Erzählformen: Der Zweiheber (8)

a X b X c – Ein Zweiheber hat zwei Hebungsstellen, hier die X, und drei Senkungsstellen, hier a, b und c. Während b, also die Senkung in der Versmitte, entweder mit einer oder zwei unbetonten Silben besetzt wird, werden a und c entweder mit keiner oder mit einer unbetonten Silbe besetzt; und das Zusammenspiel dieser Möglichkeiten ergibt die bisher vorgestellten Formen.

Ganz ausgeschlossen ist es aber nicht, dass auch a und c mit zwei unbetonten Silben besetzt werden. Für c liefert Friedrich Rückert ein Beispiel in „Die Göttin im Putzzimmer“, woraus ich acht Verse vorstelle:

 

Und aus dem lebenden
Inneren Hauch
Wird dem Umgebenden
Leben erst auch.
Schöpf’rin, Entfalterin
Himmlischer Zier,
Stehst du, Gestalterin
Muse, vor mir?

 

… Was, eigentlich, zwei vierzeilige und kreuzgereimte Strophen dieses Baus sind:

X x x X x x
X x x X
X x x X x x
X x x X

– Und deren Silbenverteilung bringt, keine Frage, eine ganz eigene Wirkung hervor! Ich empfehle, diese Strophe selbst zu versuchen. Sie schreibt sich nicht ganz leicht, lohnt den Aufwand aber.

Wollte man die Zweiheber nach dem Schema (a/b/c) ordnen und für dabei für die drei Buchstaben die Anzahl der unbetonten Silben einsetzen, wäre die erste Zeile hier von der Art (0/2/2), die zweite Zeile von der Art (0/2/0); die erste Strophe eines anderen Gedichts von Rückert …

 

Du bist die Ruh‘,
Der Friede mild,
Die Sehnsucht du
Und was sie stillt.

 

… wäre von der Art (1/1/0). Aber gut. Wem das zu trocken ist, kann sich die Musik anhören, die Franz Schubert dazu geschrieben hat: Du bist die Ruh.

Das Königreich von Sede (80)

Er springt, er landet und er springt
Von neuem zu dem Lied,
Das Schemel ihm zur Laute singt,
Und eh‘ er’s sich versieht,
Führt ihn ein Sprung zum Grabenrand.
Der Narr verstummt, ihm zagt die Hand,
Er weiß, was nun geschieht!

Dem Frosch ist’s gleich, er springt und lässt
Sich fallen – Wasser spritzt
Und hat im Augenblick durchnässt:
Den, der am Graben sitzt
– Und wieder singt, die Sängerpflicht
Gebeut’s; man hört den Ärger nicht,
Der aus dem Aug‘ ihm blitzt.

Erzählverse: Der trochäische Vierheber (49)

2014 ist bei Wallstein der Band „Christine Lavant. Zu Lebzeiten veröffentlichte Gedichte“ erschienen. Das ist ohnehin ein lesenswertes Buch, lohnt die Beschäftigung mit ihm aber auch in Hinblick auf den Aufbau der Gedichte; die verwendeten Maße. Auf Seite 471 etwa findet sich ein Text in ungereimten trochäischen Vierhebern, dessen Beginn so lautet:

 

Der Apostel Himmelschlüssel,
das Prophetlein Männertreue,
beide rieten mir zu flüchten
unters Dach der Sterbestunde,
noch bevor die Bocksbartsterne
in den Wiesen niederkämen.
Doch ich hoffte voller Gleichmut
auf die braunen Teufelsschirme,
auf die roten Klebenelken
und den blauen Hosenknopf.

 

Nur zehn Verse, aber sie genügen, um ein Gefühl zu bekommen für die Art, wie Christine Lavant den Vierheber verwendet? Sehr fest schließende Sätze (oft auf einer Betonung), worauf der nächste Satz erst einmal wieder Fahrt aufnehmen muss; der abgemessene Versraum wird erfahrbar durch die Wiederholungen.

Ohne Titel

Im Park steht eine Bank; an schönen Tagen
Ist die von morgens früh bis abends spät
Besetzt mit Menschen, die ein Päuschen machen:
Die frische Luft genießen und die Wärme.
Und ist mal niemand da, dann landen Tauben
Auf einer alten Zeitung, und sie neigen
Die Köpfe, dass es scheint, sie lesen – doch
Was Menschen kümmert, kümmert Tauben nicht.

Erzählformen: Der Zweiheber (7)

Die in (7) vorgestellte Zweiheberart, X x x X x, ist ein als „Adoneus“ bekannter, geschätzter und gern verwendeter Vers; auch beim Verserzähler kam er schon vor, zum Beispiel in der Bewegungsschule (29 – 31). Man kann mit ihm viel anstellen, und er verträgt sich auch gut mit anderen Versen!

Ein Beispiel dafür ist die letzte Strophe aus Eugen Obermeyers „Beschwörung“:

 

Muss dich in tausend
Hymnen noch preisen,
Tochter der Sonne,
Schwester des Mondes,
Schönheitstrahlendes Kind!

