Johannes Roeloffs

(1) Fester Wille
Strebe du nach deinem Ziel,
Scheint auch alles zu misslingen;
Will das Schicksal dich bezwingen,
Strebe du nach deinem Ziel!
Fester Wille nützt schon viel,
Hilft das Schwerste oft erringen:
Strebe drum nach deinem Ziel,
Scheint auch alles zu misslingen!

(2) Wahres Glück
Suche nicht des Lebens Glück
In den Gütern, die verfliegen,
In dem rauschenden Vergnügen
Suche nicht des Lebens Glück!
Nur mit geistig reinem Blick
Wirst du, Freund, das Glück besiegen;
Suche nicht des Lebens Glück
In den Gütern, die verfliegen!

(3) Zeitenflucht
Unersetzlich in den Strom der Zeiten
Eilet die verlorne Stunde hin;
Manchem fließt ein ganzes Leben hin
Unersetzlich in den Strom der Zeiten.
Möge dich auf gute Bahn geleiten
Früh schon edler Wille, klarer Sinn!
Unersetzlich in den Strom der Zeiten
Eilet die verlorne Stunde hin.

(4) Höchstes Gut
Reines Herz und fester Mut
Sind des Lebens größtes Gut;
Darum suche zu erhalten
Reines Herz und festen Mut!
Bannt des Schicksals düst’res Walten
In dem Aug‘ die Tränenflut:
Kann dich aufrecht nur erhalten
Reines Herz und fester Mut.

(5) Anerbieten
Willst du mir zu eigen sein,
Rosig wird mir dann das Leben.
Herz und Hand will ich dir geben,
Willst du mir zu eigen sein!
Geben erst? – Nein, dir alleine
Fühl ich’s längst entgegen beben;
Doch willst du mein Eigen sein,
Wird mir rosig erst das Leben.

(6) Schlachtruf
O Mann, ermanne dich zum Manne
Und fröhne Weiberlaunen nicht!
Der Schmeichler ist ein armer Wicht;
O Mann, ermanne dich zum Manne!
Der Eiche beuge sich die Tanne,
Doch aber jene dieser nicht;
Darum ermanne dich zum Manne
Und fröhne Weiberlaunen nicht!

Liebesbote

(7) Klinge, Liedlein, kling‘ hinüber
Zu der rosigschönen Maid!
Ach sie ist von mir so weit;
Klinge, Liedlein, kling‘ hinüber!
Möchte selber gern hinüber;
Doch wie ist das Meer so breit!
Klinge du für mich hinüber
Zu der rosigschönen Maid!

(8) Lisple ihr in sanften Tönen,
Dass ich treu geblieben bin
Meinem ersten Liebessinn;
Lisple ihr in sanften Tönen,
Ihre treue Lieb‘ zu krönen,
Daran denk‘ ich immerhin;
Lisple ihr in sanften Tönen,
Dass ich treu geblieben bin!

Das freie Wort

(9) Wo es vieles gibt zu singen,
Sind die Sänger selten fern.
Bleib‘ in Deutschland d’rum so gern,
Denn wie viel gibt’s da zu singen!
Höre manches Lied erklingen,
Manches Lied von echtem Kern;
Wo es vieles gibt zu singen,
Sind ja Sänger selten fern.

(10) Freies Lied aus freiem Munde
Ist des Sängers größte Lust;
Wunderbar erfüllt die Brust
Freies Lied aus freiem Munde.
Schweigen muss ich! Tiefe Wunde
Schlägt dies Wort in meine Brust;
Freies Wort aus freiem Munde
Wär‘ auch meine größte Lust.

(11) Lasst das freie Wort erklingen.
Lasst es tönen voll und laut,
Die ihr zürnend niederschaut,
Lasst das freie Wort erklingen!
Nimmer wird das Segen bringen,
Was sich im Geheimen baut;
Lasst das freie Wort erklingen,
Lasst es tönen voll und laut!

Glosse

Motto (Friedrich Rückert):

Sei hochbeseligt oder leide,
Das Herz bedarf ein zweites Herz;
Geteilte Freud‘ ist doppelt Freude,
Geteilter Schmerz ist halber Schmerz.

