Erzählverse: Der trochäische Fünfheber (7)

Ein Kanadier, der noch Europens
Übertünchte Höflichkeit nicht kannte
Und ein Herz, wie Gott es ihm gegeben,
Von Kultur noch frei, im Busen fühlte,
Brachte, was er mit des Bogens Sehne
Fern in Quebecs übereisten Wäldern
Auf der Jagd erbeutet, zum Verkaufe.
Als er, ohne schlaue Rednerkünste,
So wie man ihm bot, die Felsenvögel
Um ein Kleines hingegeben hatte,
Eilt‘ er froh mit dem geringen Lohne
Heim zu seinen tiefverdeckten Horden,
In die Arme seiner braunen Gattin.

 

So beginnt Johann Gottfried Seumes „Der Wilde“. Das ist nun keine Geschichte, die heute noch weithin bekannt zu sein verdiente; aber die Art, wie Seume den fünfhebigen Trochäus verwendet, ist doch einen Blick wert, scheint mir. Zwei lange Sätze füllen einmal sieben, einmal sechs Verse, was ja auf eine gewisse Spannung zwischen den Größen zu deuten scheint; doch spricht man die Verse laut, ist es schwer, sie lebendig und ausdrucksstark klingen zu lassen … Vielleicht liegt es darin, das zwar der Satz erfahrbar wird, der Vers aber sehr blass bleibt?!

Ohne Titel

Es gibt ein Wort, das ganz genau beschreibt,
Wie sich das frühe Licht in Honig bricht,
Darin der toten Fliege Schatten treibt –
Es gibt dies Wort, und niemand kennt es nicht.

Erzählverse: Der Blankvers (61)

„Der Tapfere“ von Johann Gottfried Herder erzählt eine Geschichte; aber der Text hat es nicht eilig damit. Erst einmal ergeht er sich im Langen und Breiten über das Wesen des Heldentums:

 

Ein böses Heldentum, wenn gegen Mensch
Der Mensch zu Felde zieht. Er dürstet nicht
Nach seinem Blut, das er nicht trinken kann;
Er will sein Fleisch nicht essen; aber ihn
Zerhaun, zerhacken will er, töten ihn! –
Aus Rache? Nicht aus Rache: denn er kennt
Den Andern nicht, und liebet ihn vielleicht.
Auch nicht sein Vaterland zu retten, zog
Er fernen Landes her. Ein Machtgebot
Hat ihn hieher geführet; roher Sinn,
Die Raubsucht, Sucht nach höhrer Sklaverei.
Von Wein und Branntwein glühend, schießt er, sticht
Und haut und mordet; mordet – weiß nicht, wen?
Warum? wozu? bis beide Helden dann,
Verbannt ins Schloss der Unbarmherzigkeit,
Ein Krankenhaus, mit andern Hunderten
Daliegen ächzend; und sobald den Krieg
Not und der Hunger endet, alle dann
Als Mörder-Krüppel durch die Straßen ziehn
Und betteln. Ach, sie mordeten um Gold,
Gedungne Helden aus Tradition.

 

Kein lyrischer Ton, mehr gepflegte Plauderei – die aber trotzdem durch den streng durchgeführten iambischen Fünfheber zusammengehalten wird?! Der letzte Vers ist dabei ein klein wenig knifflig zu lesen, aber das liegt an dem etwas unschönen Wort „Tradition“! Langeweile kommt jedenfalls nicht auf. Weswegen Herder auch weiterhin nicht zur eigentlichen Geschichte kommt, sondern „wahres Heldentum“ zu beschreiben beginnt:

 

Ein edler Held ist, der fürs Vaterland,
Ein edlerer, der für des Landes Wohl,
Der edelste, der für die Menschheit kämpft.

 

Nach diesen sinnspruchartigen Zeilen geht es dann, ganz langsam! wirklich zur eigentlichen Geschichte. Die lasse ich hier aber weg; Zweck des Beitrags ist schließlich, zu zeigen, wie auch gekonntes „Welterklären“ im Blankvers sein Zuhause hat und dank des Verses bei aller Freiheit der Gedanken, hierhin und dorthin zu wandern, doch immer gestaltet wirkt.

Erzählformen: Die alkäische Ode (16)

Friedrich Hölderlin,  der Großmeister der deutschen Ode, hat auch diese dreistrophige alkäische Ode geschrieben, „Empedokles“:

 

Das Leben suchst du, suchst, und es quillt und glänzt
Ein göttlich Feuer tief aus der Erde dir,
Und du in schauderndem Verlangen
Wirfst dich hinab, in des Aetna Flammen.

So schmelzt‘ im Weine Perlen der Übermut
Der Königin; und mochte sie doch! hättst du
Nur deinen Reichtum nicht, o Dichter,
Hin in den gärenden Kelch geopfert!

Doch heilig bist du mir, wie der Erde Macht,
Die dich hinwegnahm, kühner Getöteter!
Und folgen möcht‘ ich in die Tiefe,
Hielte die Liebe mich nicht, dem Helden.

