?“, frage Heinrich.
„Das hätte ich vermutlich getan, hätte ich kein Hirn … Ich habe aber eins und daher lieber den einen Roboter, den ich schon hatte, so umgebaut, dass er das Dutzend Gräber bauen konnte; und bin Schlafen gegangen.“
„Und angesichts der zahlreichen roten Zipfelmützen und weißen Rauschebärte nehme ich an, ihr blecherner Handlanger hat dabei die Gärten der Nachbarschaft geplündert?“
„Erstens ist das aus geschmacklichen Gründen eine Tat, für die alle Nachbarn mir danken sollten; zweitens werde ich ihnen, wenn wir hier fertig sind, ihre Gartenzwerge zurückerstatten und denke, sie werden diese bei der Gartenpflege als nützlich empfinden. Jetzt aber los!“
Dr. Sotz verteilte die Roboterzwerge an der Stelle, unter der er die Ursache für all die Seltsamkeiten der vergangenen Tage vermutete, und sofort begann das eifrige Dutzend, sich schaufelnd und hackend in die Tiefe zu arbeiten.
Der Spielzeugroboter schaffte die Erde beiseite, und schon bei den ersten kleinen Erdbewegungen gab er erneut Wörter zum Besten:
„Schraubstock … Bahnsteig … Rundfunk … Grundzweck …“
Dr. Sotz und Heinrich sahen dem geschäftigen Treiben nebeneinanderstehend zu. „Es ist bisher nur eine Vermutung, aber wenn sie zutrifft, werden die Wörter, die er ‚empfängt‘, mit zunehmender Grabtiefe älter werden; die älteren Erdschichten entsprechen dabei älteren Sprachschichten, wenn sie so wollen!“
„Kopfschmuck … Singsang … Schwermut … Kriegsknecht … Stammsitz … Jagdhund …“
„Hören Sie, Heinrich! Es scheint wirklich in diese Richtung zu gehen!“
„Schiffsbauch … Eiland … Seemann … Fockrüst … Sturmbö … Kreuztopp … Sandglas … Klarschiff … Wundarzt … Lotgast … Beiboot … Großmast …“
„Nanu!“, murmelte Dr. Sotz und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf den kleinen Roboter. „Seefahrtsausdrücke?“
„Dass mir gut Richtung genommen wird!“
„Das ist seltsam, Heinrich … Unsere Stadt hat doch nie Verbindungen zur Seefahrt gehabt – oder doch?!“
„Warten, bis ihr das Ziel vor Kimme und Korn habt!“
„Sie sind mir keine wirkliche Hilfe, Heinrich – und überhaupt, was reden Sie da die ganze ZeiUMPFF!“
Dr. Sotz presste es sämtliche Luft aus der Lunge, als Heinrich, „Runter!“ schreiend, ihn ansprang und zu Boden riss, gerade noch rechtzeitig, ehe es hinter ihnen gewaltig losdonnerte! Der verdutzte Wissenschaftler verspürte einen scharfen Luftzug oberhalb seiner Denkerstirn (die wenigen verbliebenen Haarsträhnen tanzten wild umher), und über die Schulter blickend bemerkte er einen in Pulverqualm gehüllten Achtzehnpfünder, wie er um 1800 in Gebrauch war, und Seeleute, die um die Kanone herumwuselten, all das aber seltsam verschwommen und farblos.
Erzählformen: Die alkäische Strophe (14)
Nach Alkäus, dem „Erfinder“ der alkäischen Strophe, und Horaz, der die Form so meisterhaft gehandhabt hat, muss nun eigentlich Klopstock vorgstellt werden und eine seiner alkäischen Oden. Allerdings lesen sich diese heutzutage doch recht seltsam; und lang sind sie im allgemeinen auch … Ich belasse es daher bei zwei Strophen aus „Verschiedne Zwecke“, der sechsten und der siebten:
Gleich einer lichten Wolke mit goldnem Saum
Erschwebt die Dichtkunst jene gewölbte Höh‘
Der Heitre, wo, wen sie emporhub,
Reines Gefühl der Entzückung atmet.
