Erzählformen: Das Sonett (16)

Häufig benutzte Formen wecken Erwartungen, da sie meist auf eine bestimmte Art benutzt werden, die dem Leser vertraut wird und die er mit dieser Form verbindet. So auch beim Sonett! Nutzt es dann Friedrich Bodenstedt, um in „Der Ararat“ nicht in einem einzelnen Sonett, sondern in einem Sonett-Paar kein Liebesgedicht, keine gedankliche Zergliederung, kein „Ich“ zu verwirklichen, sondern eine Natur-Beschreibung (im ersten Sonett) samt der Schilderung einer kleinen Begebenheit (im zweiten Sonett), ist man zuerst einmal erstaunt!

Leider ist die Sprache der beiden Sonette recht formelhaft, was ihnen etwas von ihrer Wirkung nimmt?!

 

I.

Um Hocharmeniens alte Königsstadt
Im ersten Frühlingsblühn prangt die Natur;
Still ist’s umher – Cicaden schwirren nur
Durch’s junge Grün – am Baum regt sich kein Blatt.

Hier sieht das Aug’ an Schönheit sich nicht satt:
Fernher blitzt des Araxes Silberspur,
Zum blauen Himmel ragt aus blumiger Flur
Die Majestät des hohen Ararat.

Zu seinen Füßen dehnen sich vier Länder;
Buntsamtne Au’n umschlingen als Gewänder
Die Knie – demanten schimmert seine Krone;

Der ewige Schnee umgürtet seine Hüfte,
Kaum wagen sich die Könige der Lüfte,
Die Adler, bis zu seinem Wolkenthrone.

 

II.

Zum ersten Male von der Hochburg Zinnen
Sah ich den Gipfel, der die Arche trug,
Da noch die Sündflut ihre Wogen schlug,
Daraus der Herr nur Noah ließ entrinnen.

Und wie ich stand in weihevollem Sinnen,
Schwang sich zum Licht ein Aar in stolzem Flug,
Und vor mir zog ein Karawanenzug,
Wo klar der Sanga heilige Fluten rinnen.

Da plötzlich hielten Pferd’ und Dromedare,
Die Reiter in blauschimmerndem Talare
Hinsanken betend auf der Erde Schoß.

Und heilige Stille herrschte in der Runde,
Nur von der Stadt aus des Muezzin’s Munde
Erscholl’s vom Minarette: „Gott ist groß!“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert