Wo beginnt ein Dichter-Sein?! Im Falle Anton Wildgans‘ in allerfrühester Jugend, wie er in „Mein Leben“ berichtet. Als ihm 1885 vierjährig die Mutter starb, zog er wenig später mit Vater und Tante um, und:
Untertags war ich hier auch hier meistens allein. Des Abends aber legte sich mein Vater früh zu Bett, und zwar war mein Gitterbett an das seine angeschoben. Da pflegte er nun bei dem Lichte eines kleinen Petroleumlämpchens zu lesen und mir einzelne Gedichte Schillers laut vorzusagen. Da ich ein empfängliches Gedächtnis hatte, redete ich ihm bald einzelne Verse nach, und es dauerte nicht lange, so konnte ich „Hektors Abschied“ und den „Handschuh“ auswendig. Nun brachte mir mein Vater eine Art Vortrag bei, indem er mich anleitete, die Worte Hektors mit anderer Betonung und Stimme zu sprechen als die der Andromache. Er war dabei sehr liebevoll und ohne Strenge. Auch belohnte er jedes Gedicht, das ich neu auswendig konnte, mit einem Geschenk in Form farbiger Bleistifte und vieler Bilderbogen. Wenn wir nicht gerade Gedichte auswendig lernten, so hatte mein Vater eine andere Beschäftigung mit mir. Er gab mir Wörter auf, zu denen ich ihm die Reimwörter sagen musste. Dieses Spiel liebte ich bald besonders.
Schiller also, und in so jungen Jahren. Nun ja, warum nicht. Obwohl man sich sicher fragen kann, was der kleine Anton denn zum Beispiel von der Schlussstrophe des „Abschieds“ verstanden hat:
Hektor
All mein Sehnen will ich, all mein Denken
In des Lethe stillen Strom versenken,
Aber meine Liebe nicht.
Horch! der Wilde tobt schon an den Mauern,
Gürte mir das Schwert um, lass das Trauern,
Hektors Liebe stirbt im Lethe nicht.
Also abgesehen davon, dass er danach wusste, wie dieser ganz eigene Schiller-Ton klingt …