August Kopisch: Die seligen Hyperboreer
In: Gesammelte Werke von August Kopisch, Band 3, Berlin, Weidmann 1856, Seite 163f.
Kein Haus bauet ihr euch, glückselige Hyperboreer,
Niemals mühet ihr euch, mit dem Pfluge die Erde zu furchen,
Noch mit dem Schiff das Gewog, und der Sorgen beweget euch keine.
Nein, am Saume der Erd‘ im dauernden sonnigen Tage,
5 Dort in dem lieblichen Hain Apollons, wo es behaget,
Lagert auf Blumen ihr euch, überwölbt von laubiger Fülle.
Nimmer erreicht von des Boreas Sturm, in duftigen Schatten
Esst ihr der Fruch, die gereift sich hernieder euch senkt zu den Lippen.
Friedliche Wonne bewohnet die Au’n, wo ihr weilet und singet,
10 Wo hochwallender Tanz und Musik euch Jubel erwecket,
Nimmer gestört von des Kriegs Mordschrei noch rasselnden Speeren.
Lachen ist hier, und es weinet allein nur liebende Sehnsucht,
Bis sie Erfüllung sodann, die im Scherz nur geweigerte, stillet.
Ringen sie dort der Jünglinge Lust und Spiele der Stärke,
15 Und sie ereilen den Hirsch im geflügelten Lauf, und entlassen
Wieder den zitternden dann, den am schönen Gehörn sie erhaschen:
Denn nichts tötest du Volk alleiniger Hyperboreer.
Krankheit schauest du nie, nie Streit, nie Leid, nie Kummer;
Immer erquickt dich der Strom, den frisch das Gebirge herabgießt.
20 Doch naht einem von euch das Alter nach langem Genusse,
Fühlt er vom Tanz sich ermattet, so kränzt man ihn festlich,
Trägt in der singenden Schar der Jungfraun dann zu dem Fels ihn,
Der hoch über die Strudel hin ragt an Okeanos Rande,
Mächtig getürmt, wie zum Sturze geneigt mit ragendem Gipfel.
25 Dorthin tritt er, man reicht ihm den schön gebildeten Goldkelch
Voll ambrosischen Weins, nachperlender süßer Berauschung.
Hat er den Becher geleert und zurück ihn gereicht den Genossen,
Dringet ihm Sehnen ins Herz nach der seligen Insel der Ahnen.
Wie Zugvögel in Herbst ihr Gefieder schütteln in Unruh,
30 Hebt er die Arm‘ und wirft sich hinaus in den labenden Meerhauch,
Tief abstürzend: ihm folgen gestreut viel Blumen und Kränze.
Doch eh der Leib noch erreicht das erwogende Haus der Delphine,
Löst sich die Seele bereits und entfliegt zu den Pforten des Ais,
Zu Rhadamanthys Wies‘ und, dort unsträflich befunden,
35 Über den Lethe dahin zu der Seligen neuer Gemeinschaft.