Aus: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik. (1858, in Auszügen)
Der Anapästus ist gleichsam der beschleunigte Jambus; der einfache Anprall des Jambus wird hier ein verdoppelter, und dadurch der Vers lebhaft und stürmisch bewegt. Im Auftakt kann statt des Anapästus ein Jambus stehen, doch nicht durchweg; in einzelnen Zeilen muss der strengere Rhythmus immer angedeutet sein. Ebenso kann statt des letzten Anapästus ein Iambus stehen, wodurch der heftige Anlauf etwas beruhigter austönt. Auch der Spondäus, dessen zweite Silbe einen höheren Ton erhalten muss, kann statt des Anapästus gesetzt werden. In kleineren anapästischen Strophen wird man Zwei-, Drei- und Vierfüßler wechseln lassen und dadurch die verschiedenste Struktur des Verses erreichen.
Die anapästische Dipodie: Dieser Vers hat Kraft, kurz abgestoßene Energie; er wechselt mit dem Iambus.
Der vierfüßige Anapästus: Ein rhythmisch bewegter Vers, der wie der vorige auch mit weiblichen Endungen austönen, gereimt und ungereimt verwendet werden, mit Spondäen und Jamben wechseln kann. Platen hat ihn zu den Chorstrophen in seinen Lustspielen benutzt und ihm dadurch einen strophischen Charakter gegeben, dass er auf fünf Verszeilen eine sechste folgen lässt, die aus drei Versfüßen mit weiblicher Endung besteht.
Auf, auf, o Genossen! Er wandelt heran
Lichtschön, wie Apoll, der Köcher und Pfeil
Im Gebüsch ablegt, und die Leier bezieht
Mit Saiten! Es spült der kastalische Quell
An die Knöchel des Gotts und es schleicht Sehnsucht
In die liebliche Seele der Musen.
(Romantischer Ödipus)
Der achtfüßige Anapästus (Tetrameter): Dieser Vers des Aristophanes, den nach seinem Vorbilde Platen und Pruz für die Chorstrophen ihrer satirischen Komödien angewendet, hat einen prächtig wogenden Gang, der nicht bloß für behaglich ausgeführte Gemälde der komischen Muse, sondern auch für die Bilder üppiger Schilderung und Empfindung, selbst für einen majestätischen Ernst geeignet macht. Er verlangt nach jeder Dipodie einen scharfen Einschnitt; die Hauptzäsur des Verses aber fällt nach der zweiten Dipodie. Der Spondäus macht seinen Gang würdevoller. Dieser Vers kann ebenfalls eine weibliche Endung haben und reimlos wie greimt angewendet werden.