Hagedorns Wunsch

Epigramme sagen selten etwas völlig neues; meistens sind es nur neue Fassungen längst bekannter Einsichten, und hat man eines gelesen, kommen einem sofort ähnliche Texte in den Sinn. Das ist nichts schlechtes!

Zum Gegenstand des Übungsdistichons aus dem vorgestrigen Eintrag etwa fiel mir ein Verspaar Friedrich von Hagedorns ein – kein Distichon, sondern ein den damaligen Sitten entsprechendes Alexandriner-Couplet (Siehe dazu auch: Das Alexandriner-Couplet)!

 

Wunsch

Langweiliger Besuch macht Zeit und Zimmer enger;
O Himmel, schütze mich vor jedem Müßiggänger!

 

Das ist, einmal, farbiger und bildreicher als die sehr blasse Aussage des Distichons Heinrich Viehoffs; es ist aber auch, andererseits, ein wenig aufgeblasen, denn eigentlich ist doch im ersten Vers schon alles gesagt?! Der zweite muss sein, weil die Form ihn verlangt, aber er fügt dem Inhalt kaum noch etwas hinzu. Abgesehen davon natürlich, dass er das „Rätsel des Reims“ auflöst – wie löst der Verfasser das Gleichklang-Versprechen ein, das er mit „enger“ gegeben hat? Aha! „Müßiggänger“, und das ist dann eben doch ein schöner, milde überraschender und sehr gut passender Begriff …

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