Auch wenn sie Nacht wird, flieht der Genuss doch nicht
Vor ihren Donnern; feuriger letzt er sich!
Drauf schwebt sie, schöner Bläue nahe
Nachbarin, über dem Regenbogen.
Ja. So ist sie, die Dichtkunst … „Letzen“ meint „sich erquicken“, „sich erfreuen“?! Aber wenn man sich von der eigenartigen Bildlichkeit löst und der Bewegung nachhört, stellt man fest, dass Klopstock den Satz sicher durch die Strophe führt, mit etwas Spannung, aber nicht zuviel; und alles einen festen, schönen Klang hat.
Aber selbst wenn seine Oden heute nicht mehr recht verständlich sind – die Leistung, die antiken Formen endgültig für die deutsche Dichtung gewonnen zu haben, kann Klopstock niemand mehr streitig machen!
Bild & Wort (121)
Bücher zum Vers (64)
Peter von Matt: Die verdächtige Pracht. Über Dichter und Gedichte.
Diesen zuletzt 2001 bei dtv erschienenen Band kann man sicher uneingeschränkt empfehlen. Er enthält eine Vielzahl von Texten, Gedichtinterpretationen zum Beispiel ebenso wie Dichter-Porträts, und deckt dabei die ganze Bandbreite der deutschen Dichtung ab, auch zeitlich.
Mit am spannendsten aber sind die 80 Seiten des ersten Teils, der „Die Lyrik im Verdacht“ überschrieben ist und den Untertitel „Zur Anthropologie des Gedichts und zum Ärgernis seiner Schönheit“ führt; und in dem es manches überraschende zu lesen gibt. Einige Zeilen daraus, auch, um einen Eindruck davon zu geben, auf welche Art von Matt hier schreibt (S.11-12):
Das Gedicht ist ein Ereignis wie ein schießender Stern oder der Schrei aus dem eigenen Mund, an dem wir in der Nacht erwachen. Wenn dieses Ereignis seinem innersten Willen nach schön sein will, was soll es selbst sich darum kümmern? Ein Problem, und ein dorniges, bitteres, stellt die Tatsache erst für jene dar, die über Gedichte zu reden haben. Sie nämlich dürfen das simple Faktum nicht aussprechen, weil sie sich sonst selber vor einer wachsamen Öffentlichkeit der Verlogenheit schuldig machen. Weil „schön“ nicht „wahr“ sein kann, vertritt, wer eine bestimmte Kunst von ihrem Willen zur Schönheit her definiert, eine faule und falsche Ästhetik, eine Ästhetik der Lüge. Er spricht der Kunst den Willen zur Wahrheit ab, entlässt sie überhaupt aus der Pflicht zur Wahrheit und macht sie zum Luxus. Wir aber brauchen doch die Wahrheit. Wir brauchen die Kunst, weil wir die Wahrheit brauchen. Und was nicht gebraucht wird und dennoch da ist und gefallen will, ist Luxus. So hängen Lüge und Luxus im Verdacht gegen die Lyrik zusammen. So ist aller Verdacht gegen die Lyrik ein entschieden moralischer.
– Da lohnt es sich nicht nur, über das Gesagte nachzudenken; sondern ich finde, das Lesen macht auch viel Freude.
Eine Begegnung im Park (3)
Dr. Sotz begann, Bauteile und Werkzeuge zurück in den Rucksack zu packen.
„Wissen Sie, Heinrich – ich glaube, aus irgendwelchen Gründen beginnt die Welt, sich an diesem Ort anders zu ordnen; alte Verbindungen und Muster lösen sich auf, neue bilden sich … und das auch in der Sprache! Versuchen Sie doch einmal, ruhig zu werden – leeren Sie ihren Geist, na Sie wissen schon, das ganze Programm halt.“
Heinrich schüttelte erheitert den Kopf. „Was denn, der berühmte Wissenschaftler Dr. Sotz – auf der Esoterikwelle?! Dass ich das noch erleben darf! Warten Sie, bis ich das den Kumpels erz…“
Eben da trat Dr. Sotz Heinrich mit einem gemurmelten „Es geht selbstredend auch anders“ kräftig in den Hintern.
