Doch nicht sollte der Mensch, als froher Gefährte der Götter,
Weilen im Himmel! Zu hoch war dort für den Schwachen die Laufbahn!
Kosten nur sollt‘ er die Tropfen am Becher unendlicher Wonne,
Sollte den Vorschmack nur von des Himmels Beseligung haben,
Dass er in Demut denke der Götter, sie lieb‘, und sie fürchte,
Dass er zum Himmel hinauf stets schaue mit sehnendem Herzen.
Nah schon ist er dem Ziel, wo Licht und Dunkel sich scheiden;
Doch noch ahnet er nicht, welch grauses Geschick ihm bevorsteht!
Seliger Wahn stets dauernden Glücks hebt kühner das Herz ihm!
10 Sieh, da greifet er dreist nach der Leier des Gottes der Lieder,
Weil er, mit eigener Hand, will Töne den Saiten entlocken,
Töne der seligsten Lust, sein innerstes Glück zu verkünden!
Ob ihn Apoll auch ernstlich gewarnt: nicht lässt er sich irren!
Wahrlich, er greift, mit verwegener Hand, in die goldenen Saiten,
Die, von dem Gotte berührt, nur willig zu tönen gewohnt sind!
Horch! Da gellet ein schneidender Ton aus der zürnenden Leier!
Durch den erschrockenen Saal hin zittert der widrige Misston,
Schlug, wo alles nur war Harmonie, an die Ohren der Götter,
Dass, unwillig, sie all aufschaun nach dem Störer der Freude!
20 „Hört ihr’s?“, zürnete Zeus – „das kommt von eurem Gebilde,
Welches, nicht Tier und nicht Gott, steht auf unseliger Stufe!
Wär‘ es ein Tier: nicht hätt‘ es gewagt, in die Saiten zu greifen!
Wär‘ es ein Gott: nicht hätt‘ er gestört den harmonischen Frieden!
Fort mit dem Zwittergeschöpf aus dem Saale der seligen Götter!“
Glut im Gesicht, mit beklommener Brust, stand da der Beschämte,
Bebend im ersten Gefühl des unendlich ergreifenden Schmerzes!
„Fort!“, durchtönt es den Saal noch einmal, drohenden Tones;
Und stumm wankte hinaus, schwer seufzend, der arme Verbannte.
Doch ihm eilete nach, mitleidig, die Göttin der Liebe,
30 Reicht‘ ihm freundlich die Hand, und sagt‘ ihm tröstliche Worte.
Hin nach ihrem Palast dann führt sie den armen Verbannten,
Rät ihm, büßend die Schuld, hier reuig und still zu verweilen,
Bis Zeus, minder erzürnt, Fürbitten zu hören geneigt sei.
Wieder hinweg dann eilet sie gleich nach dem Saale der Götter,
Hoffend, durch schmeichelndes Wort, zu erflehn dem Verbannten Verzeihung.
Dieser, allein in der Göttin Palast jetzt weilend und harrend,
Sank, mit betrübtem Gesicht, auf das nächsteinladende Lager.
Rosen- und Myrtengesträuch, süß duftend aus üppigen Blüten,
Rankt‘ an kristallenen Säulen hinauf in der offenen Halle;
40 Süßer, melodischer Laut durchsäuselt die schwankenden Zweige;
Frei einatmet die Brust den belebensten, heitersten Äther:
Bald drum richtete wieder sich auf der gestärkte Verbannte,
Hob das gesunkene Haupt, ging ruhig umher in der Halle.
„Gern hier“, sprach er gefasst, „in bereuender Stille verweil‘ ich,
Wie mir die Göttin gebot, bis Zeus mir gnädig vergeben!
Und kehrt sie nur zurück, die erbarmende, freundliche Göttin:
Wird ihr tröstendes Wort mir vollends erheitern die Seele.“
Doch, statt ihrer, erschien ihr Sohn, der geflügelte Amor,
Bogen und Pfeil in der Hand, auf dem Rücken den goldenen Köcher.
50 Lächelnden, schönen Gesichts anredet er freundlich den Menschen,
Sagt, ihn habe die Mutter gesandt, mit dem Gaste zu spielen,
Um ihm, fröhlichen Muts, zu verkürzen die Stunden der Buße.
„Dich, du Kleiner“, erwidert der Gast mit des Spottes Gebärde –
„Den ich im Saal‘ kaum habe bemerkt bei den mächtigen Göttern –
Dich, ein spielendes Kind, dich hätte die Göttin gesendet,
Dass du, kindischen Spiels, mir solltest die Stunden verkürzen?
