Aus: Andreas Heusler, Deutsche Versgeschichte, dritter Band (de Gruyter 1929), Seite 264 – 273.
Leicht gekürzt, vor allem um Verweise auf andere Stellen der Versgeschichte. Taktfüllungsarten nach Heuslers Notation bleiben erhalten, sind aber aus sich selbst heraus nicht immer unmittelbar verständlich. Wer kann, sollte unbedingt den „richtigen“ Text einsehen!
1124 Fragen wir zunächst nach dem prosodischen Anspruch des dreisilbigen Taktes. Wir werden dem Vorhandenen gerecht mit diesen sechs Fächern; man könnte noch mehr ins Einzelne sondern.
A. Taktinhalt lebende; rettete; fröhliche; mitten im; könnten die; auch von des; siehst du das. Das heißt: beide Senkungen sprachlich schwachtonig ohne merkbaren Stärkeunterschied.
Diese „reinsten Daktylen“ genügten sowohl dem Ohre wie der Formel — v v und befriedigten daher auch die Strengsten. Als Ausnahme sei Uz genannt mit den Als-ob-Hexametern seines „Frühlings“. Er hält es mit dem Längenmesser J. Fr. Christ und quält sich lauter Senkungssilben zusammen, die beide vokalisch kurz und nicht „positionslang“ sind; weine be-; muse du; huldigen ihm; hügel her- / ab (h macht keine Position!)
B. Taktinhalt Finsternis; Bräutigam; Dammerung; Kämmerlein; Einerlei; Lieblichkeit; Ritterschaft; Heidentum; Jahre nur; starrte noch; lächelt auch; früh genug; nahm es doch. Das heißt: die zweite Senkungssilbe etwas stärker, aber doch mit entschieden schwachem Nebenton.
Nicht nur die Unbefangenen, sondern auch Voß erlaubten diese Gruppen. Sogar Schlegel hat sie erst in der Elegie „Rom“ gemieden, desgleichen Platen. Ihnen waren also diese dritten Silben zu „lang“ für das v.
C. Taktinhalt heilsame; fruchtbares, be- / nachbarte; Ge- / heimnisse; Fremdlinge; Hoffnungen; marmorne; purpurne; Trübsal mit; Antlitz und; lass diesen; schallt unter; ernst nun be-; selbst auch der. Das heißt: die erste Senkungssilbe der zweiten sprachlich übergeordnet, doch schwach nebentonig.
Diese Inhalte fügen sich ohne Härte in den Zeitfall |’x x x|. Alle, sogar die Strengsten, ließen solche Takte durch; Platen allerdings nur spärlich. Schlegel litt gerade damals. als er Goethe verbesserte, an dem Vorurteil gegen die vermeintlichen —— v. Eines der Opfer ist Euphrosyne 55, siehe die erste Lesart WA I, 429: dankbar die.
D. Taktinhalt Vaterland; Mitternacht; Edelmut; Überfluss; Ungestüm. Das heißt: das Stärkeverhältnis der Senkungen wie in B, doch die letzte Silbe entschiedener übergeordnet; kräftiger Nebenton: „— v ‚v. In dem Zeitfall |’x⋅∪x| kommt diese Gruppe sprachgerecht heraus. Hier gehen die Richtungen merklicher auseinander. Schon Voß, dann seine ihn überbietenden Jünger fanden dies unvereinbar mit dem Lang-kurz-kurz. Klopstock gebrauchte anfangs solche Takte unbefangen; später hat er so manches einhebige Weltgericht, Angesicht, Mitternacht entfernt: er zog nun die zweihebige Messung vor, meist zum Schaden seiner Verse. Man vergleiche Messias V, 17 in der älteren und in der jüngeren Fassung:
Weltgericht / halten? Denn / so || ist das / Angesicht / eines Ver- / derbers
Eine Ge- / richt? denn / dies || ist das / Ange- / sicht des Ver- / derbers
Schiller ließ sich seine: „den / Widerhall / weckt„; „dein / Tagewerk / gleich“ usw. nicht verleiden. Goethe misst im Reineke arglos so; hätte er die Skrupel der Schule geteilt, so musste er für das Epos eine neue Namenreihe erfinden; denn all die Kratzefuß, Gieremund, Rüsteviel, Krekelborn konnte man doch schlecht mit zwei Ikten beladen! Im Hermann fand er schon viel seltener den Mut zu dieser Füllung, in der Achilleis gar nicht mehr. Aus den Distichen mussten diese Takte ziemlich spurlos verschwinden.
E. Taktinhalt Leinwand von, Vorhof der; Wildpret und; Handwerk nur; Kaufmann ge-. Verhält sich zu C wie D zu B. Auch hier wird Klopstock mit der zeit spröder. Voss duldet 1781 noch einzelne der Art; für Schlegel und Platen sind sie nicht mehr möglich. Schiller und Goethe empfanden sie als unverfänglich: „flehten um / Rückkehr für / euch„; „gutes / Handgeld ist / das„. Erst die Achilleis lehnte ab, und in den Elegien, Episteln usw. gab Goethe oft dem strafenden —— v statt, das ihm sein Korrektor überschrieb. Dies trug der deutschen Dichtung eine der schmerzlichsten Schlimmbesserungen ein. Der Pentameter Alexis und Dora 8:
Nur ein / Trauriger / steht, || rückwärts ge- / wendet, am / Mast
wurde zu dem bandagierten Krüppel:
Einer nur / steht rück- / wärts || traurig ge- / wendet am / Mast
Man kann den Füllungsty E beim Vorlesen bisweilen als leichte Stauung des Flusses verspüren. Es hängt vom Zusammenhang ab. Jedenfalls wären wir froh, wenn unsere Verse nichts ärgeres erlebt hätten!
F. Taktinhalt Landstraße; Meerkatzen; Jungfrauen; demütig; aufsteigen. Das heißt: die mittlere Silbe der letzten entschiedener übergeordnet als in C und auch in E; denn in E misst man die mittlere an der ersten, nicht an der dritten.
Solche Takte würden einer Modelung |’x⋅∪x| am heftigsten widerstreben; aber auch der gleichmäßigen Zeitverteilung |’x x x| machen sie Schwierigkeit.Tatsächlich begegnet dieser Typ nur bei dem frühen Klopstock in überhaupt nennenswerter Zahl; bei Goethe und Schiller fehlt er so gut wie ganz, der Strengen zu geschweigen.