Erster Gesang

Viele Jahrtausende sind’s! Noch thronten die Götter, die alten,
Über dem Erdball hoch, der still in der Finsternis schwebte.
Ernst, auf erhabenem Thron, saß, herrschend, der Vater der Götter,
Um ihn her, in erfreulichem Kreise, die edlen Gestalten
Alle, von denen Homer, der gepriesene, später gesungen:
Götter, in göttlicher Kraft, Göttinnen in göttlicher Schönheit,
Friedlich, von Sorgen entfernt, sich erfreuend des seligen Daseins.
Aber des Adlers erfreute noch nicht sich der mächtige Herrscher,
Juno des Pfaues noch nicht, auch misste noch Venus die Taube.
10 „Lasst uns“, sagte der Herrscher, „zur Kurzweil Wesen erschaffen,
Mancherlei Art und Gestalt, um den Raum hier mehr zu beleben!
Zwar, uns selber genug, nicht braucht’s hier neuer Geschöpfe;
Aber der göttlichen Macht ist’s würdig, zu schaffen, zu herrschen,
Hin die beherrschten ans Ziel höchst möglichen Glückes zu leiten,
Sich der Beglückten zu freun, und von ihnen gepriesen zu werden.“
So sprach Zeus; und es lächelten ihm die Versammelten Beifall.
Gleich dann ging es ans Werk; und sie formten, mit sinnigem Eifer –
Jeder behülflich dabei mit den kunstreich fleißigen Händen –
Eine Gestalt, hochkräftig und schön, von den Göttern ein Abbild,
20 Schier, als wollten sie schaffen unsterblicher Götter noch einen.
Jeder versuchte dabei, sein ihm inwohnendes Wesen,
Der in das Hirn, ein andrer ins Herz, in die Nerven zu zaubern,
Dass sich selber hernach – wär’s auch in verdunkeltem Spiegel –
Jeglicher wiedererkenn‘ in dem Wesen des fröhlich Erschaffnen.
Als so trefflich geformt nun war das erhabne Gebilde,
Baten sie Zeus, mit allmächtigem Hauch‘ es ins Leben zu rufen,
Dass ihm werde die Kraft und des höheren Geistes die Fülle,
Wie nur Zeus, der erhabenste Gott, sie zu geben vermochte.
Gnädig herab jetzt stieg er vom Thron, und mit forschendem Blicke
30 Schauet‘ er tief in das Herz und das Hirn des Gebildes der Götter.
Aber je länger er schauet‘ und prüfte, je trüber umwölkte
Sich die erhabene Stirn; dann also schalt er die Bildner:
„Gut nicht habt ihr getan, so künstlichen Bau zu bereiten!
Solcher Natur, so hoher Natur nichts musstet ihr schaffen!
Niedriger Art nur wollt‘ ich sie sehn, die gewünschten Geschöpfe.
Haucht‘ ich diesem den Geist, den belebenden, ein: o gewisslich
Würd‘ es ein Zwittergeschöpf, halb Tier, halb ähnlich den Göttern,
Uneins drum mit sich selbst, bald trachtend zu hoch, zu verwegen,
Bald zu dem Niedrigen hin sich neigend in kläglicher Schwäche.“
40 Aber die Götter erfreuten zu sehr sich des schönen Gebildes,
Das sie vollbracht in geschäftiger Lust, mit beflügelten Händen,
Als dass Zeus abmahnendes Wort sie zu irren vermochte.
Dringender baten sie nur, je beharrlicher jener ermahnte,
Wussten, mit heitrem Gespräch, von der Stirn‘ ihm die Falten zu zaubern,
Hielten, mit schmeichelndem Scherz, ihn fest bei dem schönen Gebilde.
Laut jetzt ward es gepriesen; und bald dann, allen zur Freude,
Haucht‘ ihm Zeus den belebenden Geist in das Haupt und die Glieder,
Küsst‘ ihm Venus die Brust, mit den rosig erglüheten Lippen.
Sieh, da leuchtet ein Blitz aus den Augen des kräftig Belebten,
50 Klopft ihm freudig das Herz in der Brust, mit gewaltigen Schlägen,
Schaut‘ er umher, und versucht‘ er allmählich, empor sich zu richten!
Mars, ihm nahe, sogleich ihm reichte die kräftige Rechte,
Hob ihn empor, und lehret ihn aufrecht stehn, wie die Götter.
Sieh, da bewegte der Mensch – so ward er von allen geheißen –
Kräftig den nervigen Arm, frei regend die anderen Glieder.
Rüstig im Saale dahin bald schritt er, die Füße zu prüfen,
Machte vertraut mit den Zaubern des Lichts das geblendete Auge,
Horchte nach fremdem Getön, und versuchte die eigenen Laute.
Durch urgöttliche Kraft, aus tiefem, bewusstlosem Schlummer,
60 Aus leblosester Nacht in das blühendste Leben gerufen,
Ging er, ein Halbgott, freudig daher in dem Kreise der Götter,
Freundlich von allen begrüßt, voll Staunen sie alle betrachtend.
Hin rief Zeus an die Stufen des Throns ihn, gnädigen Blicks.
„Mensch!“, so sprach er zu ihm, „wir heißen dich alle willkommen.
Du, dir selbst und den Göttern zur Lust von den Göttern geschaffen,
Freue des Daseins dich! Doch bezähme Verlangen und Wünsche,
Wenn, missbilligend, wir die Befriedigung müssen versagen!
Nimmer vergiss, dass Götter es sind, die hier sich versammeln,
Dass ihr Wollen es war, was gnädig dem Nichts dich entrufen,
70 Dass mein mächtiger Hauch dir Atem und Seele gegeben,
Dass mein strafender Blitz dich im Nu kann wieder vernichten!