 

Über diese Verse haben wiederum kluge Leute viel geschrieben, so unter dem Titel „Poetische Individualität. Hölderlins Empedokles-Ode“ Martin Endres, der bei seinen Ausführungen auch auf den Aufbau und das Wesen der alkäischen Strophe eingeht. Wer mag, kann ja einmal in besagtem Werk vorbeischauen: Die Logik der Form – Die alkäische Ode, so der Titel des entsprechenden Kapitels, beginnt auf Seite 20!

Erzählformen: Das Reimpaar (20)

Abwechslung ist immer wichtig; das Reimpaar ist da keine Ausnahme! Warum also nicht hier und da das Reimpaar um einen dritten Vers erweitern, der mit demselben Reim endet? Dadurch lässt sich einiger Nachdruck erzielen, mit dem in der Verserzählung zum Beispiel das Ende eines Abschnitts gekennzeichnet werden kann. Aber auch im Epigramm zeigt ein solcher Dreizeiler diesen Nachdruck, wie „Spötter“ von Friedrich von Logau zeigt:

 

Wer andrer Leute höhnisch lacht,
Der habe nur ein wenig Acht,
Was hinter ihm ein Andrer macht.

 

– Klingt zwar etwas altertümlich, aber Logau war ja auch ein Barock-Dichter. Und ein ganz hervorragender Epigrammatiker dazu, weswegen seine „Sinnsprüche“ auch heute noch mit Gewinn gelesen werden können, einmal des Inhalts wegen; und dann ihres Aufbaus wegen, da kann jeder, der heutzutage Epigramme schreiben möchte, sicher einige Anregungen mitnehmen!

Hier leistet das dreimal wiederholte Reimwort eine enge Verklammerung der drei iambischen Vierheber, die sonst – jeder enthält einen Satz – vielleicht ein wenig auseinanderfallen würden?!

So musste es kommen

Mir ist danach, mal wieder hinzuschmieren
– Na was wohl? Ein Sonett! So richtig schludrig,
Als führe die Trieme, dreißigrudrig,
Mit dreißig Rudern nicht, und führ mit vieren.

Die Reime auch, die das Sonett ja zieren,
Wähl ich nicht duftig-fein, nicht babypudrig;
Sie stinken wie ’ne Wiese voller Kuhdreck,
Sind Fenster, ungeputzte: voller Schlieren …

– Bestandsaufnahme! Was ist vorgekommen,
Bis jetzt? Genau: Noch gar nichts. Das zu ändern,
Stell der Trieme ich ’ne Kuh aufs Deck,

‚Ne Dichterkuh, von ihrer Kunst benommen,
Siehst leeren Blickes du zum Schiffsrand schlendern;
Und ist, kaum war sie da, schon wieder weg.

Erzählformen: Die alkäische Strophe (15)

Walther Hof gibt in seinem lesenswerten Buch „Hölderlins Stil als Ausdruck seiner geistigen Welt“ (Westkulturverlag Anton Hain 1954) auch einige Hinweise auf das Wesen der alkäischen Strophe (andere Beschreibungen finden sich in (2)!). Auf den Seiten 116 und 117 findet sich zum Silbenbild der Strophe:

x X x X x | X x x X x X
x X x X x | X x x X x X
x X x X x X x X x
X x x X x x X x X x

Die beiden ersten Zeilen sind gleich. Innerhalb der Zeilen sind erste und zweite Hälfte einander insofern entgegengesetzt, als die erste steigendes, die zweite fallendes Maß hat. In der Mitte, der Zäsur, stoßen aber keine Hebungen aufeinander, es kann also hier in keinem Sinn der Eindruck eines Gegeneinander entstehen. Vielmehr geht der Fluss der Bewegung durch die Pause hindurch. Beide Teile sind also einander harmonisch entgegengesetzt als steigender und fallender Ast eines Bogens. Stünde nach der Pause kein Daktylus, so entstünde eine ganz linerare Bewegung, weil die Pause dann gar nicht bemerkt würde. … Durch die Doppelsenkung aber wird die erste Hebung der zweiten Hälfte stärker hervorgehoben und damit auch die gegenrhythmische Unterbrechung in der Mitte. Mit der ersten Hebung der zweiten Hälfte beginnt so der Abklang, und zugleich bildet sie mit der durchklungenen Pause zusammen den Höhepunkt eines rhythmischen Bogens.

