Diese Seite ist eine Unterseite zur Seite Über Hexameter, auf der viele weitere Texte über den Hexameter zu finden sind.
Aus: Ästhetik, oder die Lehre vom Schönen und von der Kunst in ihrem ganzen Umfang, 1840.
§ 472. Der heroische Vers (so genannt, weil man darin die Taten der Helden, heroum, besang), oder Hexameter, ist ein sechsfüßiger, daktylischer Vers, der mit einem Spondeus oder Trochäus endigt. Seine Haupteinschnitte fallen auf den dritten, oder auf den zweiten und vierten Fuß, doch kann er deren noch mehrere annehmen. Fällt die Zäsur bloß auf den dritten Fuß, kann sie männlich oder weiblich sein; fällt sie aber auf den zweiten und vierten, muss sie männlich sein. Ein Abschnitt nach dem vierten Fuße, wodurch die letzten Füße abgesondert werden, wird der bukolische Abschnitt genannt, weil er vorzüglich häufig in den bukolischen Gedichten der Alten vorkommt. Der Hexameter kann an allen Stellen statt des Daktylus einen Spondeus aufnehmen; nur werde dann der Daktylus nicht vom fünften Fuße verdrängt. Daktylen und Spondeen können im Hexameter miteinander abwechseln, wodurch der Vers die größte Mannigfaltigkeit erreicht, von der trägsten Schwere bis zur raschesten Leichtigkeit bald einen majestätischen oder prächtigen, bald einen flüchtigen oder nachlässigen Gang annimmt. Dem Hexameter der Alten am genauesten nachgebildet ist der Vers in den slawischen Sprachen. Wir Deutsche müssen aus Armut an Spondeen oft den Trochäus substituieren, sollten diesen aber so sparsam wie möglich gebrauchen. Verdankt der deutsche Hexameter Klopstock Ansehen, Allgemeinheit und Vollkommenheit, so erklomm Voß den höchsten Gipfel der Rhythmik, und nur wenige, wie zum Beispiel A. W. Schlegel in seiner Elegie Rom, in der Übersetzung eines indischen Epos, „Die Herabkunft Gangas“, und A. Wolf in einzelnen Übersetzungsproben, Platen und Schwenk sind noch höher gestiegen. Der Schlussfall des Hexameters muss vernehmbar sein. Man darf daher nicht willkürlich, wie es sich gibt, und wo, den Vers beschließen, oder mit unvollendeten Gliedern von Zeile zu Zeile herüberspringen, und noch weniger den Vers mit der Hälfte eines Worts schließen; sondern muss darauf bedacht sein, dass an der Stelle ein Satzteil mit einem gewichtigeren Worte sich ende, obgleich keine Interpunktion nötig ist. Eine Einzellänge am Ende des Hexameters hat oft große Kraft, indem sie die Vorstellung der Schwere und Größe, des Erhabenen oder Gewaltsamen erweckt, bei kleinlichen Gegenständen aber die Wirkung des Lächerlichen hervorbringt. Der Sinn des epischen Hexameters, dessen allgemeinster Charakter stetes Fortschreiten, bleibender Wandel ist, bezeichnet Schiller treffend, wenn er sagt:
Schwindelnd trägt er dich fort auf rastlos strömenden Wogen,
Hinter dir siehst du, du siehst vor dir nur Himmel und Meer.
Nimmt der Hexameter auf dem fünften Fuße einen Spondeus auf, so muss auf dem vierten notwendig ein Daktylus eintreten; ein solcher Hexameter heißt dann ein spondeischer, und wird nur dann gebraucht, wenn dem Rhythmus ein ernster, feierlicher Gang gegeben werden soll. Ein abgekürzter heroischer Vers, der nur aus den vier letzten Füßen eines Hexameters besteht, heißt ein alkmanischer. Horaz gebraucht ihn nur in Verbindung mit einem vollständigen Hexameter; so auch Klopstock und andere. Die beiden letzten Füße des Hexameters bilden den adonischen Vers, der teils allein in beständiger Wiederholung nur im munteren Liede, hauptsächlich aber als Schlussvers der sapphischen Strophe gebraucht wird.