Siebter Gesang

Wort hielt Helios ihm. Er kehrte nach wenigen Stunden
Wieder zurück aus den Fluten des Meers, in erneuetem Glanze.
Frührot, Sonne, und Mond, sie folgten einander, und gingen,
Festen, geregelten Gangs, um die Erde die ewigen Bahnen.
Nimmer versiegten der Wärm‘ und des Lichts heilbringende Quellen;
Tag ward immer und Nacht, nach ewigen, weisen Gesetzen.
Jeglichen Morgen erfreute der Mensch sich des herrlichen Lichtes,
Das, barmherzig, herab ihm Zeus von dem Himmel gesendet.
Und fromm dankt‘ er dafür, am Altar auf die Knie gesunken.
10 Weit oft ging er umher, zu beschaun die beleuchtete Erde,
Stieg auf Felsen und Berge, durchwanderte Täler und Schluchten.
Neues, Erhabenes viel sah da sein staunendes Auge!
Hochaufgetürmt und geschichtet, in unabsehlichen Massen,
Grad‘ aufsteigend und schräg Steinarten verschiedener Gattung:
Porphyr, Schiefer, Granit, Serpentin, Gneus, Glimmer und Marmor
War, vielartig geformt und gefärbt, stolz prangend zu schauen;
Fest aneinandergereiht hier harte, basaltene Säulen,
Dort der erstarrete Lava-Strom und zerstückelter Bimsstein!
So viel neues zu schau’n, so viel unerklärliche Rätsel.
20 Hell aus den Bergen hervor quoll kühles, kristallenes Wasser,
Das, mit der Hand von dem Wandrer geschöpft, gab kühlende Labung.
Quellen vereinigten sich zu vergnügt anwachsenden Bächen,
Irrten die Täler entlang, oft stürzend felsab in die Tiefe,
Brausten und schäumten, sich selbst auswühlend das steinerne Bette,
Wuchsen, in trägerem Lauf, zu gewaltigen Flüssen und Strömen,
Treue Vasallen Neptuns, in das Meer sich endlich ergießend.
Wo hin schweifte der Blick, überall gleich war er gefesselt.
Doch als sinnend der Mensch einst saß, in Betrachtung verlorenen
Über das bunte Gestein, hell schillernd aus düsterm Geklüfte,
30 War’s, als tönte herauf dämonischer Ruf aus der Tiefe:
„Steige herab, schaulustiger Mensch, in die Klüfte der Berge!
Steige herab! Hier warten auf dich unermessliche Schätze!
Adern von Erz, reichhaltig und stark, durchstreichen die Felsen:
Eisen und Blei, zu gewichtigem Dienst für den Starken erschaffen;
Auch, zu ergötzlichem Spiele, Topase, Smaragden, Rubinen,
Funkelnde, prächt’ge Demanten, und Klumpen gediegenen Goldes –
Alles enthalten, in nie zu erschöpfender Fülle, die Berge!
Herr von allem zu sein, steig‘ mutig hinab in die Tiefe!
Ich will, kräftigen Arms, beim Heben der Schätze dir helfen!“
40 Still hin horchte der Mensch, und schaute mit forschendem Auge
Neugiervoll in die Tiefe hinab nach den heimlichen Schätzen.
Rätsel enthielten die Worte des boshaft lauernden Dämons.
Die unschuldiger Sinn nicht wusste zu lösen, zu deuten.
Aber die Neugier ward, ernst sinnend, zur steigenden Sehnsucht,
Und schon hob sich er Fuß, zu bestehn das gefährliche Wagstück.
Da war plötzlich die Sonne bedeckt von verhüllenden Wolken,
Welche, von Sturme gejagt, auf stiegen in dunkeln Gestalten.
Düster beschattet im Nu war Tal und Gebirg‘, und im Wirbel
Brauste der Sturm, der lange geruht, von dem Meere herüber.
50 Jetzt aus der Wolke herab ein Blitz fuhr nieder zur Erde,
Schlug in die Spalte hinein, aus welcher gesprochen der Dämon,
Und laut krachender Donner erschütterte Täler und Berge!
„Weh mir!“, klagte der Mensch – „Zeus zürnt! Was hab‘ ich verbrochen?“
Und von der Spalte hinweg weit floh er zu seinem Altar hin,
Während in Strömen herab floss warmer, erquickender Regen.
An den Altar hinknieend, erhob er die Hände zum Himmel,
Betete reuig zu Zeus, und gelobte, zu fliehen den Dämon.
Da trat wieder hervor an dem westlichen Himmel die Sonne;
Träufelnd verzog sich das düstre Gewölk; und am östlichen Himmel
60 Baute sich auf – dort über dem Meer, dort über dem Tale –
Groß und herrlich zu schaun, ein prächtig erhabener Bogen,
Lieblichst gemalt mit sanft aneinander gereiheten Farben,
Schwebend, als hinge durch ihn mit dem Himmel die Erde zusammen.
Freudig erstaunt hin blickte der Mensch nach der schönen Erscheinung.
