C. P. Conz: Sokrates Hymne an Apollon

Carl Philipp Conz: Sokrates Hymne an Apollon, im Kerker
In: Carl Philipp Conz, Gedichte, Band 1, Laupp, Tübingen 1818, S. 153-156.

Zeus hochherrlicher Sohn und Leto’s, der du in Pytho
Thronst und Delos umschirmst, und die Leier spannst wie den Bogen,
So denn die Götter und Menschen erquickst mit deinem Gesange,
Wie du Kunden uns lehrst tief auserforscheter Weisheit;
5 Dir, Untrüglicher, Heil! Wahrhaftiger, Ewiger, Heil dir!
Wie du in Sprüchen mich oft zu dienen der Muse gewarnt hast,
Der ich glaubte zu dienen bisher mit Leben und Lehre,
Ob des Warnenden, Mahnenden Sinn ich richtig verstanden,
Nun denn, ich wag‘ es, ein Greis, ein gebundener Greis, ungeweiht noch
10 In die tönende Kunst versuch‘ ich die Töne der Muse,
Jetzt ein singender, sterbender Schwan, ich bringe das Erstlings-
Opfer zum Opfer dir dar, o lass willkomm dir das Lied sein!
Was du immer mir selber gelehrt, fromm lehrt‘ ich’s den Menschen,
Treu dem leitenden Geist, den du mir zum Führer gesellt hast;
15 Willig gab ich mich hin dem von innen mit heiliger Hand mich
Bildenden, freudiges Sinns, einfältig mit stillem Gehorsam;
Denn vom Herzen ja nur und aus der Geheimnisse Tiefen
Uns’rer ergriffenen Brust, wenn der schöpf’rische Funke sie aufregt,
Über der süßen Gewalt und dem Hauche begeisterter Liebe
20 Keimet der Wahrheit himmlische Blum‘, an die nicht der Tod reicht,
Sprosst die ambrosische Frucht der gewissen, der festen Erkenntnis,
Schön, wie ihr Urbild dort in Kronions seligen Gärten;
Köstliche nährende Frucht, die das Leben durchdringt und zum echten
Leben allein zu bilden vermag, wie vom Leben sie abstammt.
25 Welcherlei Blumen und Früchte, wenn nicht aus diesen Gefilden,
Diesem Boden, benetzt von dem himmlischen Taue des Himmels
Morgenlippen geküsst, sich mögen erziehen die Menschen,
Um zu schmücken damit, um damit zu beraten das Leben:
Alles andr‘ ist nur gleißender Schein, nur Farbe, Gestalt nur,
30 Die aufschimmernd vergeh’n, ermangelnd des seligen Wesens.
D’rum, weil blendend die Lüge verstrickt die meisten der Menschen,
Und der trüg’rische Wahn mehr gilt vor der Menge denn Wissen,
Weil sie den Lüsten verkauft, und der eignen Torheit zur Beute,
Mehr des Schwindenden, Eitlen sich freu’n denn des bleibenden Wahren,
35 Fern abirrend vom heiligen Ziel des unendlichen Lebens,
Das, an die Scholle gebannt, nach der kärglichen Scholle sie messen,
Die vom Tag der Geburt hinschleicht bis zur Stunde des Todes;
Darum, lebenerweckender Geist, du Geber des Tages,
Glaubt‘ ich von dir mich erseh’n, dem Tag sie entgegen zu führen,
40 Aus der umwölkenden Nacht, und dem Guten und Wahren zu stärken,
Wecker des schlummernden Geistes allein, nicht gebietender Lenker,
Und die Liebe zu dir, in den Herzen am meisten der regen
Jünglinge sanft zu beleben mit Wort und ermunterndem Beispiel.
Dies bestraft nun mein Volk und du führst zum Tod mich auf diesem
45 Weg; ich folge, du willst’s, ich folge dir, Herrlicher, freudig.
Ja, du hast mir erfüllt mein Gebet an den Wassern Ilyssos,
Das ich erhob zu dir und zu Pan, und den seligen Nymphen:
„Was ich Schönes mir wünsch‘, es reize durch Farbe des Leibes
Auge mir nicht, es erquicke durch Maß und Ruhe das inn’re,
50 Wohn‘ im Herzen mir nur und keim‘ aus den Tiefen des Herzens,
Was fremdher vor die Sinnen mir kommt, es stimme dem Innern!
Reich nur sei mir der Weise, mein Schatz sei das himmlische Gold nur!“
Ja, du hast mir mein Leben gekrönt mit Gütern der Fülle,
Und mit Blumen auch sollst du meinen Tod mir noch krönen,
55 Dass ich sterbend noch dir und der Wahrheit zeug‘ und der Schönheit,
Deinen unsterblichen, ewig im Kranz der frischesten Jugend
Blühenden Kindern, die dein, wie ihr sich der Vater, erfreuen,
Wo sie vorm Throne des Zeus, von den seligsten Hymnen, den deinen
Und von den Reigen der Götter umfei’rt, durch die Ewigkeit leben.
60 Ja, geleite dein Licht mich freudig hinab zu den Schatten,
Und von den Schatten hinauf zum Lichte der Seligen! Heil dir!
Heil mir, weil du mich führst, ich folge dir, Herrlichster, freudig.