Freundlich zeigte sich schon die heitere ländliche Wohnung
Nah dem wandelnden Paar, umpflanzt mit schwankenden Pappeln,
Deren silbernes Laub sich mischte mit dunklerem Ahorn.
Dort unter weißlichen Säulen, die schöngeordnet den Eingang
Zierten, erkannten im Lichte des Mondes jetzo die beiden
Auch den grauen Filemos, er saß auf der steinernen Bank schon
Ungeduldig lang die liebliche Tochter erwartend.
Heiter rief er von fern die scherzenden Wort‘ ihr entgegen:
Ei! Wie kehret so spat mein Töchterchen heute zurück doch?
10 Nimmer des harrenden Vaters nun eingedenk schweift sie im Mondschein!
Eros höhere Macht, fürwahr, sie zeiget an dir sich!
Denn am schattigen Born, wo gerne die Mädchen verweilen,
Säumest du nie, und warst zuerst bedacht auf die Rückkehr,
Bis dir der zärtliche Freund sich nun gesellt auf dem Heimweg.
Aber es nahte dem Greis mit schmeichelnden Worten die Jungfrau:
Zürne der liebenden Tochter doch nicht, obschon sie von diesem
Früher kehrte zu dir; mit freudig wärmerem Herzen
Eilte die Glückliche heut‘ entgegen deiner Umarmung.
Nimmer schadet der ernsteren Pflicht die freundliche Liebe;
20 Denn sie ermuntert uns schön zu wirksam tätigem Leben,
Da zum belohnenden Fest sie jede Beschäftigung zaubert.
Ja, sie lehret allein des flüchtigen Augenblicks Wert uns.
Eilend bring‘ ich den Wein, den stärkenden, ordne das Mal dir,
Wenn es Likoris nicht schon, so wie ich geboten, bereitet.
Und mit Lächeln versetzte, die Tochter umfassend, Filemos:
Mag mir doch immerhin mit Wein der Becher gefüllt sein,
Reicht mir die liebste Tochter ihn nicht, so wie ich’s gewohnt bin!
Nach dem freundlichen Blick verlangt‘ ich, welcher beim Mahl mir
Heiter begegnet, und kaum bewusste Wünsche mir ablauscht.
30 Doch schon senkt sich die Nacht, und schädlich ist’s, zu verweilen.
Also der muntere Greis, ihm folgte die treffliche Tochter
An Diokles Hand zur geräumigen Halle, wo freundlich
Sie Likoris empfing, beim ländlichen Mahle beschäftigt.
Hier bot kühlende Milch, gleich Silber schimmernd, Erquickung,
Hochgelb glänzte das Gold des süßen duftenden Honigs,
Und, von schwellenden Rosen umkränzt, die zierlichen Schalen,
Schon gefüllt mit dem Saft des selbstgepflegeten Weinbergs.
Wo der gepolsterte Sitz auf erhobener Stufe bereit war,
Lagerte nun sich der Greis und hob mit heiterem Antlitz
40 Hoch empor die Schale von schön getriebener Arbeit.
Kinder, lasst uns vor allen der Götter gedenken!, so sprach er,
Denn sie geben Gedeihen den Erdgebor’nen, doch streng auch
Zürnen des Läsigen sie, der schuldige Opfer verabsäumt.
Ihnen vergieß ich darum den Wein hier, eh‘ er die trock’ne,
Durstige Kehle mir noch erquickend netzte, das gleiche
Ziemt auch dir, mein Sohn. Des Dankes heilige Andacht
Ist dem Glücklichen süß und leicht. Den Unsterblichen näher
Bringet Freude das Herz und hebt zu ihnen empor uns.
Freudig seh ich mich jetzt am Ziel! Und wähne begonnen
50 Neu die Laufbahn mir, die fast vollendet zurückliegt.
Meine geliebteste Tochter verbunden dem trefflichen Jüngling
Seh‘ ich, wie es mein Wunsch! Nun lohnet der züchtigen Jungfrau
Hymens heit’res Glück, im Schoß der Lieb‘ und der Unschuld.
Ha! Schon seh‘ ich die Zeit, wenn zwischen blühenden Enkeln,
Statt des Stabes gestützt auf die zarten Schultern der Kleinen,
Leicht und rüstiger ich ersteige den steileren Weinberg!