Heinrich stolperte, fing sich und fuhr wütend zum Doktor herum – „Schwachkopf!“, schrie er, und „Weinschlauch, Kuhhirt, Plattfuß, Filzlaus, Nachttopf! Krückstock, Kleinholz, Bluttat, Grabstein!“ rufend stürmte er auf den Doktor zu.
Sotz aber wich, begütigend die Hände hebend, zurück und sagte freundlich: „Scheinbar. Klaglied, Rückkehr, Alltag.“
Der Spielzeugroboter wandelte zwischen ihnen hindurch und sagte: „Mor.“
Das war genug, um Heinrich wieder zu Sinnen kommen zu lassen; er hielt an und fasste sich an die schmerzende Rückseite. „Warum haben Sie das getan?“
„Es sollte Sie aus dem Gewöhnlichen herauslösen, aufnahmebereit machen; und mich auch. Und es hat geklappt! Wie sonst ließe sich das Kauderwelsch erklären, das Sie und ich da im Zustand höchster Erregung geredet haben?!“
„Hm“, machte Heinrich. „Da soll mich doch … Was geht hier vor?“
„Ich weiß es wirklich nicht“, sagte Dr. Sotz; „Hirnschmalz“, sagte der kleine Roboter. Dr. Sotz nahm ihn, packte ihn ganz oben in den Rucksack, schloss diesen und schulterte ihn ächzend.
„Aber wenn Sie morgen beim ersten Licht hier sein könnten; dann wollen wir der Sache gemeinsam auf den Grund gehen!“
Heinrich sagte entschlossen zu, und der alte Wissenschaftler verabschiedete sich und ging.
Erzählverse: Der Hexameter (90)
Johann Heinrich Voss und Ludwig Hölty (2)
In (21) tauchten die beiden zuerst auf; wer sich ihrer nicht mehr erinnert, kann ja dort einmal vorbeischauen? Hier möchte ich nur kurz einen einzelnen Vers aus einer Handschrift Höltys gegenüberstellen der Fassung, die er in der von Voss betreuten Buchausgabe erhalten hat. In „Der arme Wilhelm“ heißt es in der Handschrift:
Und ein fliegender Lichtglanz flog durch die Fenster der Kirche.
Das ist einmal inhaltlich etwas verwunderlich – etwas „fliegendes“ „flog“?! Es ist aber auch im Versbau wacklig: Die Zäsur liegt hinter „flog“, aber eigentlich möchte man sie hinter „Lichtglanz“ lesen; der erste Versfuß ist sehr schwach, da zweisilbig und mit Leerwörtern besetzt. Allen drei Mängeln hilft die Fassung der Buchausgabe ab!
Und die erleuchteten Fenster durchfuhr ein fliegender Lichtglanz.
Viel besser! Die Dopplung ist raus, die Zäsur hinter „Fenster“ (oder, wenn man mag, hinter „durchfuhr“) ist verständlich und im Vortrag darstellbar; Der erste Fuß hat zwar immer noch ausschließlich „Leersilben“, ist aber nun dreisilbig, wodurch er doch zumindest ausreichend Gewicht und Dauer bekommt; und schließlich ist der „Lichtglanz“ ans Ende des Verses gerückt, wo er durch die beachtlich schwere Schluss-Silbe „-glanz“ den leichten, bewegten Vers volltönend zur Ruhe bringt.
Man sieht: Die Arbeit am Vers lohnt …
(Gefunden habe ich die beiden Fassungen in Walter Hettche (Hrsg.): Ludwig Christoph Heinrich Hölty. Gesammelte Werke und Briefe. Kritische Studienausgabe. Wallstein 1998., ein Umstand, den ich anmerke, weil mir diese Ausgabe wirklich sehr gut gefällt!)