Nimmer vermiss dich, sträflichen Muts, noch weiter zu streben,
Als dir stecket das Ziel mein ernstlich erwogener Ratschluss!
Nicht zum Niedern hinab sei deine Begierde gerichtet;
Aber zu hoch lass nimmer die Wünsch‘ auch töricht sich heben!
Nimmer von Stolz, von verwegenem Trotz lass je dich verführen,
Gleich es den Göttern zu tun: sonst sinkst du in Schmach und Verderben!“
Dicht an den Stufen des Throns stand, strahlengeblendet, der Hörer.
Zeus hochheiliges Haupt, die gebietrisch ergreifende Hoheit
80 Seiner Gestalt, und in mächtiger Hand die geflügelten Blitze,
Und der erhabne Thron, hellglänzend in goldenen Strahlen –
Alles verkündete laut, hier throne der höchste der Götter!
Endlich der Rede Gewalt, so sinn- als seelenerschütternd,
Tönend ins Ohr und ins klopfende Herz des erbebenden Hörers
– Ach, wie hätt‘ er vermocht, vor dem Hohen, Gewaltgen zu stehen,
Ohn‘ anbetend vor ihm sich zu beugen in staunender Demut!
Dass der Erschaffer es sei, der Regierer von allem Erschaffnen,
Dass es der Donnerer sei, vor welchem erzittre das Weltall,
Innig durchdrungen von heiliger Scheu und kindlicher Ehrfurcht,
90 Fühlt es der Mensch, noch eh‘ er gehört des Allmächtigen Donner.
Tief demütig begriff er, wie klein vor dem Throne des Höchsten
Er, der Erschaffene, steh, ein Mensch voll menschlicher Schwachheit;
Welcher Verehrung Zoll dem gewaltigen Gotte gebühre,
Der den belebenden Geist in das Haupt und die Glieder ihm hauchte!
Zitternd am Thron hinknieend, das Haupt auf den Busen gesunken,
Niedergeschlagenen Blicks, stumm hob er die Hände zu Zeus auf.
Aber es war sein erstes Gebet; und verstehend des Herzens
Schweigend beredtes Gefühl, ließ Zeus ihn bald sich erheben,
Reicht‘ ihm gnädig die Hand, und sagt ihm gnädige Worte.
100 Dankbar trat der Entlassne zurück aus der Fülle des Glanzes,
Lange, betäubt, noch zu Boden gesenkt das geblendete Auge.
Doch da nahm an die Hand ihn freundlich die Göttin der Liebe,
Frohlichen Mut einsprechend ins Herz dem befangenen Neuling.
Dann, mit geflügelten Füßen, Merkur ihm nahte behende,
Nannt‘ ihm jeglichen Gott, und nannt‘ ihm jegliche Göttin,
Führte zum Saal ihn endlich hinaus, nach den Götter-Pallästen,
Prächtig erbaut und geschmückt in dem herrlichen, himmlischen Raume.
Was für Fülle der Pracht und der Lust tat kund sich den Sinnen
Da des Erstaunten! Er sah und horchte verwundert nach allem,
110 Streckte verlangend nach dem, nach jenem die wagenden Hände;
Doch, dass Zeus ihn gewarnt, gleich wieder mit Zittern bedenkend,
Ging er, mit heiliger Scheu, der verführenden Lockung vorüber.
Solches bescheidenen Sinns erfreuten sich höchlich die Götter,
Nicht mehr fürchtend, es werde, wie Zeus prophezeit, sich zu niedrig,
Oder zu hoch ihr Gebilde, der Mensch, in der Reihe der Wesen
Stellen mit törichtem Sinn, zur Beschämung seiner Erschaffer.
Heimischer sahen sie wohl ihn bald in dem himmlischen Raume,
Aber verwegeer nicht; stets naht‘ er den Göttern mit Ehrfucht:
Vielen daher bald ward er der freudig erkorene Liebling.
120 Kindlicher Unschuld Heil noch habend im ruhigen Herzen,
Doch in der äußern Gestalt ein jugendlich blühender Halbgott,
Freilich an Alter ein Kind, doch an Gaben des Geistes und Körpers
Ein, zu der männlichsten Kraft schon reifender, rüstiger Jüngling,
Schien wohl würdig zu sein, der Beglückte, des Kreises der Götter.
Alles mit glühender Wissensbegier anschauend und hörend,
Sammelt‘ er schnell der Erkenntnis viel aus dem Munde der Götter,
Lernete Sprache, Gesang, auch Schrift, und anderer Kunst viel,
Die nur göttlich erhabener Geist zu ersinnen vermochte.
Son von allen Apoll, der gegeisterte Gott mit der Leier,
130 Sang ihm Lieder ins Herz, zum Getöne harmonischer Saiten,
Dass dem Entzückten die Brust hoch schwoll in der Glut der Empfindung,
Dass ihm der Sänger erschien von den seligen Göttern der erste.
So auch sie, der erhabensten Weisheit Göttin, Minerva,
Nannt‘ ihn Zögling, stattet‘ ihn aus mit den herrlichsten Schätzen,
Wie nur sie zu erteilen vermocht, Zeus würdigste Tochter.
Aber der Waffen Gebrauch lehrt Mars ihn, kräftigen Armes;
Grazien tanzen vor ihm; man reicht ihm gastlich den Becher,
Dass er des Nektars auch, doch mit schüchterner Lippe, genieße.
Welch ein Leben! Wie selig, wie reich an gewählten Genüssen!
140 Lachend, mit Kränzen geschmückt, schwebt jede der Horen vorüber!
Süßes Gefühl unschuldigen Glücks hebt freudig die Pulse,
Flügelt den Geist, weiht ein in der seligen Götter Gefühle,
Ihn, den spielend dem Nichts die erschaffenden Götter entriefen.