Friedrich Rückert: Epistel
Höre, mein Arzt, womit mir zu helfen ist, hilf mir nur diesmal!
Lang schon forschend und lauernd, wie meiner Bitteren wäre
Beizukommen mit einem Geschenkelchen, hab‘ ich zu guter
Stunde nun endlich erlauscht, sie werd‘ am künftigen Festtag
5 Gehn mit andern zugleich zum Markt des benachbarten Städtchens,
Einzukaufen daselbst ein Spiegelchen, um des zerbrochnen
Stell‘ an der Wand der Kammer, darin sie schläft, zu ersetzen.
Denn obgleich an dem Haus ihr zunächst ein ziemlicher Bach fließt,
Mit recht spiegelnden Wellen, solang‘ nicht regnet wie heute,
10 Ist sie doch leider nicht ländlich genug, am Spiegel des Wassers
Sich genügen zu lassen, und den von Glas zu entbehren.
Höre nun, was du errätst! Wie ich sogleich mich besonnen,
Ihr zu verderben die Freude des Markts, und selbst ihr den Spiegel
Einzumarkten durch dich. Was lächelst du? Seltsams Handwerk
15 Lehrt oft Amor uns treiben; was aber könnt‘ er uns lehren
Passenderes, als Spiegel, zerbrechliche Gläser, zu kaufen?
Drum, du darfst dich nicht sträuben, geschwind und kaufe den Spiegel,
Denn in euerer Stadt ist alles zusammengestapelt,
Was man schönes begehrt (das lebende Schöne verbleib‘ euch
20 Unbestritten für jetzt!), und auch zum Markte des Städtchens,
Wo mein Kind sich zu holen gedenkt ihr kleines Bedürfnis,
Kommen die Schnitzel allein, die eure Krämer uns bringen,
Dessen, was ihr nicht mögt. Wie könnt‘ ich es besser denn machen,
Als dazu dich zu brauchen (zu wenigem bist du zu brauchen,
25 5ei’s zu diesem mir nur!), durch dich dort gleich aus des Schönen
Sammelverein zu beziehn das Gewählteste, ohne zu warten,
Was auf dem Karren des Krämers der Gaul erst bringe des Zufalls.
Wähle mit sinniger Hand, und denke, für wen und für welche!
Wert sei’s meiner Liebe für sie, wert deiner für mich auch.
30 Aber das wär‘ unendlich, und hier gilt’s Grenzen zu setzen.
Also, wie breit und wie lang? So lang und so breit als genug ist,
Nicht für ein Prunkgemach, ein fürstliches, sondern ein stilles
Örtchen, wo er soll hangen, um keinerlei Ort zu beneiden.
Also nur eben so lang, dass, wenn das Mädchen hineinschaut,
35 Unter dem zierlichen Köpfchen der Hals auch noch und des Busens
Oberste Ränder sich zeigen, die schwellenden, ohne dass drüber
Über den Spiegel hinaus entrücket werde das Häubchen.
Und desgleichen so breit nur wenigstens, dass ich zu höchster
Not, wenn ich enge genug an die Schläf‘ ihr mich schmieg‘, in dem Glase
40 Ihrem Gesicht zur Seite mein eigenes kann mit den dunkeln
Locken sehn, wie die Wolke, die schattende, neben der Sonne.
Suche nur recht was tüchtiges aus, und lass dich vom blöden
Aug‘ einmal nicht berücken, du kannst ein andermal blind sein;
Dass dir nicht etwa ein Flecken entgeh‘, und sei es ein kleiner,
45 Der, nicht zufrieden im Glase zu stehn, auch auf das Gesicht sich
Prägen will ihr, an der ich im Bild auch Flecken nicht dulde;
Oder dass gar er mir sei von den tückischen einer, der Spiegel,
Welche die gradesten Züge zu widriger Schiefe verzerren.
Auch ein solcher nicht sei’s, der, lebende Farben beneidend,
50 Dämpft die Röte der Wangen zu totenähnlichem Bleigrau.
Lieber auf feuchtem Grund, um die Wahl ein wenig zu dunkel,
Mag er mein bräunliches Mädchen noch etwas bräuner mir malen.
Wie nun von außen der Kern zu verzieren sei, oben und unten,
Und an den Seiten umher, das steht, um deinen Geschmack auch
55 Zeigen zu können, bei dir; nur wähle mir nichts zu modestes,
Oder zu einfachedles, ehr‘ helle gesellige Farben.
Götter der Lieb‘ auf dem Rahmen sind überflüssig; die Liebe,
Die mir hinein soll schau’n, sie kennt sie nicht, und sie bedarf’s nicht.
Eins nur bitt‘ ich zuletzt, du Lässiger, dass du mir diesmal
60 Deine Gewohnheit änderst, und eilest, damit ich zur rechten
Stunde das Liebesgeschenk aus deinen Händen empfange.
Wenn ich den Boten dir send‘, und du sendest ihn leer mir zurücke,
Und verdirbst mir die Lust, die ich so schön mir geordnet!
Denn schon hab‘ ich mich heimlich einmal zur Kammer geschlichen,
65 Und in der Wand den Nagel befestiget, wo die Bescherung
Hangen soll; am Vorabend des Markttags aber noch einmal
Schleich‘ ich des Wegs, und bringe den heimlichen Markt in die Kammer,
Ordnend alles geschickt und geschwind. Ei, dass du mir schöne
Bänder nur auch nicht vergessest, daran der Spiegel soll hangen!
70 Wenn sie dann kommt, zur Ruhe zu gehn, und weiter nicht Acht hat,
Dass sie zum Schlafengehn mit keinem anderen Licht sich
Leuchtet als ihren Augen, ist eben zu meinem Betrug recht.
Wenn sie dann morgens erwacht, und gleich mit dem ersten der Blicke
Trifft aus das neue Gerät, ich wette, sie wähnet, sie träume.
75 Wenn sie dann aber die Augen sich reibt, dass der Spiegel verschwinde,
Und er doch nicht verschwindet, besinnt sie sich endlich aufs Wahre.
Und dann muss sie vom Bett, und muss neugierig ins Glas schau’n.
Möcht‘ ich selber der Spiegel doch sein, dass in mir sie sich schaute!
Geht sie nun doch auf den Markt, da bereits der Spiegel gekauft ist?
80 Freilich jawohl! Sie hat vielleicht noch andres zu kaufen,
Wenigstens alles zu sehn, und selbst sich sehen zu lassen.
Wo ich dann im Gewühl ihr begegene, möchte mit einem
Blicke, dafern sie zu Worten nicht Zeit hat, oder mit einem
Druck im Vorübergleiten der leisen Hand sie mir danken!