Froher brech‘ ich dann die purpurschwellenden Trauben
Für die muntere Schar, die ungeduldig erwartend
Mich umhüpft. So eilen, durch Lieb‘ und Eintracht erhellt, mir
60 Schneller die zögernden Stunden des dunklen Alters vorüber.
Ihm erwiderte drauf der biederherzige Jüngling:
Vater, verarge mir’s nicht, wenn einfach, wie du sie schilderst,
Reizend mir also nicht erscheint im Bilde die Zukunft;
Denn ich gedenke zugleich mit stiller Sorge der Mutter
Auch, der liebenden nun, die so des einzigen Sohnes
Schmerzlich beraubt sich siehet, gern auch erfreute
Sie der Tochter sich, der würdigen; aber gefesselt
Hält stets die Teure daheim die zögernde Krankheit gefangen.
Leer steht nun das geräumige Haus und öd‘ ist die Halle,
70 Wo die muntern Genossen der Jagd sich lärmend versammelt,
Wenn das frohe Geräusch erscholl der festlichen Mahlzeit.
Traurig sitzet die Mutter mit ihren Frauen, der Rückkehr
Harrt sie des Sohnes, umsonst, gequält von schmerzlicher Sehnsucht.
Wär‘ es von dir mir vergönnt, dass stets des rollenden Jahres
Hälfte künftig zu ihr mir folgte die liebende Gattin!
Dass du willig mich doch begleiten möchtest, Simaitha!
Mancher neue Genuss erwartet dich! Ja, schon bereitet
(Also ordnet‘ es selbst die Mutter), steht der Gemächer
Schönstes für dich; dort gewähren dir hohe Fenster die Aussicht
80 Über den Hafen, und zeigen ein stets ergötzendes Schauspiel.
Fröhlich tanzen die Schiffe vom fernen Saume des Himmels
Auf den Wellen heran, die Aeos herrlich vergoldet.
Stolzer schwellen die Segel im Morgenhauch‘, und schäumend
Rauscht, von den Rudern bewegt, in gemessenen Tönen die Flut auf.
Dort am Ufer das frohe Gewühl! Erscheinet ein Fahrzeug,
Forschet jeder bewegt, ob das erwartete komme?
So erharret das liebende Weib den Gatten, dem Sohne
Schleicht entgegen der Greis, und Freude krönt die Erwartung.
Peitschet Sturm das dunkele Meer, dann liegen die Schiffe
90 Ruhig im schützenden Port. Es rauschen friedlich die Wipfel
Hoher Ulmen herab auf die gesicherten Maste.
Aber strahlet, entwölkt, am heiteren Himmel des Tages
Freundlich waltendes Licht, schnell rüstet sich jeder zu Abfahrt.
Lüfte blähen das Segel, die Anker werden gelichtet,
Kränz‘ umflattern den Mast, aus Opferschalen vergießet
Wein der Schiffer ins Meer, er fleht den starken Poseidon
Erst um glückliche Fahrt und dann zu den Seinen um Rückkehr.
Mitylene prangt, erfreute die eigene Wohnung
Mich vom frohen Gewühl geschäftigen Lebens erheitert.
100 Und entging im bunten Gedräng‘, so fragte Simaitha,
Deinem betrachtenden Blick der Unruh schwankender Fußtritt?
Dort auf befurcheten Wangen die Blässe nagenden Grames,
Hier die quälende Angst, der starre Blick der Verzweiflung?
Siehst du am Halse des Manns nicht oft die scheidende Gattin,
Die ihr lallendes Kind schon jetzt als Waise beweinet?
Siehst du nicht den Greis, der tief gebeugt in die Fluten
Hinstarrt, welche die Stütz‘ ihm des einsamen Alters verschlangen?
Wo sich in dichteren Massen die Menschen drängen, vervielfacht
Schmerz und Kummer sich auch; im sebstgebildeten Kreise
110 Wirken freudiger sie und sicherer. Nur in des Glückes
Anschau’n, welches wir selbst verbreitet, schwindet des fremden
Elends quälendes Bild, das Gefühl der eigenen Ohnmacht.
Willst du, gesammelt in dir, das Stadt bewegliches Schauspiel
Mit dem stilleren gern vertauschen, in freundlicher Fülle
Bietet auch dort, wie hier, die Natur den heit’ren Genuss dir.
