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Rudolf Hamerling: Der Hexameter im „König von Sion“.
In einem Anhang zu seinem Versepos „Der König von Sion“ erklärt Rudolf Hamerling, wie die Hexameter des Werks angelegt sind und welche Gründe ihn dazu bewogen haben.
Der „König von Sion“ war bereits in der ersten Auflage und noch weit mehr in der zweiten, auf jeder Seite verbesserten, ein Versuch, die strengeren Gesetze des Hexameters in einem größeren Werke zu verwirklichen, und den Vers dennoch ohne pedantischen Anstrich, leicht lesbar und natürlich zu gestalten.
Es war dies in noch höherem Maße seit der fünften, die gleichfalls auf jeder Seite formelle Verbesserungen erfuhr. Fast noch zahlreichere Änderungen wurden bei dem sechsten Neudruck vorgenommen, nicht bloß formeller, sondern an einigen Stellen auch sachlicher Natur. Auch die siebente Auflage wurde formell wieder vielfach verbessert, und erscheint überdies gereinigt von den zahllosen Druckfehlern, welche die sechste entstellten.
Die achte und neunte Auflage sucht gleichfalls durch neue Verbesserungen dem Ideal des guten deutschen Hexameters noch näherzukommen, einem Hexameter nämlich, der ebensowohl die Ansprüche des natürlichen Wortakzents und einer fließenden Rede befriedigt, als er denjenigen eines feinfühlenden, metrisch gebildeten Ohres gemäß ist.
Man hat nun in der Tat den Hexameter im „König von Sion“ leicht lesbar und fließend gefunden, aber zum Teil geglaubt, dies rühre von einer freien und leichten Behandlung her. Aber nur der strenggebaute und namentlich von Trochäen möglichst freie Hexameter ist leicht lesbar, klangvoll und fließend.
Dass im im „König von Sion“ der Trochäus in einem Maße vermieden worden, wie bisher noch nie in einem deutschen Gedichte von solcher Ausdehnung, wird der Beurteiler zugeben, es müsste nur sein, dass ihm die Kenntnis der mittelzeitigen Silben abginge und er dieselben dem Dichter als Kürzen anrechnete. In diesem Falle wäre er auf das Lehrbuch der Metrik von Minckwitz zu verweisen.
Wirkliche Trochäen, das heißt solche, deren zweite Silbe keine Mittelzeit, sondern eine entschiedene Kürze ist, hat der „König von Sion“ nur in einer verschwindend kleinen Zahl von Fällen. Zu den Mittelzeiten aber nimmt er, außer den von Minckwitz festgestellten, auch die persönlichen Pronomina, die Verbalform „ist“, die nicht zu gewichtigen Präpositionen, das zwar gewichtige, aber in einem größeren Werke unmöglich immer als Länge zu gebrauchende „durch“.
Kurz nehme ich nach Bedarf die erste Silbe des unbestimmten Artikels in den Beugungsformen („eine“, „einen“ usw.), was durch die Tonlosigkeit, mit welcher ja doch immer ein Artikel gesprochen wird, als entschuldigt gelten kann. „Hierher“ gebrauche ich als Spondäus, „hieher“ aber nötigenfalls als Iambus.
Kein Bedenken trage ich ferner, zwei mittelzeitige Silben nebeneinander als Kürzen zu gebrauchen; mit reifem Bedacht gestatte ich mir vielmehr im Gebrauch dieser doch meist sehr unbetonten Mittelzeiten eine größere Freiheit, mehr darauf achtend, was ein feingebildetes Ohr, als was eine gedankliche Theorie gestattet.
Es hat Anstoß gegeben, dass in den ersten Auflagen des „Königs von Sion“ unbetonte Mittelzeiten wie „und“, „doch“, „mit“, „aus“ usw. an den Versanfang gestellt worden (was manche als iambische Versanfänge bezeichneten!!). Dies war aber nach Platens und der strengen Metriker Vorgang geschehen. Beispiele finden sich überall. Man sehe Platens „Fischer auf Capri“. Da begegnen wir auf zwei Seiten Versanfängen dieser Art: „Mit Schießscharten versehen“ – „Ans treulose Gestade“ – „Aus unwirtlichem Stein“. Platen verließ sich auf die nachhelfende Betonung des Lesers. Indessen sind seit der zweiten Auflage die betreffenden Stellen des „Königs von Sion“ fast sämtlich geändert worden, da der Dichter die Forderung, den Hexameter so zu gestalten, dass kein Vorleser ihn verderben kann, als begründet anerkennt.
In Beziehung auf die Zäsuren darf der Beurteiler nicht versäumen nachzulesen, welche Ausnahmen von der Regel die Theorie gestattet; ferner darf er nicht die Fälle übersehen, wo die mangelnde Zäsur einen malerischen Zweck hat, wie zum Beispiel in dem Verse, wo von der Schlange gesagt ist; „Aber in hurtigen Windungen denkt sie gemach zu entgleiten.“
Die Zahl der nicht unter diese beiden Kategorien fallenden „zäsurlosen“ Hexameter im König von Sion“, wenn überhaupt noch welche darin vorkommen, ist gewiss kleiner als in den besten Hexameterwerken.
– Richtig ist, dass männliche Zäsuren dem Vers einen festeren Halt geben als weibliche, und dass daher die Zahl der männlichen immer größer sein muss als die der weiblichen. Aber ganz töricht wäre es, zu fordern, dass letztere nur ausnahmsweise vorkommen dürfen. Man begegnet bei Homer vier bis fünf Hexametern mit weiblicher Zäsur nacheinander sehr häufig. Die ersten hundert Verse der Iliade haben 52 männliche und 49 weibliche Zäsuren! Ich denke, man darf dem feinen Ohr der Griechen vertrauen.
Seit der fünften Auflage sind aus dem Werke auch die meisten jener Hexameter verschwunden, die man als amphibrachische tadeln konnte. Die wenigen, die geblieben und die nicht schon der Zweck des Malerischen oder sonst Charakteristischen rechtfertigt, sind von der Art, dass sie, nach dem Sinne betont, nicht nach dem Schema des Verses markiert, das Ohr nicht beleidigen können.
Der „König von Sion“ schließt sich in der Silbenmessung und im Versbau an Platen und an Minckwitz. In den Punkten, worin der von diesen abweicht, geschieht es nach bewussten Prinzipien, nach Prinzipien, welche sich dem Dichter während der Ausarbeitung des Werkes aufgedrängt haben.
Beurteiler wie Nachfolger werden jedoch immer beachten müssen, was häufig, was selten, was nur ausnahmsweise, oder gar nur einmal im ganzen Werk sich findet. Letzteres kann auch auf einem Versehen, oder (was wohl zu beachten) auf einem Druckfehler beruhen. Ja, auf einem Druckfehler! Ist doch der Dichter für die Korrektheit seiner Verse nur so lange verantwortlich, als er lebt und den Wiederabdruck seiner Dichtungen überwachen kann. Es versteht sich ja beinahe von selbst, dass bei einem Neudruck des „König von Sion“, der nach meinem Ableben erfolgt, sich jedes „euere“ in „eure“, jedes „hieher“ in „hierher“ (was für mich, wie oben gesagt, metrisch nicht ganz dasselbe ist), jedes „reineste“ in „reinste“ usw. verwandelt. Ein schöner Akt der Pietät wäre es, wenn man es zur Gepflogenheit machte, beim Wiederabdruck von Dichtwerken nach dem Tode des Autors immer ein Exemplar von der letzten Auflage zugrunde zu legen, die bei seinen Lebzeiten erschien und die er selbst noch durchzusehen in der Lage war.