Soll ich, wie du, kühn spannen vielleicht den gewaltigen Bogen?
Schnellen den schrecklichen Pfeil, in die Wette mit dir, nach dem Ziele?“
„Hätt‘ es die Mutter mir nicht“, sprach Amor, „ernstlich verboten:
60 „Wollt‘ ich, mit spitzigem Pfeil‘, gar streng dich, Spötter, bestrafen!
Scheuen die Götter ihn doch, selbst Zeus, der gewaltige Herrscher!
Und du, Zwittergeschöpf – wie Zeus dich schalt in dem Saale –
Wolltest mit mir, dem gefürchteten Amor, töricht dich messen?“
Zornig entbrannt griff da der Beleidigte keck nach dem Pfeile,
Ihn zu entreißen der drohenden Hand, ihn rasch zu zerbrechen;
Aber das Kind, ein mächtiger Gott, hielt fester die Waffe,
Und der Betörte verwundete selbst an gefährlicher Spitze
Sich die verwegene Hand, die blutig vom Kampfe nun abließ.
Spottend entflog ais der Halle der Gott, mit entfalteten Flügen,
70 Hielt, im Triumph, den geretteten Pfeil hoch über dem Haupte,
Eilte von dannen, den Feind, den verwegenen, laut zu verklagen,
Dem unterdes schon, strafend ins Herz drang glühende Liebe!
Bald trat ein in die Halle, mit eilendem Fuße, die Göttin.
„Unglückseliger!“, sprach sie bestürzt – „was hast du begonnen?
Zeus von neuem erzürnt! Und du mit dem Pfeile verwundet!
Unglückseliger, flieh! Du darfst hier länger nicht weilen!“
Aber entfliehn – wie hätt er’s gemocht, wie hätt‘ er’s gekonnt auch?
Fest an den Boden gebannt, und verloren in seligem Anschaun,
Stand er, und sah, und dachte nur sie, die beszaubernde Göttin,
80 Deren unendlicher Reiz ihn so noch nimmer geblendet!
Hatte vom Pfeile die Glut doch schon sein innerstes Wesen
Zaubrisch durchdrungen, und hatte das Herz ihm siegend ergriffen!
Zog es zu ihr allmächtig ihn doch mit Gedanken und Sinnen!
War er mit magischer Kraft doch an sie unzerreißbar gefesselt!
Liebe, von ihm noch nimmer empfundene, mächtige Liebe
Zog zu der Holden ihn hin, zu der Göttin der Lieb‘ und der Schönheit!
So hat nimmer ein Herz heißglühende Liebe durchdrungen,
Wie sie das seine durchdrang, das göttlichen Händen den Ursprung,
Göttlichem Hauche den kräftigen Schlag, das Empfinden verdankte.
90 So war nimmer verklärt ein Auge vom Zauber der Liebe,
Wie es das seinige war, anschauend die reizende Göttin,
Und mit dem trunkenen Blick um Erhörung, Erwiderung flehend.
Nimmer in schönrer Gestalt hat Liebe geworben um Liebe
Als hier, werbend durch ihn, den selber die Göttin gebildet!
Nie hat zärtliches Flehn sich ergossen in schönere Worte,
Als er sprach, den göttliche Sprache die Götter gelehret!
Konnt‘ ihm zürnen die Göttin, die freundliche Göttin der Liebe,
Deren verführender Reiz den Verwegenen hatte bezaubert,
Deren betörender Sohn ihn hatte zum Streite verleitet?
100 Nein, sie zürnet‘ ihm nicht; sie mahnt‘ nur, ernsteren Tones,
Dass er sich nicht in betrübtes Geschick selbst freventlich stürze,
Dass er, besonnen und stark, die Gefühle des Herzens bezähme.
Fruchtlos aber verhallten die mahnenden Worte der Göttin.
„Meine Gefühl‘ – ist’s möglich?“, erwidert‘ er, „soll ich bezähmen?
Als mir Zeus einhauchte den Geist in das Haupt und die Glieder,
Warst nicht du es, o du, die, zaubrisch, mit rosiger Lippe,
Mir in den Busen geküsst des Gefühls hochlodernde Flamme?
Darf’s dich wundern – o sprich! – dass hin sich die Flamme nach dir neigt,
Reizende Göttin, nach dir, von welcher die göttliche stammet?
