In: Gedichte von Ludewig Heinrich Christoph Hölty, Neu besorgt und vermehrt von Johann Heinrich Voss, Bohn, Hamburg 1804, S. 59 – 61.
Wilhelms Braut war gestorben. Der arme verlassene Wilhelm
Wünschte den Tod und besuchte nicht mehr den geflügelten Reigen,
Nicht das Ostergelag und das Fest der bemaleten Eier,
Nicht den gaukelnden Tanz um die Osterflamme des Hügels.
5 Einsam war er, und still wie das Grab, und glaubte mit jedem
Tritt in die Erde zu sinken. Die Bursch‘ und Mädchen des Dorfes
Brachen Mai’n, und schmückten das Haus und die ländliche Diele,
Frühlingsgesang anstimmend den heiligen Abend vor Pfingsten.
Wilhelm floh das Gewühl der Fröhlichen, wandelte einsam
10 Über den Gottesacker, und fand in die Kirche den Eingang,
Nahm von der Wand den Kranz der geliebten Braut, und kniete
An dem Altar, und barg das Gesicht in die Blumen des Kranzes.
Nimm, so fleht‘ er betränt, o nimm von der Erde mich, Vater,
Meiner Entschlummerten nach! Doch, Gott, dein Wille geschehe!
15 Lispelnd bebte das Gold und die Flitterblumen des Kranzes,
Lieblich rauschten, wie Blätter im West, die flatternden Bänder,
Und die erleuchteten Fenster durchfuhr ein fliegender Lichtglanz.
Bleich nun, aber gefasst, ging Wilhelm wieder zur Wohnung,
Voll vom Himmel das Herz. Am Abend hörten die Schwestern,
20 Beid‘ aneinander geschmiegt, wie die Totenuhr in der Kammer
Pickerte: Siehe, da schlug mit Geheul an die Fenster das Leichhuhn.
Bald auch schaute die Ein‘ in der Dämmerung hell auf der Diele
Einen bekränzten Sarg mit Gefolg, und den Pfarrer im Mantel.
Wenige Wochen, da starb der verlassene traurige Wilhelm,
25 Und sein grünendes Grab ragt hart am Grabe des Mädchens.
In: Gedichte von Ludewig Heinrich Christoph Hölty, besorgt durch seine Freunde Friederich Leopold Grafen zu Stolberg und Johann Heinrich Voss, Hamburg, Bohn 1783, S. 19 – 21.
Wilhelms Braut war gestorben. Der arme verlassene Wilhelm
Wünschte den Tod, und besuchte nicht mehr die geflügelten Reigen,
Nicht das Ostergelag, und das Fest der bemaleten Eier,
Nicht den gaukelnden Tanz um die Osterflamme des Hügels.
5 Einsam war er und still wie das Grab, und glaubte mit jedem
Tritt in die Erde zu sinken. Die Knaben und Mädchen des Dorfes
Brachen Maien und schmückten das Haus, und die ländliche Diele,
Und begrüßten den heiligen Abend vor Pfingsten mit Liedern.
Wilhelm floh das Gewühl der beglückten fröhlichen Leute;
10 Wandelte über den Gottesacker, und ging in die Kirche,
Nahm den Kranz der geliebten Braut von der Wand, und kniete
An den Altar, und barg das Gesicht in die Blumen des Kranzes,
Flehte weinend zu Gott: „O entnimm mich der Erde, mein Vater;
Ruf mich zu meiner Entschlummerten, doch dein Wille geschehe!“
15 Lispelnd bebte das Gold, und die Flitterblumen des Kranzes,
Lieblich rauschten die flatternden Bänder, wie Blätter im Winde,
Und ein fliegender Lichtglanz flog durch die Fenster der Kirche.
Ruhiger wandelte Wilhelm nach Haus! Seine Schwestern hörten
Bald die Totenuhr in der Kammer pickern; und sahen
20 Auf der Diele den Sarg, und den Pfarrer im Mantel daneben;
Und das Leichhuhn schlug an das Kammerfenster, und heulte.
Wenige Wochen, da starb der verlassne trauernde Wilhelm,
Und sein grünendes Grab ragt hart am Grabe des Mädchens.