R. Benedix: Anapästische Verse

Aus Roderich Benedix: Das Wesen des deutschen Rhythmus. Beitrag zur deutschen Verslehre. 1862.

Anapäste sind im Allgemeinen wenig zur Anwedung gekommen, neuerdings hat Platen es versucht, sie wieder einzuführen. Gegen die Anapäste spricht an und für sich, dass es im Deutschen keine anapästischen Wortfüße gibt. Indessen man könnte diesen Rhythmus auch daktylisch mit Vorschlagsilben rechnen. Es ist im Grunde gleich, ob wir so

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oder so

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schematisieren. Dieses Versmaß, dass Platen Anapäste nennt, hat zuviel Takt. In der Musik kommt das Vorherrschen des Takts, das Überwiegen desselben nur in der niedrigsten Gattung (der Tanzmusik) vor und wird nur dort geduldet. Genauso verhält es sich im Versbau: Der Takt des Verses ist angenehm, so lange bis er überwiegend, überwältigend wird. Ein Beispiel für Platens Anapäste:

Und er zaust mir den Wicht und erobert das Gold,
Er ergreift, der Barbar, mit der Rechten den Schopf
Des Geliebten, o weh, und die Linke durchwühlt
Habgierig indes die Dukaten.

Wem erscheint dieser Rhythmus nicht komisch? Doch man könnte sagen: diese Verse sollen komisch sein. Nun wollen wir gar nicht in Abrede stellen, dass man um einer komischen Wirkung willen auch ein komisches Versmaß soll brauchen dürfen. Ja man kann, um eine Wirkung auf einzelnen Stellen zu erzielen, sogar direkt gegen den Rhythmus Wörter zusammensetzen. Je mehr man das aber nur ausnahmsweise tun darf, desto mehr bestätigt sich die Regel des Rhythmus.

Allein Platen hält die Anapäste durchaus für keine komische Versart, sondern er will sehr ernste Dinge in ihnen sagen, zum Beispiel:

Auch lebte ja wohl in romantischer Zeit der unsterbliche Sänger der Krimhild –
Nicht darbend an Witz und den Zeiten gemäß, den erschlafften und komisch von Grund aus.

Man spreche diese Verse aus und sage dann offen: welchen Rhythmus sie haben. Keinen anderen als den des Pferdegalopps.