Die Wortfüße

Die Wortfüße

Voss zitiert aber den letzten Vers auch als Beleg für eine andere Erscheinung: nämlich für die gleichfalls entstellende beständige Übereinstimmung der Wortfüße mit den Versfüßen. In dem ersten Beispiel greift der Redeabschnitt nach verwirrt in den Versfuß hinüber, in dem zweiten fallen nach angstvoll Versfuß und Wortfuß zusammen. Auch hier wird beständiges Zusammenfallen der Satzabschnitte und der Versabschnitte als einförmig empfunden: die Zäsuren sollen innerhalb der Versfüße fallen, das heißt, Versabschnitte sein und die Wortfüße sollen innerhalb der Versfüße endigen. Beständige Übereinstimmung von Wortfüßen und Versfüßen gibt einen übelklingenden Vers:

Schöner, edler Jüngling, den alle Grazien schmücken

Voss macht Klopstock und namentlich seinen Anhängern zum Vorwurf, dass sie keine Abwechslung in den Wortfüßen kennen. Er will nicht bloß die Wörter mit gleichförmigen Endungen (zum Beispiel auf -en), besonders in den letzten Versfüßen, unmittelbar hintereinander vermieden sehen, sondern er verlangt überhaupt, wie die Griechen, reichste Abwechslung in den Wirtfüßen so gut wie in den Versfüßen. Starke und langsame Wortfüße sollen mit flüchtigen und schwachen abwechslen, und nicht leicht dürfen zwei gleiche Wortfüße unmittelbar nebeneinander stehen. Schon mehrere einsilbige Wörter, mit ein paar zweisilbigen untermischt, geben keinen guten Vers:

Höret die Lieder, die fern von dem Hügel zum Tal sich ergießen

Namentlich den sich so leicht wiederholenden Amphibrachys sucht man zu vermeiden:

Wollust, | jetzt horch ich | durchs Dunkel | des Buchwalds  | aufs Lenzlied | der Vögel

Voss hat den folgenden parodistischen Vers aus amphibrachischen Wortfüßen gedichtet:

Wenig | behagen | dem Ohre | die Verse | mit solchem | Gehüpfe

Ganz zu vermeiden sind freilich die amphibrachischen Wortfüße nicht, weil man nach v immer nur mit v „— v fortfahren kann und sich die Amphibrachen in unserer Sprache fast aufdrängen. Namentlich gegen den Schluss des Verses sind sie bei Klopstock häufig:

Stürzt | der Orkan | Schneelasten | von Bergen | verheerend | hernieder.

Auch zu viele Daktylen hintereinander klingen übel, besonders, weil sie mit den Versfüßen zusammenfallen:

Donnerte | Jupiter, | wütete | Boreas|  heftiger | jemals?

Welche die | liebliche | Sängerin | opferte, | hart und gefühllos

Wild anhebt mit der | blutigen | Sängerin | grässliches | Anblicks

Weniger eintönig sind schon Anapäste, die den Wortfüßen widerstreiten:

Eile dahin, | wo die Lanz‘ | und das Schwert | im Gedräng | dich erwarten.

Auch Spondeen klingen weniger gut, wenn sie mit den Versfüßen zusammenfallen:

Einsam | aufwärts | Berghöhn | wandelnd, | strauchelte | Pompus

Erträglicher, wenn auch nicht gut, sind sie unmittelbar nacheinander im Widerspruch zu den Versfüßen:

Der | mühsam | Zukunft | ausspricht | voll besorglicher | Bangnis

Auch aufeinander folgende choriambische Wortfüße missfallen:

Wolken empor | stürmt | Schlachtengesang | und das | Todespanier | weht

Auf dem bunten Wechsel der aufeinanderfolgenden Wortfüße beruhen die von den alten Grammatikern erfundenen versus rhopalici, das heißt: Keulenverse; Verse, deren Wortfüße sich wie eine Keule ausdehnen, weil sie mit einer Silbe beginnen und immer um eine Silbe zunehmen:

Weit, | bahnlos | ausschweifet | verheerende | Waasserbeflutung

Eine an sich richtige Beobachtung ist hier durch Spielerei entstellt, und der eigentliche Zweck trotzdem nicht erreicht: denn die regelnäßig aufsteigende Silbenzahl der Wortfüße würde in einem längeren Gedicht noch viel eintöniger sein als die Aufeinanderfolge mehrerer gleicher Wortfüße in demselben Vers. Abwechslung besteht eben nur dort, wo keine Regel herrscht; ein regelmäßiger Wechsel beruht auf dem Gesetz, nicht auf der Freiheit.

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