Hm. Die Zäsur ist im deutschen Elfsilber immer ein Problemfall gewesen; Bemerkenswert, wie sie Hof hier zu beschreiben versucht?! Zum dritten und vierten Vers (Seite 117, 118):

Den beiden ersten Zeilen, deren jede bis zu einem gewissen Grade in sich geschlossen und im Gleichgewicht ist, folgen nun die beiden letzten, die für sich unselbstständig sind und erst zusammen ein Ganzes bilden. Und zwar stehen die beiden Zeilen dieses „Abgesangs“ genau im gleichen Verhältnis zueinander wie die Hälften der ersten beiden Zeilen. Die erste Zeile des Abgesangs stellt eine Verlängerung der ersten Halbzeile dar und hat steigenden Rhythmus, die zweite hat den fallenden Rhythmus der zweiten Halbzeile, verdoppelt deren Daktylus und endet klingend, so dass sie gegenüber dem Hebungsschluss der zweiten Halbzeile wirklich einen Ausklang darstellt. Sie verdoppelt gleichsam die Versfüße des „Adoneus“, dessen Wesen idealer Ausklang ist. Entsprechend dieser Verstärkung des Bauprinzips der Halbzeilen ist auch die Zäsur zwischen dritter und vierter Zeile stärker als zwischen den Halbzeilen und, da ja auch hier ein Übergang besteht, der Bogen höher und gespannter als innerhalb der beiden ersten Zeilen. Endlich findet sich auc zwischen der zweiten Zeile und dem Abgesang der Übergang eines Wellentals, der Übergang von fallendem und steigendem Rhythmus, und zwischen Strophenschluss und Anfang der neuen Strophe ergibt sich dasselbe Verhältnis, so dass das Strophenenjambement von diesem Maß geradezu herausgefordert wird. Aber auch wo es nicht vorhanden ist, bietet das Versmaß niemals einen harten und unbedingten Abschluss, sondern immer einen weichen und offenen Ausklang.

Das liest sich sehr ähnlich dem, was andere auch sagen zum Strophenbau, aber eben nicht ganz genau so; und die grundlegenden Dinge noch einmal erklärt zu bekommen, schadet ohnehin nicht. Daher folgt jetzt auch noch, als Schluss, der nächste Satz  Hofs, dessen Inhalt man nicht oft genug wiederholen kann:

Das alkäische Maß ist also zwar vierzeilig, aber dreiteilig.

Das Königreich von Sede (71)

So wie die Augen des Froschs den Mücken folgen, ihr Schwarm tanzt
Über dem Grabenrand, doch in wirr-verschlungenen Bögen
Trägt sie aufs Wasser der Schwung und weiter, nah an die Blätter,
Breite der Wasserrose, da sitzt der Frosch und er spannt an
Alle die Glieder, bereit für den nahrungsverheißenden Absprung:
Also folgen den Dienern die Augen Schemels, ein jeder
Hat ein Tablett in den Händen, darauf die Becher sich drängen,
Weines voll, und näher zu Schemel führt sie ihr Weg nun.

Bücher zum Vers (74)

Renate Böschenstein: Idylle

Ein 1967 in der „Sammlung Metzler“erschienener Band und, wie die allermeisten Bände dieser Reihe: ein lesenswerter.

Aber warum „Idylle“? Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis lehrt, dass (neben anderen) Goethe, Schiller, Voss, Hölderlin, Kleist, Jean Paul, Hebbel, Platen und Mörike (Vers-)Idyllen geschrieben und / oder über die Gattung nachgedacht haben; und diese Namensliste ist sicherlich Grund genug für einen genaueren Blick, auch wenn die Idylle als Gattung heute nicht mehr so im Vordergrund steht! Und das ist nur der deutsche Anteil an einer europäischen Idyllen-Tradition, die sich in der griechischen Antike begründet und von da an jahrtausendelang in allen europäischen Literaturen anzutreffen war …

Dementsprechend sind die  Grundgedanken dieser Gattung auch heute noch wirksam, vielleicht eher im verborgenen, aber spürbar; und manchmal kommen sie an unerwarteter Stelle zum Vorschein! So zum Beispiel im April dieses Jahres, als auf zeit.de ein langes Interview mit Wolf Haas erschien, in dem unter anderem zu lesen war:

ZEIT: Stiften Krimis hinterrücks so was wie gesellschaftlichen Zusammenhalt?

Haas: Vielleicht. Die meisten Krimis empfinde ich gattungsmäßig eigentlich als Idyllen.

ZEIT: Deshalb auch der große Erfolg von Regionalkrimis?

Haas: Genau. Gerade durch die kriminelle Störung wirkt die Welt eigentlich intakt und abgegrenzt, die Polizeiarbeit hat so was Integres, fast wie die letzte nicht entfremdete Arbeit. Und die landestypischen Spezifika, das typisch Italienische, Skandinavische, Englische, haben in einer globalisierten Welt ja auch fast was von einer folkloristischen Behauptung.

Böschenstein eröffnet ihren Band mit einem Abschnitt „Probleme der Gattung Idylle“, worin ausführlich die Schwierigkeit besprochen wird, diese Gattung überhaupt erst einmal zu bestimmen; Haas nennt einige der Größen, die sie dabei gleichfalls in Augenschein nimmt, mit „Jetztzeitbezug“.

Nun lese ich keine Krimis, aber diese Betrachtungsweise finde ich dann doch recht bedenkenswert!