110 Ist’s denn möglich, zu sehn dein holdes, bezauberndes Wesen,
Ohne für dich zu erglühn, in dem ewig gefesselten Herzen?
Ach, drum zürne mir nicht, du, der ich auf immer gehöre!
Will ich doch gern aus dem glänzenden Saal, von den Göttern verbannt sein,
Darf ich in deinem Palast, nur hier in der Halle, verweilen!
Freudig vergess‘ ich um dich sie alle, die andern Gestalten,
Die, Göttinnen genannt, doch mit dir nicht messen sich können!
Hasste mich Zeus, ja hassten mich alle die übrigen Götter,
Wär‘ ich von dir nur geliebt: nicht sollten sie alle mich kümmern!
Lächeltest du mir hold: stets hätt‘ ich der Seligkeit Fülle!
120 Zärtliche Worte von dir, wie zaubrisch müssen sie klingen!
Zaubrischer, als der Gesang und die Leier des Gottes der Lieder!
Küsse von dir, von den rosigen Lippen der Göttin der Liebe,
Süßer als Nektar müssen sie sein! o sie würde zum Gotte
Schnell mich zaubern! Das klopfende Herz mir sagt es und fühlt es!“
Als er es sprach, kühn neigt er die Lippen der Göttin entgegen,
Die, ernst sinnenden Blicks, und verloren in trübe Betrachtung,
Solchem Beginnen die ihrigen stolz zu entziehen, versäumte.
So ihm glückte die Tat, die verweg’ne, zu seinem Verderben;
Denn der entzückende Kuss, für ihn der berauschende erste,
130 Wie ein elektrischer, wonniger Schlag durchzuckt‘ er die Nerven,
Setzt‘ er in Flammen noch mehr das erzitternde Herz des Betörten!
„Ha! Jetzt bin ich ein Gott!“, so rief er, frohlockenden Tones –
Selig zum Gott jetzt weihet mich ein die entzückende Wonne!“
Aber, erschreckt und erzürnt, schalt also die Göttin den Kühnen:
„Frevelnder Tor! Du bist kein Gott! Ich aber, die Göttin,
Bin die Gemahlin Vulkans, des gefürchteten Gottes des Feuers!
Flieh, Unglücklicher! Flieh! Und vermiss dich nimmer so wieder!“
Eh er, betäubt, ein flehendes Wort noch zu finden vermochte,
War sie entflohn, zum Palaste hinaus, die beleidigte Göttin.
140 Sehnende Arm‘ ausstreckte der Mensch, rief zärtliche Worte
Dann der Entschwundenen nach; doch blieb sein Flehen vergeblich!
Aber – „Sie liebt mich!“, ruft er alsbald, laut jauchzenden Tones!
Gleich dann eilt er ihr nach, in den Saal der versammelten Götter,
Die, voll Staunen, ihn sehn eintreten, den kühnen Verbannten.
Hin zu dem Throne des Zeus jetzt tritt er, mit folgenden Worten!
„Vater der Götter, vergib! Mich treibt unbezwingliche Sehnsucht
Her in den glänzenden Saal, aus dem dein Zorn mich verbannt hat!
Sieh mein klopfendes Herz! Ach, mache zum glücklichen Gott mich!
Venus lieb‘ ich! Mit ihr, o mit ihr“ – schnell musst‘ er verstummen,
150 Denn, mit gehobenem Arme, gebot schon Zeus ihm, zu schweigen.
„Still, wahnsinniger Tor!“ rief laut die erschrockene Göttin;
Aber Vulkan, zornglühend, ergrimmt, rief: „Fluch und Verderben
Über das Haupt des Verbrechers!“, und hoch auf hob er den Hammer.
Da, wahnsinnig, des Kriegsgotts Waffen ergriff der Bedrohte,
Wollte, verwegenen Muts, zur Wehre sich stellen dem Gotte!
Aber der zornige Zeus, auf hebt er die strafende Rechte,
Und der geflügelte Blitz fliegt hin nach dem kühnen Verbrecher!
Wild auf jauchzet Vulkan, die Vernichtung des Feindes erwartend,
Während den Saal laut füllte der Ruf allgemeinen Entsetzens!
160 Schreckengelähmt, in entseelender Angst, stand da der Verbrecher!
Hätte Minerva, mit deckendem Schild, ihn mächtig beschützt nicht,
Wär‘ er, vom Blitze des Zeus, auf immer vernichtet gewesen!