Suleiman (W. Hertz)

Im erstürmten Feindeslager
Sitzt der Wüstenfürst Suleiman,
Der gepriesne Held und Dichter,
Sinnend mit gesenkter Stirne.
Doch nicht auf Gesänge sinnt er,
Auf die wilden Siegesweisen,
Die er sang in stolzer Jugend.
Allzusehnig ward die Rechte
Für der Saiten zarte Regung;
Aber auf den ehrnen Schwertgriff
Pocht sie hart mit ehrnem Finger.
Denn der Wüstenfürst Suleiman
Sinnt auf Rache, sinnt auf Strafe,
Da den einzgen Sohn des Todfeinds
Heut er selbst im Kampf gefangen.
Finster winkt er seinen Kriegern,
Und sie bringen einen Jüngling,
Nackt, mit rückgeschnürten Armen,
Aber hold wie junger Frühling.
„Trittst du vor mich, Bild des Feindes?“
Ruft der Held und springt vom Sitze,
„Ha, dein Anblick brennt mein Auge
Schmerzlicher als Sand der Wüste,
Glühender als Stich der Sonne!
Schön bist du, schön wie dein Vater,
Da er unsern Stamm bestohlen
Um die Ehre meiner Schwester.
Flehe nicht mit feuchtem Blicke!
Denn für solchen Blick empfing er
Gastfreundschaft in unsrem Zelte,
Da er kam, ein nackter Flüchtling.
Willst du Gnade bei mir finden,
Reiße selbst aus deinem Antlitz
Diese reizend falschen Züge
Und verseng‘ zu Staub und Asche
Die wollüstig glatten Glieder!
Ferne liegt die Zeit des Frevels,
Lange Jahre blutger Fehde.
Herbstlich färbt sich meine Locke;
Doch mein Hass hat ewgen Frühling.
Greis ist dein verhasster Vater,
Später Rache schlechte Beute.
Doch da schickt er seine Jugend,
Schickt sie ganz so schön wie damals,
Als die meine er vergiftet,
Dass der Tat die Strafe gleiche!
Bebst du, lächelnder Verführer,
Gastrechtschänder, Gottverfluchter?
Brechen aus den Rippen will ich
Dir das Herz, das feige, blasse,
Rote Sühneopfer schütten
Auf das Grab der armen Schwester,
Die vor Scham und Gram vergangen.
Aber deinem Vater send‘ ich
Deines Hauptes blutge Locke!“
Also rief der Held Suleiman,
Und aus dem gestickten Gürtel
zerret er ein blinkend Messer.
Da fliegt auf des Zeltes Vorhang,
Und gefolgt von wilden Kriegern
Stürzt herein ein junges Mädchen
Mit zerrissenen Gewanden.
Um des Jünglings weißen Nacken
Schließt sie zärtlich ihre Arme,
Küsst sein todesscheues Antlitz,
Deckt sein Herz mit ihrem Herzen.
Doch es reißen sie die Krieger
Höhnisch lachend vor den Emir,
Der betroffen stockt und staunet.
„Allah mit dir! Held Suleiman!“
Spricht ein Mann mit blutgem Turban,
„Sieh, wir kommen, dieses Tages
Schönste Beute dir zu bringen,
Ein gazellengleiches Mädchen.
Wir ergriffen sie im Walfeld,
Wo sie im Gewühl der Leichen
Suchte des Geliebten Antlitz,
Und man nennt sie ‚Stern der Mainacht‘.
Dir allein, o Held Suleiman,
Ziemt es, nach des Kampfes Dunkel
Dich an diesem Glanz zu sonnen,
Dieses Leibes Wonnebecher
Auszuschlürfen bis zum Grunde.“
Und der Emir steckt das Messer
Langsam in den breiten Gürtel,
Glüht sie an mit dunklem Auge,
Und dann spricht er dumpf und ruhig:
„Ist der Knabe dort dein Buhle?“
Doch das Mädchen schweigt und zittert,
Und ihr feuchtes Auge flüchtet
Schüchtern zu dem schönen Jüngling,
Und sein Auge sucht das ihre,
Und errötend schweigen beide.
Lange schaut der Held Suleiman
In ihr rosenzartes Antlitz,
Und sein Herz erfüllt Begierde.
„Habet Dank für eure Gabe,“
Also spricht er zu den Kriegern,
„Habet Dank, ich will sie nützen,
Denn sie frommet meiner Rache.
Führt ihn weg in sein Gefängnis!
Bis zum Morgen soll er leben,
Dass er diese Nacht verwünsche.“
So geschah’s; doch als der Jüngling
An des Zeltes Tür verschwunden,
Sank die Jungfrau leblos nieder.
In des Zeltes innerm Raume
Ließ der Held sein Bett bereiten.
Sklaven sprengten duftge Waasser,
Ließen qualmen süßen Weihrauch,
Streuten Blumen der Oase,
Rosen, Myrthen, Hyazinthen,
Feuerlilien auf den Teppich;
Aber auf des Lagers Polster
Legten sie den weichen Scharlach
Und darauf das blasse Mädchen,
Hängten in des Zeltes Mitte
Eine Lampe hellen Scheines,
Neigten sich dem Herrn und gingen.