Nah‘ dem kleinen Hafen, der, minder besuchet und südwärts
Liegt, erheben sich Hügel, die rings der geschäftige Städter
Mannichfaltig bepflanzt, in lieblich wechselnder Mischung;
Rau ist und felsig der Grund, wo ihm der Fleiß nicht, betriebsam,
120 Urbar machte; so grünt mit schwellenden Trauben ein Weinberg
Über dunklem Gestrüpp, das wildernd zwischen der Felskluft
Nickt. Der rauschenden Flut entsteigend, trotzend und steiler,
Rings die Klippenufer, ein abgerissenes Felsstück,
Aus der Titanen gewaltiger Hand zum Abgrund geschleudert
Scheint es und strecket hinaus, von tönenden Wogen umspület,
Weit den Rücken ins Meer. Hier sitzen singende Fischer,
Emsig betrügliche Netze bereitend, wo von des Ölbaums
Schwankenden Schatten beschützt, sich bilden die sicheren Buchten.
Dichte verbreiten sich hier am Ufer die strebenden Äste,
130 Geben liebliche Kühlung und tiefen Schatten dem Mittag.
Oft verweilt‘ ich dort, wo gern sich in freundlichen Träumen
Meine Seele verliert. Dort rauscht ein heilig Entzücken
Aus den Wipfeln hernieder auf mich, und Ahndung umwehet
Freundlich leise das Haupt. Hier rief, die Rede des Jünglings
Unterbrechend, Filemos: Wie glücklich scheinet die Blindheit
Mir, das schönere Los der unbefangenen Jugend!
Unbewusst, auf Trümmern des Glücks, auf der Asche der Vorwelt
Wandelt ein neues Geschlecht, genießt und hoffet; der Schauplatz
Bleibt der nämliche stets; ob Schmerz, ob einst Freud‘ ihn bezeichnet,
140 Nicht bekümmert’s den Lebenden! Längst auf immer verklungen
Ist der Vergangenheit Stimme, die keine Spur ihm zurückruft.
Wie du sie schilderst, erkenn‘ ich genau die Gegend, es zeigt mir
Dort ein trauriges Bild der fernen Jahre Geschichte.
Wehmut würde mich nur und Schauer erfassen, beträt‘ ich
Je dies Ufer, o Sohn!, wo frohe Ruh‘ dir gelacht hat.
Wohl entsinn‘ ich mich noch, obschon die purpurnen Früchte
Bald zum dreißigsten Mal gereift am schattenden Ölbaum.
Denn, ein Jüngling noch, bewohnt‘ ich die fröhliche Stadt auch,
Spät, mit der Gattin erst, erwählt‘ ich die stillere Wohnung.
150 An dies Ufer zog die heftig drängende Menge
Eines Morgens mich einst, auch mir die Neugier erweckend.
Näher zeigte dem Blick sich bald ein rührendes Schauspiel.
Kaum den Wogen entrafft ein Mädchen bleich und leblos,
Wie es eben den Felsen hinan an das Ufer gebracht ward.
Aber ihr hatte des Todes erstarrende Hand das Gepräge
Schon auf die lieblichen Züge gedrückt, ihr sanken die Stirne
Schwere Locken herab, genetzt mit bitterer Meerflut.
Rings umfloss sie das Haar, das lange; in wilder Verwirrung
Waren die seidenen Flechten gelöst, die Zierde der Jungfrau’n.
160 Und aufschauernd rief Likoris: Weh! Mit Entsetzen
Füllt mir die Seele dies Bild! O sprich! Wie wurden der Armen
Doch zum traurigen Grab die tosenden Wellen? Unglaublich
Scheinet immer es mir, dass von dem freundlichen Dasein
Willig scheidend, ein Mensch die Tage selber sich abkürzt.
Denn so lange das Leben noch währt, auch währet die Hoffnung;
Doch der Orkus verdeckt uns alle Freuden auf ewig.
Näher drängte sich nun und tief beweget das Mägdlein
An des Vaters Seite, der also gesprächig erwidert:
Dass die Unselige selbst hinab sich stürzte, dies hatten
170 Manche, welche von fern zu spät sie’s gewahrten, bestätigt.
Steil ist das Ufer, hier jagt zum Fels die heftige Brandung
Schäumende Wellen hinan, sie wälzen entgegen den Leichnam
Schon dem eilenden Kahn, den kühn mitleidige Fischer
Ihr zur Rettung gebracht, der nun die Entseelte nur einnahm.
Lykos zweite Tochter nur war sie, des reichesten Bürgers,
Aber das erste Mädchen an Reiz und bezaubernder Anmut.
