J. N. Götz: An einen Vogelsteller

Johann Nikolaus Götz: An einen Vogelsteller. In: Karl WIlhelm Ramler (Hrsg.), Vermischte Gedichte von Nikolaus Götz, Erster Teil, Schwanische Hofbuchhandlung, Mannheim 1785, S. 73f.

Vogelsteller, mein Freund! Lass, wenn du der Armut entgehn willst,
Lass sie fliegen, die frommen Vögel, die Lerchen und Schnepfen;
Laur‘ auf einen allein, der Amor genannt wird. Er singet
Artig, wenn er nur will; nicht nur im Frühling und Sommer,
5 Auch im rauesten Winter. Kaum singet die Tochter Pandions,
Philomele, so fein. Sein Singen störet die Mädchen
Oft in lieblichem Schlaf. Doch wenn er am artigsten singet,
Ist er am schlimmsten: Und nascht von den Kirschen, ehe sie reifen.
Neben verdorrenden Eichen und Buchen fliegt er vorüber,
10 Setzt sich auf Aprikosenbäumchen, und stopft sich, und ruht nicht,
Eh er die niedliche Frucht bis zu dem Kerne verderbt hat.
Alles picket er an; und schont nicht des Gärtchens der Nymphen.
Trügest du diesen, mein Freund, durch Flecken und Dörfer, im Käfich
Wohl verschlossen herum: mehr Speck und Butter und Eier
15 Kriegtest du in den Tornister geschenkt, als ein Jäger geschenkt kriegt,
Welcher der Wälder Tyrann (man darf ihn nicht nennen) mit Pfeilen
Auf dem hohen Gebirg erschossen, und nun im Triumphe
Dessen grauen langzottigen Perlz auf der Spitze der Stange
Durch Arkadien trägt, umjauchzet von Knaben und Mädchen.