Stille war’s im zelt und draußen.
Fern nur sang ein junger Wächter
Lieder, glühend weich und sehnend,
Seinem Liebchen in der Heimat,
Und es blies der Wind der Wüste.
Langsam trat der Held Suleiman
Zu der stillen Bettgenossin,
Zog hinweg die letzte Hülle,
Die des Leibes Wunder deckte,
Und erschrak in freudgem Staunen.
Tastend glitten seine Blicke
Über die gelösten Glieder,
Und sie wussten nicht, wo ruhen.
„Groß ist Allah,“ sprach er endlich,
„Dass er hat das Weib geschaffen,
Sich zur Ehre, uns zur Wonne!“
Lange stand er unbeweglich,
Und auf seinem braunen Antlitz
Schmolz des Grimmes ehrne Falte,
Und der nächtge Blitz der Augen
Ward ein träumrisch Morgenleuchten.
Denn er dachte seiner Liebe,
Glückberauschter Jugendnächte,
Dachte, wie er ebenbürtig
Solcher Schönheit lag zur Seite,
Und in tiefer Brust erwachen
Ihm die alten Lustgesänge,
Und ihm summt das Lied im Ohre,
Das er sang verwirrt von Wonnen,
Als er so zum ersten Male
Seines Mädchens Leib enthüllte,
Und er sprach in sich versunken:
„Lass mich schaun, vergehn im Schauen!
Meines Himmels Pforten öffn‘ ich,
Und mir ist, als schauten alle
Seligen des Paradieses
Neidisch über meine Schulter.
Ich war blind, nun werd‘ ich sehend,
Und ich taumle wie ein Blinder,
Dem die Augen plötzlich tagen,
Und auf deiner Glieder Wellen
Schwankt das Schifflein meines Lebens
Hier und dort, und schon versinkt es
In ein seliges Verderben!“
Also sprach der Held Suleiman
Und in seinem Herzen rauscht es
Wie das Sprudeln frischer Bronnen,
Und entzückt von der Erinnrung
Und der Gegenwart der Schönheit
Beugt er sich verlangend nieder
Zu dem regungslosen Bilde.
Doch da fiel von seinem Barte
Eine eisig graue Welle
Auf des Mädchens schwarze Locken, –
Und der Held erhob sich langsam,
Blickte starr hinweg und nickte
Mit dem Haupt in tiefem Ernste:
„Jene Zeit ist lang vorüber,
Jenes Lied ist längst verklungen,
Und ich bin ein Tor im Alter!
Friede mit dir, Stern der Mainacht!
Deines Leibes Frühlingsblume
Mag ein Frühlingssturm entblättern,
Nicht des Herbstes rauer Atem.
Hab‘ ich nicht mein rüstig Leben
Durchgekämpft für Ehr‘ und Schönheit?
Und ich sollte nun im Alter
Meiner Jugend Werk beschimpfen,
Meiner Jugend, deren Nachglanz
Eben noch mein Herz erwärmte?
Jugend blühet nur der Jugend,
Und das Grab blüht für das Alter.
Ich war glücklich; mögen andre
Glücklich sein! In kurzen Tagen
Sagen sie gleich mir: Ich war es.
Sei denn glücklich, Stern der Mainacht!“
Plötzlich wird sein Auge finster,
Und mit dumpfer Stimme spricht er:
„Spott ich selbst nicht dieses Wunsches?
Fallen wird ihr Glück mit meines
Jungen Feindes schönem Haupte,
Und erzählen wird die Sage,
Wie Suleiman einst im Alter
Einen Knaben hingeemordet,
Um sein Liebchen ihm zu rauben,
Und die Männer werden klagen
Um den Knaben und das Mägdlein,
Und die Jugend singt ein Spottlied
Und zum Hohne wird mein Name.“
Da aufs neue blitzt sein Auge,
Blitzt hinüber zu der Jungfrau,
Und nach einem langen Blicke
Deckt er über sie den Scharlach.
„Lebe wohl, du junges Leben“,
Spricht er mit bewegter Stimme:
„Süße Last des prächtgen Lagers!
Schlummerst du in deiner Brautnacht?
Wahrlich dir, o Lust der Augen,
Gibt der Herr das Glück im Schlummer!“
Vor die Zelttür trat der Emir,
Und er rief den flinken Sklaven:
„Bring die herrlichsten Gewande,
Pelenschnüre, Ohrgehänge,
Bringet Gold, soviel ihr traget.
Breitet alles vor das Lager!
Holt dann leise den Gefangnen,
Legt des Jünglings stramme Glieder
Zu des Mädchens weichem Leibe,
Weckt sie auf mit Brautgesängen!
Und dann wacht bei eurem Leben,
Dass kein Menschentritt sie störe!“
Also sprach der Held Suleiman,
Nahm den Bogen, nahm die Lanze,
Sprang auf seinen Lieblingsrenner
Ungesattelt, ungezäumet,
Und wie Sturmgewölk verschwand er
In der stummen Nacht der Wüste.

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