(12) Sei hochbeseligt oder leide,
Alleinsein ist ein armes Los;
Es macht das Leben nackt und bloß;
Sei hoch beseligt oder leide,
Im Herzen regt sich doch ein Trieb,
Der sagt uns: „Habe Menschen lieb,
Sei hochbeseligt oder leide!“

(13) Das Herz bedarf ein zweites Herz.
Das fühlt‘ ich jüngst im eignen Busen
Und singe jetzt im Dienst der Musen:
Das Herz bedarf ein zweite Herz!
Und hörst du es, geliebtes Wesen?
Kannst du in meinen Augen lesen,
Mein Herz bedarf ein zweites Herz?

(14) Geteilte Freud‘ ist doppelt Freude!
Den alten Spruch, den lieb‘ ich gern.
Da halte du dein Herz nicht fern;
Geteilte Freud‘ ist doppelte Freude!
Wie pocht das Herz in meiner Brust!
O wärst du gleiches dir bewusst!
Geteilte Freund‘ ist doppelt Freude.

(15) Geteilter Schmerz ist halber Schmerz.
Wem soll ich meine Liebe klagen?
Wer hilft mir, meine Sehnsucht tragen?
Geteilter Schmerz ist halber Schmerz!
Doch nein, die süßen Liebesschmerzen,
Ich trag sie gern allein im Herzen;
Geteilter Schmerz wär‘ halber Schmerz.

(16) Das schwerste Muss
Von der Liebsten scheiden müssen,
Ist wohl stets ein hartes Muss;
Aber ohne letzten Kuss
Von der Liebsten scheiden müssen;
Unter bittern Tränengüssen,
Ohne Gruß und Abschiedskuss
Von der LIebsten scheiden müssen,
Ist das allerschwerste Muss.

Doppelsonne

(17) Ich war auf Bergeshöhe früh gegangen,
Als kaum der junge Tag begann, zu grauen;
Des Sonnenaufgangs Herrlichkeit zu schauen,
War ich auf Bergeshöhe früh gegangen;
Bald sah ich auch die Sonne glänzend prangen
Und ringsumher das Himmelszelt erblauen,
Und freute mich, dass ich hinaufgegangen,
Als kaum der junge Tag begann zu grauen.

(18) Der schneebedeckten Berge höchste Zinken
Erglühten weit umher im Sonnengold;
Auch schien ein Purpurmantel ausgerollt
Weit über aller Berge höchste Zinken.
O schön, den ersten Morgentau zu trinken,
Den Erde ihrer Sonne dankbar zollt,
Wann schneebedeckter Berge höchste Zinken
Erglühen weit umher im Sonnengold!

(19) Zufrieden stieg ich nun ins Tal hinunter
Mit frohem, wonnezitterndem Gemüt,
Ins Tal, wo mir noch andre Freude blüht,
Stieg nun zufrieden wieder ich hinunter.
Lebendig ward es unten, bunt und bunter;
Im Sonnenstrahl erglänzte Blatt und Blüt‘:
Zufrieden stieg ich in mein Tal hinunter
Mit frohem, wonnezitterndem Gemüt.

(20) Da schien die Sonne nochmals aufgegangen;
Mein Mädchen hüpfte durch die Blumenau,
Von Blüten streifte sie den Perlentau.
Mir schien die Sonne nochmal aufgegangen,
Als ich erblickt das Morgenrot der Wangen,
Der Locken Gold, der Augen Himmelblau;
Noch eine Sonne schien mir aufgegangen,
Als Berta hüpfte durch die Blumenau.

(21) So will ich ferner jeden Morgen gehen,
Des Doppelsonnenaufgangs mich zu freun;
Es soll mir stets die schönste Freude sein,
So künftig jeden Morgen auszugehen;
Denn lässt sich auch die Sonne ‚mal nicht sehen,
Wird doch mein Mädchen nicht verfinstert sein;
D’rum will ich künftig jeden Morgen gehen,
Des Doppelsonnenaufgangs mich zu freun.