 

– Die „Adoneen“ sind, erst einmal, recht rasch und flüchtig, und so dient der dreihebige Schlussvers, ein X x X x x X, durch die dritte Hebung und die Schlussbetonung als ein langes, weites Bremsen und, schließlich, Stillstehen; was eine schöne, die Strophe rundende Wirkung hat?!

Auch!

In der Weihnachtszeit sind die Menschen, nun ja: recht seltsam, wobei, nein das trifft’s nicht –
Sie sind sehr, sind sogar auf’s Äußerste, doch! sind auf’s Äußerste seltsam: zur Weihnacht.

Erzählformen: Das Distichon (20)

Vielleicht lohnt es sich, auf die Verse des zuletzt erwähnten Friedrich Georg Jünger zu schauen? In seinen „Sämtlichen Gedichten“, erschienen 1985 bei Klett-Cotta, findet sich ab Seite 80 das längere Gedicht „Meeresfrüchte“, in Distichen geschrieben, aus dem ich ganz frech zwei dieser Distichen herausnehme:

 

Der Hammerhai

Bogenförmig klafft ihm das Maul, zum doppelten Schlägel
Formt sich das seltsame Haupt, Spindeln gleich reckt sich der Leib.
Wütend bestürmt er den fliehenden Thun und zerreißt ihn im Netz noch,
Bis den Jäger der Stahl jagender Fischer gefällt.

 

Liest sich kraftvoll?! Nicht alle Verse der „Meeresfrüchte“ sind heute noch unmittelbar erfahrbar, aber viele doch; insofern lohnt sich ein Blick auf Jüngers Gedicht allemal, auch und gerade im Abgleich mit seinen  theoretischen Überlegungen.

Erzählverse: Der Hexameter (127)

Bei dem, was man beabsichtigt oder zufällig liest über den Tag verteilt: Lohnt es sich, darauf zu achten, ob und wie der Hexameter vorkommt. Das tut er, eigentlich, gar nicht so selten, wenn auch meist nur am Rande. In Friedrich Georg Jüngers 1979 bei Klett-Cotta erschienenem Roman „Heinrich March“ etwa:

In Geest sah Ludolf den einzigen Lehrer der Schule, der ihn förderte und die Fähigkeit dazu hatte, eine Fähigkeit, die sich nicht auf Lehren und Lernen beschränkte. Er spürte, dass darin keine Absicht lag, sondern ein Wohlwollen, das ihn freiließ. So hielt er sich an Geests Weisungen und tat das auch, wenn er in seinem Zimmer war und nicht stumm, sondern laut memorierte. Geest hatte ihm eingeprägt, dass das laute Lesen Gewinn bringe. Die Sprache sei nicht für das Auge, sondern für das Ohr da, und nur im Ohr entstehe das Echo, welches Prosa und Verse hervorriefen: auch das Auswendiglernen werde dadurch erleichtert. Wenn Heinrich und Otto an Ludolfs Zimmer vorbeigingen, sagte Otto: „Er hexametriert wieder“. Frau Rosa kam hinzu, und sie lauschten gemeinsam an der Türe. „Er sollte auch uns etwas vorlesen. Ich habe das lange genug für euch getan.“

Ludolf ging darauf ein,und sie begannen an den Winterabenden damit und lasen zuerst den „Reineke Fuchs“.

So zu lesen auf Seite 74. Jünger hat selbst „hexametriert“ (als Versemacher, nicht -leser) und sich auch grundlegend Gedanken zu Vers und Hexameter gemacht in seinem kleinen, aber feinen Band „Rhythmus und Sprache im deutsche Gedicht„. Da findet sich dann auch ein Gedanke aus obigem Romanauschnitt wieder: „Der Vers ist keine Größe fürs Auge, sondern fürs Ohr.“

Erzählformen: Der Zweiheber (6)

Der trochäische Zweiheber – X x X x (4, Waiblinger) – kann auch mit männlichem Schluss vorkommen: X x X, dreisilbig also. Ein eindrückliches Beispiel für das Wechselspiel beider Formen geben diese vier Verse aus Friedrich Schillers „Lied von der Glocke“:

 

Von dem Dome
Schwer und bang
Tönt die Glocke
Grabgesang.

 

Wenn man nun bei diesen beiden Versen, nach dem Vorbild der iambischen Zweiheber aus (5), eine Senkung mit zwei unbetonten Silben besetzt, entstehen diese Verse:

X x x X x

X x x X

– Und die klingen dann gar nicht mehr „schwer und bang“, sondern kraftvoll und beweglich; wie Schiller selbst zum Beispiel in seinem „Punschlied“ vorführt:

 

Vier Elemente,
Innig gesellt,
Bilden das Leben,
Bauen die Welt.

Presst der Zitrone
Saftigen Stern,
Herb ist des Lebens
Innerster Kern.

Jetzt mit des Zuckers
Linderndem Saft
Zähmet die herbe,
Brennende Kraft.

Gießet des Wassers
Sprudelnden Schwall,
Wasser umfänget
ruhig das All.

Tropfen des Geistes
Gießet hinein,
Leben dem Leben
Gibt er allein.

Eh es verdüftet,
Schöpfet es schnell,
Nur wenn er glühet,
Labet der Quell.

 

(Wer mag, kann sich die Lesung von Fritz Stavenhagen anhören)