„Sei mir gegrüßt!“, so sprach er vergnügt, „du herrlicher Bogen!
Durch dich mahnen die Götter mich wohl, ich solle nach oben,
Nicht in die Tiefe hinab hier schauen nach irdischen Schätzen!
Wo kann schöneren Schmuck aufweisen die düstere Erde,
Als dort oben der Himmel mir zeigt, nach dem Winke der Götter?
70 Rasch fort eilt‘ er, um näher zu sehen den herrlichen Bogen;
Aber die Sonne verschwand, und die lieblichen Farben erblichen!
Da stand traurig der Mensch, in dem Wahn‘, er beleid’ge die Götter,
Dass er die Hand kühn habe gestreckt nach dem Glanze des Himmels,
Und still wankt er zurück nach der alten, befreundeten Stätte.
Freudlos klagt‘ er: „Wie bin ich so arm! Und stehe doch zwischen
Blendenden Schätzen da oben, und blendenden Schätzen da unten!
Täler und Berge, so weit hin reichen die Füße, die Blicke;
Doch nur ärmliches, düstres Gestein liegt offen zu Tage,
Während da unten der Schätze so viel, der verborgenen, ruhen,
80 Während der Himmel so reich an erfreulichen Farben und Glanz ist,
Ach, nach denen die Hand ich nicht darf strecken, ich Armer!“
Spät erst schlummert‘ er ein, denn lang‘, in Gedanken verloren,
Hatt‘ er gesessen und hatt‘ er gefragt neugierig sich selber,
Was für Schätz‘ im verschwiegenen Schoß wohl berge die Erde?
Immer jedoch aufs neue gelobt‘ er sich selbst, sie zu meiden,
Weil Zeus zorniger Blitz ihm gedienet zur drohenden Warnung.
Doch kaum hatte der Schlaf ihm ruhig die Augen geschlossen:
Hört‘ er im Traum schon wieder des Dämons lockenden Zuruf,
Stieg er, mit pochendem Herzen, hinab in die Tiefen der Erde,
90 Sucht‘ er vergeblich nach Schätzen, und fand nicht wieder den Rückweg,
Hört‘ er den Donner des Zeus laut, lauter und zorniger tönen,
Sah er aufs neu sich entzogen das Licht und die Gnade der Götter!
Als, schwer atmend, er endlich erwacht‘ aus dem Traume,
Und ihm wiedergekehrt war ruhiges, klares Besinnen,
Schlug er den Blick froh wieder empor, und atmete freier,
Ohne zu fassen, woher so täuschende Qual ihm gekommen.
Aber von neuem getäuscht schon glaubt‘ er das staunende Auge,
Als er, erheiterten Muts, nun wollte die Gegend beschauen;
Denn kaum wieder erkannt‘ er die lachenden Täler und Berge,
100 So hat alles umher sich verwandelt bei nächtlicher Weile.
Zeus, tief schauend mit göttlichem Blick in das innerste Herz ihm,
Sah die gefährlich Lust nach Schätzen im Schoße der Erde
Unheildrohend erregt in dem leicht zu verführenden Menschen.
„Weh ihm“, sprach er, „vergreift er sich dreist an den blinkenden Erzen!
Lässt er sie still nicht ruhn: wird blutig das Eisen sich rächen,
Werden ihm Gold und Edelgestein Fluch bringen und Unglück!
Von dem gefährlichen Glanz ab will ich ihm lenken die Blicke.
Dass er vergess‘, und nicht ausforsche verborgene Schätze,
Dass er, als traurig und arm, nicht ferner die Erde verklage,
110 Werde sie lachend geschmückt mit unzähligen, heitern Gewächsen!“
Sprach’s; und was er geboten, alsbald auch ward es vollzogen:
Drum kaum traute der Mensch, aufschauend, dem staunenden Auge.
Welch ein Wunder! Es war ein grünender Teppich gebreitet
Über Gebirg und Tal, hell glänzend im Strahle der Sonne!
Sammetner Rasen bedeckte die Höhen und Tiefen der Berge;
Saftiges Gras und vielerlei Kräuter bedeckten die Täler,
Flechten und Moose versuchten sogar, zu bekleiden den Felsen.
Lieblichst verschönt war plötzlich die alte, zerrüttete Erde,
Hatte das Totengewand von den starren Gebeinen geworfen,
120 War in jugendlich festlichem Schmuck von den Göttern gekleidet,
Schien, in entzückendem Glanz, froh über sich selbst zu erstaunen.
Tausende schlummernder Keime, sie waren, vom Regen befruchtet,
Auf des Allmächt’gen Geheiß, zu Blättern und Stengeln geworden,
Die nun freudig in Licht und in Wärme sich dehnten,
Leise vom Zephyr bewegt, sich nickend einander begrüßten.
Wonnig umher, in die Höh‘ und die Tief‘, in die Näh‘ und die Ferne,
Schweife der trunkene Blick des erstaunten, entzückten Beschauers.