Um die ältere warb ein Jüngling; schimmernder Reichtum
Lockte zu dieser, ihn zog zu jener fesselnde Schönheit
Stets den schwankenden Sinn, so zwischen beiden, Liebe
180 Heuchelnd bald und bekämpfend, stand jetzt so schwach er als treulos.
Nimmer der Sitte gedenk, der langverjährten, die niemals
Hymens Freuden zugleich der Jüngeren gönnet, ernährte
Still, in verschlossener Brust, das Mädchen die täuschende Hoffnung,
Seiner Treue gewiss; ihr war der schmeichelnden Männer
Lockende Sprache noch fremd, ihr trüglicher Zauber gewann das
Unerfahrne Herz, im ungleich wechselnden Tausche
Gab sie glühende Liebe für eitle sträfliche Selbstsucht.
Ganz dem Geliebten vertrauend, erblickte sie wachsame Vorsicht
Noch im kalten Verrat. So täuschet sich Leidenschaft immer,
190 Schließt freiwillig das Aug‘ am Rande des gähnenden Abgrunds!
Doch er wählte nicht lang‘! Besiegt durch die mächtige Goldgier
Reicht er der Schwester die Hand. Am Tage, welcher dies Bündnis
Festlich auf immer zu knüpfen bestimmt war, riss auch die Arme
Zu den trauernden Schatten hinab ihr dunkles Verhängnis.
Also erzählte Filemos, als, heftig schluchzend, Likoris
Seiner Seit‘ nun enteilte; mit weitem Gewande das Antlitz
Sich, das tränengebadete, tief umhüllend verbarg sie
Lautaufweinend nun mit langverhaltenem Schmerze
An den Marmor die Stirn und achtete nicht auf des Vaters
200 Rasch auflodernden Zorn, mit dem er verweisend ihr zurief.
Weibliche Schwäche nur sah der Greis in dem Schmerze des Mädchens,
Der, vergebens bekämpft, nun leidenschaftlich hervorbrach.
Doch die Weinende nicht missdeutend, blickte der Jüngling,
Ängstlich stumm, nach ihr. Was leis‘ ein dunkles Gefühl ihm
Zugeflüstert, dies sagt ihm lauter nun die Gewissheit.
Zartes Erbarmen zog und sanft verführendes Mitleid
Zu der Liebenden hin, er fühlte beschämt in der Brust sich
Leises Verlangen erweckt und mied, im stillen Bewusstsein,
Scheu Simaithas Blick, der ernst und prüfend ihn fasste.
210 Denn enthüllet erschien auch dieser das trübe Geheimnis,
Keinen Zweifel vergönnend. Zu quälenden Schmerzen gesellte
Noch die Sorge sich ihr, sie dachte den heftigen Vater
Schonend zu täuschen, und sprach ins stiller himmlischer Anmut
Scheinbar ruhig, zu ihm geneigt, besänftigend also:
Vater! Wenn im Schimmer der Abendröte du mit uns
Unter den Säulen verweilst, und purpurn dann ein Gewölke
Aus der Ferne sich hebt, von scheidenden Strahlen umsäumet,
Pflegest bedeutend du oft zu sprechen: Kinder! Der Morgen
Dämmert freundlich heiter wie heut‘ uns nicht, denn es dräuen
220 Dort Gewitter und Sturm. So scheinet nun in der Wehmut
Trüber Wolke der Abend auch mir, der heit’re, verdunkelt,
Welcher den festlichen Tag uns bringt auf dämmerndem Fittig?
Unglück rauschet er mir und Schmerz, ich bekämpfe der Ahndung
Dunkel wirkende Macht vergebens. Lass mich, o Vater!,
Jetzt im stillen Gemach die Götter bitten, vom Haupt mir
Mild zu wenden den Sturm. Doch ist es des höheren Schicksals
Ernster Schluss, so verleihen der Flehenden freundliche Mächte,
zu dem prüfenden Schmerz, vielleicht zugleich die Ergebung.
Aber Diokles hörte voll tiefer schmerzlicher Rührung,
230 Was Simaitha sprach, und rasch zu den Füßen ihr sinkend
Barg er sprachlos, verwirrt, im Schoße der herrlichen Jungfrau
Der Beschämung Röte zugleich mit der Zähre des Unmuts.
Doch mit sanfter Gewalt hob still das Haupt sie ihm aufwärts.
Rings an den glänzenden Schläfen die gold’nen Locken verteilend,
Drückt auf des Jünglings Stirn sie leis‘ die keuschen Lippen
Und entwand sich dem Arm, der noch das Knie ihr umfasst hielt.