Niedergekniet, weit breitet‘ er aus die verlangenden Arme,
Drückt‘ auf den schwellenden Rasen die Brust mit dem klopfenden Herzen,
130 Gleich, als sollt‘ an dem Herzen der Erde das seinige schlagen,
Gleich, als wollt‘ er die Erde mit liebenden Armen umfangen.
Doch viel schöner geschmückt, noch reizender sollte sie werden!
Scharen von Genien kamen herab von dem Himmel geflattert,
Boten Silvans, und Pomonas, und Floras, der freundlichen Göttin,
Weit sich zerstreuend umher auf der Erd‘, in geschäftiger Eile.
Wo sie weilten, und säten, und schufen, da keimt‘ es und sprosst‘ es
Zauberisch kräftig empor, schnell wurzelnd im üppigen Boden,
Schnell aufschießend, in tausendfach wechselnden Formen und Farben.
Schattige Wälder zu werden, erhoben sich Palmen, Plantanen,
140 Zedern, und Eichen, und Tannen, phantastische, trauernde Weiden;
Viel auch sprossten Zypressen hervor, Oleander, Granaten,
Myrten, der Göttin der Liebe geweiht, und geheiligter Lorbeer,
Trauliche Haine zu bilden für sinnige Wonne und Wehmut.
Dass auch nimmer dem Menschen es fehl‘ an Nahrung und Labsal,
Hoben die Kronen empor Fruchtbäume verschiedener Gattung,
Wurzelte Brotbaum hier, dort Maulbeer, Mandel und Feige,
Glühten Orangen hervor aus Kränzen von duftenden Blüten.
Fröhliche Reben sogar, sich hierhin neigend und dorthin,
Schlangen an Bäumen sich auf, mit der Krone der Früchte, der Traube,
150 Dass sie, gereift in der glühenden Sonne, den Menschen erquicke,
Dass ihr geistiger Saft ihm fröhliche Feste bereite,
Bis an des Daseins Ziel dem Ermatteten Stärkung gewähre.
aber um ganz zum entzückenden Garten zu zaubern die Erde,
Pflanzten und formten und malten die freundlichen Boten der Flora
Blumen und blühend Gesträuch mit den zartesten, fleißigsten Fingern,
Rankten an Felsen den Efeu hinauf und das schwankende Geisblatt,
Schmückten mit Blumen die Berge, mit duftenden Kelchen die Sümpfe,
Felsen der Wüste sogar mit dem prachtvoll blühenden Kaktus.
Was nur schöpfrische Laune vergnügt zu erfinden vermochte,
160 Stellten sie hin, anmutig und reizend gefärbt und gestaltet.
Kleines und Großes, bescheiden Gebücktes, und prangend Erhobnes
Stand, in dem buntesten Wechsel, vereinzelt und nebeneinander.
Tief in dem Grase versteckt sah nieder zur Erde das Veilchen,
Stand, wie schüchtern verzagend im Kreise der größeren Schwestern
Ob es an lieblichem Duft gleich viele der schönsten beschämte.
Doch, jungfräulicher noch, Sinnpflanzen erschraken bei jeder
Leisen Berührung so sehr, dass erdwärts sanken die Zweige.
Kräftig daneben empor hielt Reihen von Blüten die Malve;
Weit aus breiteten sich der Hortensie blühende Sträuße;
170 Herrlichst gestaltet in Blättern und Kelch hob hoch sich die Calla;
Prangende Tulpen und Mohn, sie fragten, ob schönere Farben
Könne das Innre der Erd‘ aufweisen an Edelgesteinen?
Nächtliche graue Violen, und Lilien, edel gestaltet,
Heliotrop, Tuberos‘, und unzählige andere Blumen
Hauchten den lieblichen Duft als Opfer dem Menschen entgegen.
Ach, wie ging er vergnügt von der einen zur andern, und küsste
Dieser den duftenden Kelch, und jener die prangende Krone!
Jegliche redet‘ er an, und jegliche schien sich zu freuen,
Dass er zu ihr sich geneigt, schien lieblicher dann zu erblühen,
180 Und missgönnte doch nimmer der Nachbarin größre Triumphe.
Aber die herrlichen Rosen, gesandt von der Göttin der Liebe,
Dass als Braut sie geschmückt dastehe, die lachende Erde,
Als er auf diese den Blick jetzt warf mit dem frohsten Erstaunen,
Rief er entzückt: „Dich nenn‘ ich, o Rose, die Blume der Liebe,
Denn du stammst aus den duftenden Lauben der reizenden Göttin,
Und sie sendet dich mir, als Zeichen versöhneter Liebe!“
Freudig an Lippen und Herz dann drückt‘ er die schönste der Rosen,
Unwillkürlich sie brechend vom üppig umblüheten Strauche.
Hin zum Altar drauf eilt‘ er mit ihr, und legte darauf sie,
190 Fromm-dankbaren Gefühls, als Opfer den gütigen Göttern;
Und sein nächtlicher Traum ließ nichts als Blumen ihn sehen.